Corona bringt dem Pharmastandort Mainz ein sattes Gewerbesteuerplus. Damit will die Stadt ihr Biotech-Profil entwickeln und Schulden tilgen.

Die Stadt Mainz ist ein Profiteur der Coronakrise. Aufgrund der ansässigen Pharmaindustrie, voran der Impfstoffhersteller Biontech, verbucht die Stadt im laufenden Haushalt 2021 ein sattes Gewerbesteuerplus und einen Jahresüberschuss von über einer Milliarde Euro. Damit will sie Schulden abbauen sowie in die urbane Infrastruktur und in ihre Zukunft als Biotech-Standort investieren. Was genau sie vorhat und welche Effekte der Geldsegen auf die Stadt hat, erklärt Oberbürgermeister Michael Ebling.

Standortprofil: Mainz plant Biotech-Campus

#stadtvonmorgen: Herr Ebling, die Firma Biontech ist nicht nur in der Pandemie als Impfstoffhersteller zu einem Hoffnungsträger geworden, sondern ihr Erfolg hat auch Effekte auf die Stadt. Bei einer Pressekonferenz am 9. November sprachen Sie davon, dass sich die Stadt „von der Apotheke zur Welt zum Biotech-Hub“ entwickeln wolle. Mainz wolle nicht nur einen Biotechnologie-Campus entwickeln, in diesem Bereich 5.000 Arbeitsplätze in zehn Jahren ansiedeln, sondern auch zu einem global führenden Standort in der Krebs- und Altersforschung werden. Doch wie soll das gehen? Eine Kommune alleine kann eine solche Entwicklung ja nicht „verordnen“. Und nur, weil nun eine 30-Hektar-Fläche für die Campusentwicklung zur Verfügung gestellt wird, heißt das ja nicht, dass damit zwangsläufig Ansiedlungen verbunden sind, oder?

Michael Ebling: Natürlich können wir das nicht alleine tun und entwickeln. Und eine solche Entwicklung entsteht nicht ausschließlich dadurch, dass man Flächen adressiert. Aber in Mainz ist bereits ein Leuchtturm entstanden. Es handelt sich um eine jahrelange Aufbauarbeit auf Basis einer intensiven Grundlagenforschung. Unser Ziel ist es, und dabei kann die Stadt helfen, das Netz von Forschungsinfrastruktur und Wissenschaft am Standort enger zu knüpfen. Natürlich ist das nicht alles kommunal. Allein zwei der wesentlichen Player, die Universität und die Universitätsmedizin mit ihrem Klinikum, sind durch das Land Rheinland-Pfalz gesteuert. Doch unser Bestreben passt sehr gut in die Strategie des Landes. Insofern sind die Voraussetzungen für die weitere Profilierung des Standorts sehr gute – dies im Zusammenwirken von Stadt und Land sowie den bereits ansässigen Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft.

Stadt erwartet private Investitionen in Milliardenhöhe

#stadtvonmorgen: Am 9. November sprachen Sie davon, dass Sie Investitionen in der Größenordnung von einer Milliarde Euro in zehn Jahren am Standort im Kontext des „Biotech-Hubs“ erwarten. Gehen wie von privatem oder öffentlichem Engagement aus? Was steckt in der Zahl? Wie realistisch sind denn Investitionen solcher Summen?

Michael Ebling: In der Zahl steckt im wesentlichen privates Kapital. Zuletzt hatte ja auch die Firma Biontech verlautbart, in dieser Größenordnung Investitionen tätigen zu wollen. Mit der pharmazeutischen Arbeit, die ihre Wurzeln in Mainz hat und die nun in der Coronakrise einen Impfstoff hervorbrachte, hat die Stadt in den vergangenen Monaten spürbar an internationaler Sichtbarkeit gewonnen. Es gibt einige, die den Standort interessant finden – auch für Ansiedlungen. Daher halte ich es realistisch, dass in Verbindung mit einigen Gelingensfaktoren in den nächsten Jahren weitere Investitionen in Baumaßnahmen, Laborflächen und in die Forschungsinfrastruktur in Mainz getätigt werden – und zwar hauptsächlich privat finanziert.

Stadt fördert kreatives Milieu als Gelingensfaktor

#stadtvonmorgen: Was die Gelingensfaktoren betrifft, können Sie konkreter werden? Was kann die Stadt dazu beitragen?

Michael Ebling: Natürlich geht es darum, Flächen bereitzuhalten. Und zwar baureif und bestenfalls in unmittelbarer Nähe zur örtlichen Forschungslandschaft. Wir wollen aber nicht nur die räumliche Nähe zwischen den Akteuren vor Ort begünstigen. Unsere Strategie zielt auch auf die Bildung eines kreativen Milieus ab, wir wollen die Netzwerkbildung fördern. Der Standort wird umso interessanter, je qualitativ hochwertiger das Geflecht aus Forschung und Unternehmen vor Ort ist. Wir wollen einen engen Austausch stimulieren und moderieren. Dies zielt auf gegenseitige Unterstützung, aber auch auf strukturelle Rahmenbedingungen etwa für Ausgründungen oder wie den Aufbau einer internationalen Schule ab. Dass wir eine neue Gesellschaft, einen „One-Stop-Shop“ für Unternehmen, gründen, macht deutlich, was wir standortpolitisch wollen: Kurze Wege und eine einzige Andresse für die Bedürfnisse von Unternehmen – sowohl denen des Standorts als auch ansiedlungswilligen. Ein weiterer Aspekt, den wir als Standortvorteil begreifen, ist, dass wir die Gewerbesteuer auf das Niveau der Nachbarstadt Ingelheim bringen.

Milliardenüberschuss führt zur Gewerbesteuersenkung

Michael Ebling (Quelle: Landeshauptstadt Mainz)

Michael Ebling (Quelle: Landeshauptstadt Mainz)

#stadtvonmorgen: Sie senken den Gewerbesteuerhebesatz von 440 auf 310 Punkte. Das bedeutet 2022 rechnerisch eine Entlastung in Höhe von 351,6 Millionen Euro für die Mainzer Unternehmen. Möglich wird dies durch Erfolg der ansässigen Pharmaindustrie in der Coronakrise und insbesondere die dadurch gestiegenen Einnahmen durch die Gewerbesteuer. Im laufenden Haushalt rechnen Sie mit einem Jahresüberschuss von 1,09 Milliarden Euro. Wie lautete denn die Prognose zuvor?

Michael Ebling: Ursprünglich waren wir angesichts der 2020 aufziehenden Coronakrise von einem Minus ausgegangen. Die stärksten Befürchtungen, was die Einbrüche bei der Gewerbesteuer angeht, sind nicht eingetreten. So haben wir zuletzt in unserem Haushalt durchaus mit einem Plus gerechnet, allerdings „nur“ im zweistelligen Millionenbereich.

#stadtvonmorgen: Nun liegt das Plus auf Milliardenniveau. Für 2022 gehen Sie außerdem von einem Überschuss in Höhe von 490,8 Millionen Euro aus. Wenn Sie noch weiter in die Zukunft schauen: Wie nachhaltig sind diese Zahlen? Wird der Geldsegen zum Standard in Mainz?

Michael Ebling: Das wissen wir nicht, wir können nur vermuten und es hoffen. Doch das Thema ist zu dynamisch. Die Branche, über die wir vorwiegend reden, ist forschungsgetrieben. Manche Entwicklung braucht dort Jahre – bis es dann zum nächsten Durchbruch kommt. Das ist schwer vorherzusagen.

Liquiditätskredite: Schuldenabbau in Krisenzeiten

#stadtvonmorgen: Der Mainzer Haushalt gilt – was im Übrigen charakteristisch für viele Städte in Rheinland-Pfalz ist – zu den finanziell angespannteren in der Republik. Wofür nutzen Sie den unverhofften Haushaltsüberschuss nun? Zum Schuldenabbau?

Michael Ebling: Ausschließlich. Wir verfolgen eine nachhaltige Haushaltspolitik. Das heißt für uns, dass wir stets darauf abzielen, unsere Kreditbelastungen zu reduzieren. Damit wollen wir dauerhaft Belastungen senken. Die Liquiditätskredite der Stadt belaufen sich auf rund 700 Millionen Euro. Bis Ende 2022 wollen wir diese auf Null fahren. Zudem wollen wir in Werte investieren. Ich denke dabei insbesondere an Boden und Grundstücke. Mainz ist – wie viele andere Städte – stark vom Trend des immer teurer werdenden Wohnraums betroffen. Hier wollen wir als Stadt steuernd eingreifen, uns neuen Handlungsspielraum schaffen und auf diese Weise ebenfalls einen Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung setzen.

#stadtvonmorgen: Das heißt, Corona macht Mainz schuldenfrei.

Michael Ebling: Was die Liquiditätskredite betrifft: ja. Was die Investitionskredite betrifft: nein. Der Abbau der Liquiditätskredite bedeutet eine Reduktion der Zinsbelastung in Höhe von jährlich 30 Millionen Euro.

#stadtvonmorgen: Sie sprechen vom Abbau der Liquiditätskredite, von der Umsetzung der Biotech-Hub-Strategie am Standort und von Investitionen in Grund und Boden. Ist das Geld damit verbraten? Was tun Sie sonst damit?

Michael Ebling: So einfach kann man das nicht sagen: Wir wollen das Geld nicht „verbraten“, sondern wir verfolgen eine nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik. Das zeigt sich auch daran, dass wir – trotz Coronakrise und selbst ohne die zusätzlichen Effekte – einen positiven Haushaltsabschluss im Visier hatten. Die Nachhaltigkeit bleibt Grundlinie für die Haushaltspolitik der kommenden Jahre. Es wird darum gehen, Werte zu schaffen, um der Stadt für die Zukunft Handlungsspielräume zu sichern und zu erweitern. Das kann dadurch geschehen, dass wir in Grund und Boden investieren. Neben dem Thema Wohnen erfordert aber beispielsweise der Bereich der nachhaltigen Mobilität wichtige Zukunftsinvestitionen.

Wie verändert der Geldsegen das Mainzer Selbstverständnis?

#stadtvonmorgen: Sie haben es angesprochen: Mainz zählte bislang zu den Städten, die unter hohen Liquiditätskrediten ächzen. Plötzlich weist der Haushalt einen Überschuss von einer Milliarde Euro aus. Was meinen Sie: Wie verändert es die Stadt, wenn sie sich auf einen Schlag den Sparzwängen der Kommunalaufsicht entledigt und auf einmal zu den finanziell besser gestellten gehört? Was macht das mit Mainz und dem Selbstverständnis der Stadt? Bleibt Mainz Mainz?

Michael Ebling: Mainz bleibt Mainz. Die Begriffe Haushaltssicherungskonzept und Kommunaler Entschuldungsfonds sind ja nicht plötzlich vergessen, sondern haben sich über Jahre als feste Bestandsteile in den lokalpolitischen Diskurs eingeprägt. Es war immer so, dass wir jeden Groschen drei Mal umdrehen mussten. Gleichwohl haben wir es in den vergangenen Jahren aus eigener Kraft geschafft, die Stadt investitionsstark zu machen. Sollte sich an der angespannten Finanzlage etwas ändern – und diese Perspektive ist ja nun gegeben –, wird auch der neue Zustand erst einmal wachsen müssen. Das geht nicht von heute auf morgen. Die Priorität einer nachhaltigen Haushalts- und Finanzpolitik habe ich beschrieben. Darüber hinaus in die Zukunft blickend denke ich an Bereiche wie das öffentliche Grün oder die Kulturförderung. Sicher kommen wir in eine Zeit, in der wir auf Feldern wie diesen Schwerpunkte setzen können, ohne den Restriktionen der Kommunalaufsicht unterworfen zu sein. Aber ob und wie das die Stadt und ihr Selbstverständnis verändert, wird man dann sehen. Das positive Lebensgefühl der Mainzerinnen und Mainzer wird sich ganz bestimmt nicht ändern.

#stadtvonmorgen: Seit Jahren schwelt in Rheinland-Pfalz ein Streit um Kommunalfinanzen. Während der Landesverfassungsgerichtshof den Kommunalen Finanzausgleich für verfassungswidrig erklärt hatte und das Finanzierungssystem nun neu auszugestalten ist, sind hinsichtlich der kommunalen Finanzausstattung außerdem der Landkreis Kaiserslautern und die Stadt Pirmasens sogar vors Bundesverfassungsgericht gezogen. Und jetzt kommt Mainz und „erhöht“ das kommunale Gewerbesteueraufkommen im Land mal eben um eine Milliarde Euro. Sie sind nicht nur Oberbürgermeister, sondern auch Vorsitzender des rheinland-pfälzischen Städtetags. Glauben Sie, dass der Mainzer Finanzerfolg Effekte auf die Finanzdiskussion im Land hat? Lässt er sich einordnen in den Finanzstreit im Land – etwa, was Berechnungsmodelle für den neuen Finanzausgleich betrifft?

Michael Ebling: Wie das Land die Entwicklung der Gewerbesteuer einordnet, kann ich nicht beantworten. Aus Sicht der Kommunen hingegen gilt nach wie vor eine große Solidarität: Das Land muss seine Kommunen adäquat ausstatten. An dieser Grundhaltung ändert die verbesserte Einnahmesituation der Stadt Mainz nicht das geringste – weder für die Stadt noch für die kommunale Familie. Der Landesverfassungsgerichtshof hat es dem Land im Zusammenhang mit seinem Urteil zur Neufassung des Kommunalen Finanzausgleichs zur Aufgabe gemacht, seine Kommunen bedarfsgerecht auszustatten. Das ist der geltende Maßstab – für Mainz und für alle anderen. Es gilt, die strukturelle Unterfinanzierung zu beenden. Genauso wenig hat sich meine Rolle darin verändert, den Bund – insbesondere hinsichtlich der laufenden Koalitionsgespräche – darauf hinzuweisen, dass das Konnexitätsprinzip einzuhalten ist. Wenn Aufgaben von Bund und Ländern an Kommunen verteilt werden, muss die Finanzierung stimmen. Nur, weil es dem Haushalt der Stadt Mainz nun besser geht, hat sich ihre Bereitschaft nicht erhöht, es hinzunehmen, dass Belastungen einseitig zulasten der Kommunen verteilt werden – im Gegenteil.

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