Die Stadt Marburg hat im Kampf gegen die Coronakrise ein eigenes „Stadt-Geld“ aufgelegt. Dies verteilte sie in Gutscheinform an alle Bürger, um diese zum Einkauf in lokalen Geschäften zu bewegen. Nach dem Lockdown wollte die Stadt so Akzente für eine Belebung der City setzen. Am Freitag endete die bundesweit einmalige Aktion. Im Gespräch mit den Fachmedien „Der Neue Kämmerer“ und „OBM-Zeitung“ resümiert OBM und Kämmerer Thomas Spies die Aktion.
Marburger Stadt-Geld: Insgesamt rund 1,5 Millionen Euro eingelöst
OBM: Herr Spies, dass eine Stadt ein eigenes „Stadt-Geld“ auflegt, ist einzigartig. Wie kam es zu der Idee?
Thomas Spies: Den sogenannten Marburg-Gutschein, der nur in der Stadt eingelöst werden kann, gibt es bereits. Insofern ist den Marburgern das Prinzip bekannt. In der Stadtgesellschaft und -politik haben wir dann darüber diskutiert, ob wir dieses Prinzip auch im Zusammenhang mit der Coronakrise anwenden können. Zur schrittweisen Wiedereröffnung nach dem Lockdown haben wir uns überlegt, wie wir die Wiederbelebung von Handel, Gastronomie und Wirtschaft beschleunigen können. Übrigens ist das Stadt-Geld keine exklusive Marburger Idee: Auch in der Bundespolitik trug der Grüne Anton Hofreiter den ähnlichen Vorschlag zur Auflage eines Kauf-vor-Ort-Gutscheins vor.
OBM: Das Stadt-Geld hat die Stadt in Gutscheinform a 20 beziehungsweise 50 Euro an ihre Bürger versandt. Insgesamt wurden Gutscheine im Wert von rund 1,9 Millionen Euro ausgegeben. Sie konnten lokal in teilnehmen Betrieben, etwa im Handel, in der Gastronomie, für Dienstleistungen eingesetzt werden. Wie ist die Resonanz darauf?
Thomas Spies: Wir haben unsere Aktion zuvor mit den Vertretern der lokalen Wirtschaft und des Einzelhandels besprochen und aus diesem Kreis großen Zuspruch erhalten. Insgesamt haben rund 550 Betriebe, in denen das Stadtgeld eingelöst werden konnte, an der Gutscheinaktion teilgenommen. Dies entspricht dem überwiegenden Teil der Einzelhändler, Gastronomen und Dienstleister in der Innenstadt. Auf eine Zwischenumfrage im Laufe der Aktion zeigten sich über 90 Prozent dieser Betriebe zufrieden oder sehr zufrieden mit ihr. Auch die Abwicklung lief reibungslos. Aufgrund des digitalisierten Verfahrens konnten wir als Stadt den Geldwert der eingelösten Gutscheine in der Regel zeitnah, spätestens nach einer Woche, an die jeweiligen Betriebe überweisen. Insgesamt wurden rund 80 Prozent der Gutscheine eingelöst, dies entspricht rund 1,5 Millionen Euro.

Rund 550 Läden nahmen an der Marburger Stadtgeldaktion teil, darunter auch dieses Geschäft; hier beim Besuch von OBM Thomas Spies. (Quelle: Stadt Marburg/Georg Kronenberg)
Stadt-Geld führt zu drei Mal so hohen Umsatzimpulsen
OBM: Das Stadt-Geld wurde am 24. Juni versandt und konnte bis 15. August eingelöst werden. Ein Ziel der Aktion war es auch, zusätzliche Geldkreisläufe in der Stadt zu generieren, die über den Gutscheinwert hinausgehen. In welchem Umfang ist dies gelungen?
Thomas Spies: Das ist statistisch natürlich schwer zu greifen, da müssen wir uns auf die Rückmeldungen aus den Läden berufen. Demnach haben in rund 70 Prozent der Fälle die Kunden eine höhere Summe an Geld ausgegeben als sie dem Wert des Gutscheins entspricht. Hinzu kommen zusätzliche Einkäufe. Einzelberichten zufolge haben einige, die den Gutschein einlösten, bei der Gelegenheit auch andere Läden besucht. Die Menschen sind früher und häufiger in die Stadt gekommen als sie es sonst getan hätten. Wir schätzen vorsichtig, dass die Aktion zur Stärkung des lokalen Einzelhandels in einer Größenordnung beigetragen hat, die das Dreifache des eingesetzten Stadt-Geldes beträgt.
OBM: Das sind aber nicht nur Zusatzumsätze. Darunter sind wohl auch Einkäufe, sie ohnehin getätigt worden wären.
Thomas Spies: Das mag in Einzelfällen zutreffen. Aber die Ausgangslage war ja, die Menschen überhaupt dazu zu animieren, lokal einzukaufen. Ob ein Einkauf zusätzlich getätigt wurde oder beispielsweise „nur“ vorgezogen wurde, ist dabei zweitrangig. Wichtig war es, unmittelbare Umsatzimpulse zu geben, um die Liquiditätssituation der örtlichen Betriebe zu stabilisieren. Aus diesem Grund war die Einlösung des Gutscheins auch zeitlich befristet. Dass zudem einige der Händler berichten, über die Aktion sogar neue Kunden gewonnen zu haben, spricht dafür, dass die Aktion in nicht unerheblichem Maß zusätzliche Umsätze erzeugt hat.
Spies: Kaum ein Betrieb musste schließen
OBM: Wie nachhaltig ist denn die Aktion? Und werden Sie im Falle eines zweiten Lockdowns weiteres Stadtgeld ausgeben?
Thomas Spies: Nachhaltig ist sie deshalb, weil – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keiner der Betriebe schließen musste. Bisher ist es uns gelungen, den Einzelhandel und die Gastronomie in Marburg durch die Krise zu steuern. Für das innerstädtische Leben war die Aktion also höchst nachhaltig. Dabei darf nicht unterschätzt werden: Marburg ist eine Universitätsstadt, und viele der Studierenden finanzieren sich ihre akademische Ausbildung über Nebenjobs in der Gastronomie. Hier wollten wir alles dafür tun, dass dies weiterhin so geschehen kann und junge Menschen nicht ihre Ausbildung abbrechen müssen, weil Nebenjobs wegbrechen. Was die Reaktionen der Stadt auf einen möglichen zweiten Lockdown betrifft, lässt sich im Augenblick noch keine Aussage treffen. Mit der Coronakrise erleben wir teils täglich Neuerungen – da verbietet es sich, Prognosen abzugeben. Wir fahren auf Sicht und reagieren differenziert auf sich stellende Aufgaben.
Digitalisierung als Basis der Stadtgeldaktion

„Wir haben die wichtige Erfahrung gemacht, dass man vor Ort viel erreichen kann“: So resümiert OBM Thomas Spies die Marburger Stadtgeldaktion. (Quelle: Stadt Marburg)
OBM: Welche Erkenntnisse haben sie durch die Aktion gewonnen?
Thomas Spies: Erstens zeigt sich, dass es durchaus ein Bewusstsein der Menschen für das lokale Gewerbe und den lokalen Einzelhandel gibt. Die Menschen sind bereit dazu, den lokalen Einzelhandel zu nutzen, wenn ihnen der Mehrwert klar wird, dass – wenn Käufe ausschließlich über große Onlineportale getätigt würden – vor Ort im Zweifel lokale Leistungsfähigkeit unwiederbringlich verloren gehen kann. Dieses Bewusstsein und die Besinnung aufs Lokale gilt es, in der Coronakrise und darüber hinaus zu pflegen. Zweitens haben wir die Vorzüge der Digitalisierung erfahren. Sie ist die Grundlage für unsere Stadtgeldaktion, etwa was digitale Verfahren zum Postversand oder zur Auszahlung der Gutscheine betrifft. Uns als Marburger Stadtverwaltung kommt nun offensichtlich zugute, dass wir bereits vor der Coronakrise die Digitalisierung vorangetrieben haben. Drittens erhoffen wir uns in diesem Zusammengang auch zusätzliche Schubkraft für Digitalisierungsprozesse im lokalen Einzelhandel. In den vergangenen Jahren haben wir etwa den lokalen Einzelhändlern eine Beratung bezüglich ihrer Onlinepräsenz angeboten. Zum Unterstützungsangebot zählt, dass wir eine lokale Plattform für deren Onlinehandel schaffen. Durch die Stadtgeldaktion erhoffen wir uns einen zusätzlichen Auftrieb für dieses Projekts. Damit diejenigen, die am Computer einkaufen, dies auch „in Marburg“ tun können.
Spies: „Wir können vor Ort viel erreichen“
OBM: Wie fällt Ihr Resümee aus?
Thomas Spies: Natürlich sind Bund und Land in der Verantwortung, der Wirtschaft durch die Coronakrise zu helfen. Doch wir haben die wichtige Erfahrung gemacht, dass man auch vor Ort viel erreichen kann. Und dass die Menschen motiviert sind, lokal zu denken. Es ist gelungen, Handel und Gastronomie anzukurbeln. Eine weitere Erfahrung ist, dass die Menschen im Grunde diszipliniert und vernünftig in die Stadt zurückgekehrt sind. Zudem fühlen wir uns in unserer Finanzstrategie bestätigt: Wir sind eine eher gewerbesteuerstarke Kommune. Im Falle von Gewerbesteuernachzahlungen legen wir stets etwas zur Seite, um auf mögliche Einbrüche reagieren zu können. Dies hat sich in diesem Kontext für die Stadt als besonders hilfreich erwiesen.