Die Coronakrise bedeutet für die Innenstädte „eine Art Strukturwandel“. Das sagte Oberbürgermeister Thomas Westphal aus Dortmund am Freitag im Gespräch mit der OBM-Zeitung. Dieser Strukturwandel sei anders gelagert als die Umwälzungen in industriellen Branchen wie der Kohle- und Stahlindustrie oder des Brauereiwesens. Städte stünden nun vor der Aufgabe, die Transformation ihrer Zentren zu gestalten. „Die Annahme, Corona ist vorbei, und alles ist dann wieder so wie vorher, die hat keiner“, sagt Westphal über die Situation in Dortmund. Das Interview mit ihm wurde aufgezeichnet und ist als OBM-Video unten abrufbar.
„Vier S“: Handlungsprogramm für die Innenstadt
Um diesen Wandel zu bewältigen, veranstaltete Westphal zuletzt gemeinsam mit den Innenstadtakteuren in Dortmund eine sogenannte City-Runde. In diesem Zirkel tauscht sich der Oberbürgermeister über drängende Hausforderungen aus. Davon leitet er ein Handlungsprogramm für die Innenstadt ab. Konzeptionell richtet sich dieses nach vier strategischen Stoßrichtungen, die „vier S“.
Das erste S: „Sichern“
Die Stadt zielt darauf ab, den bestehenden Handel und die Innenstadtakteure darin zu unterstützen, die Krise zu überstehen. Dies betrifft große Häuser genauso wie kleine, inhabergeführte Betriebe. Eine umfassende Sicherung könne die Kommune nicht leisten, betont Westphal, jedoch in ihrem Rahmen helfen. „Das sind natürlich keine Milliardenbeträge, und das ist nicht die Bazooka von Olaf Scholz“, sagt er in Anspielung auf ein Zitat des Bundesfinanzministers zum Konjunkturprogramm des Bundes. „Aber es sind gezielte Unterstützungen.“
Unter anderem legt die Stadt ein kommunales Förderprogramm mit dem Titel „Neue Stärken“ auf. Das ist ausgestattet mit insgesamt 15 Millionen Euro, verteilt auf fünf Jahre. Damit will die Stadt nicht nur leidende Betriebe finanziell stützen, sondern auch beratend und vernetzend agieren sowie unternehmerisches Engagement anstoßen. Etwa fördert das Programm innovative Ansätze, Konzepte und Formate für die Zeit nach der Krise.
Eine weitere Besonderheit des Programms: Es zielt nicht nur auf die Branchen ab, die von der Krise besonders hart getroffen sind, sondern es fokussiert auch Sektoren, die nicht von der Krise erfasst sind oder sogar von ihr profitieren. Es setzt auf das Wechselverhältnis, in dem Branchen zueinander stehen. Grundsätzlich geht es darum, das Wachstum der Dortmunder Wirtschaft insgesamt zu fördern.
Das zweite S: „Schöner“
Um den Transformationsprozess der Innenstadt positiv zu flankieren, engagiert sich die Stadt für eine höhere Aufenthaltsqualität in ihrem Zentrum. Mehr Grün in der Fußgängerzone, neue Sitzgelegenheiten, Ruheinseln oder Pocket Parks – diese Stichworte nennt Westphal. Als Frequenzbringer und Attraktivitätsanker verweist er exemplarisch auf Wochen- und Spezialmärkte. Auch saisonale Gestaltungselemente wie die Weihnachtsbeleuchtung sollen die Aufenthaltsqualität im Zentrum steigern.
Das dritte S: „Struktur“
Was die strukturelle Situation angeht, sei das hohe Mietniveau in Citylagen für den Einzelhandel zusehends problematisch. Daher wolle die Stadt gezielt mit Immobilieneigentümern in Kontakt treten, um zu vermitteln. Dies könne dahingehend geschehen, dass die Mieten der Ladenzeilen im Erdgeschoß sinken und dafür die in höher gelegenen Stockwerken steigen, um die Gesamtrendite des Objekts zu erhalten. Dafür sei es allerdings wichtig, so Westphal, sich über Nutzungsoptionen zu unterhalten. Zudem dürfe man dabei den Aspekt des Wohnens in der Innenstadt nicht vergessen. Alles in allem sei von den Gebäudeeigentümern hinsichtlich der Mietstrukturen eine höhere Flexibilität gefordert – schließlich liege es nicht in deren Interesse, „nur einen Leerstand zu verwalten“.
Das vierte S: „Segmentierung“
Um die Innenstadt attraktiv und vital zu halten, bedürfe es einer noch feingliedrigeren Planung, als es bislang in vielen Städten der Fall ist. Westphal spricht von einer „Segmentierung“, also einer Gliederung der City in Quartiere. „Wir sortieren die Innenstadt ganz neu“, sagt er. Das Ziel sei dabei, thematische Stärken von Quartieren zu identifizieren und die einzelnen Viertel Quartiere danach individueller zu profilieren.
Verändertes Kaufverhalten wirkt auf die Innenstadt

OBM-Video mit Thomas Westphal (links) und Andreas Erb. (Quelle: Screenshot)
Der Wandel der Zentren und die diesbezügliche Herausforderung für Städte zeichneten sich schon seit Jahren ab, erklärt Westphal. Die Coronakrise wirke auf diese Prozesse wie ein Beschleuniger: Sie begünstige den Trend zum Onlinekauf und setze stationäre Händler zusätzlich unter Druck.
Den wesentlichen Grund für den Wandel der vom Einzelhandel geprägten Zentren sieht Westphal in der Veränderung des Kaufverhaltens. Die Menschen träfen ihre Kaufentscheidung in der Regel nicht mehr vorwiegend im Laden, sondern zu jeder Tages- und Nachtzeit beim Einsatz digitaler Endgeräte. Dies bedeute für Unternehmen, dass sie im Moment der Kaufentscheidung in der digitalen Welt auffindbar und präsent sein müssten. Die physische Präsenz in der City verliere – insbesondere im Hinblick auf digitale Bestell- und Lieferservices – unter diesem Blickwinkel an Relevanz.
Hinzu komme, dass die Kunden preisbewusster agierten. Die Einnahmen pro verkaufter Ware sänken. Dies habe im Zusammenhang mit den „komfortabel hohen Mieten“ in Innenstädten zur Folge, dass sich insbesondere kleinere Betriebe teure Citylagen nicht mehr leisten könnten.
So sieht die Innenstadt von morgen aus
Trotz dieser Trends sieht der Oberbürgermeister die Innenstädte nicht vor einem Aussterben. „Nach Corona wird es eine große Sehnsucht danach geben, sich wieder mit anderen Menschen draußen zu treffen“, prognostiziert er. Darauf müssten sich die Zentren – auch die Unternehmen – vorbereiten. „Es wird weiter den Wunsch geben, sich in der Mitte der Stadt zu treffen“, sagt Westphal, nur: „Die Mitte der Stadt wird sich geändert haben.“
Die Innenstadt der Zukunft sieht er stärker segmentiert in kleinere Quartiere mit „Aufenthalts- und Wohlfühlinseln“, die Raum für Flanieren und Genuss, für Gastronomie, Handel und Freizeitgestaltung bieten. Vom Land und vom Bund fordert Westphal, die Städte auf ihren Wegen dorthin zu unterstützen. Exemplarisch verweist er auf ein mit 70 Millionen Euro ausgestattetes Förderprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen.
Städte müssten den Mut und die Instrumente dafür haben, kreative Lösungen finden, Verfahren beschleunigen und Experimente wagen zu können. Beispielhaft nennt Westphal die Nachnutzung einer städtebaulich markanten Immobilie in Dortmund, die einst das Warenhaus Galeria Kaufhof belegte. Im Dialog mit dem Eigentümer wolle man das leerstehende Gebäude revitalisieren – und eine vielfältige Mischung unterschiedlicher Nutzungen dort verankern. Der Oberbürgermeister spricht von Kultur- und Konzertangeboten genauso wie von Gastronomie und Ladenzeilen.
Die Stadt ist dafür ein wichtiger Akteur: Die Dortmunder Wirtschaftsförderung plant, dort Räumlichkeiten zu belegen und darin einen Experimentierraum zu schaffen. Diesen will sie Startups mit innovativen Einzelhandelskonzepten – jeweils auf ein Jahr begrenzt – mietfrei zur Verfügung stellen.