Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf die Städte? Wie verändert sich Urbanität? Vor welchen Herausforderungen stehen die Kommunen, und wo sind sie besonders gefordert? Wie ist das Konjunkturpaket des Bundes einzuordnen, und wo sind Bund und Länder nun gefragt, um den Kampf gegen die Krise auf der lokalen Ebene weiterhin zu stützen? Mit diesen Fragen haben sich die Direktoren des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu), Carsten Kühl und Arno Bunzel, in ihrer Expertise „Stadtentwicklung in Coronazeiten – eine Standortbestimmung“ beschäftigt. Darüber spricht Bunzel nun ausführlich im Interview mit den Fachmedien „OBM-Zeitung“ und „Der Neue Kämmerer“.
Der Föderalismus erweist sich als sehr tragfähig
OBM: Die Coronakrise im September 2020: Herr Prof. Dr. Bunzel, wie fällt Ihre Bestandsaufnahme aus? Welche Rolle spielen die Städte in der Krise?
Arno Bunzel: Die Städte spielen in der Krise eine wichtige Rolle. Sie agieren nah an den Bürgern. Mit dem Lockdown galten von jetzt auf gleich massive Einschränkungen – vieles davon spielt sich in den Städten ab, und die Kommunalverwaltungen sind gefordert, die Krise zu meistern. Angesichts der enormen Herausforderung bekommen sie dies insgesamt gut hin. Außerdem haben sie Innovationen geschaffen – Stichwort Homeoffice – und machen notgedrungen neue Erfahrungen, was ihre Krisenfestigkeit betrifft. Besonders gefordert sind die kommunalen Gesundheitsdienste – sie tragen einen wichtigen Teil dazu bei, die Krise zu beherrschen.
OBM: Nun gab es Situationen, in denen benachbarte Städte unterschiedlich gegen die Pandemie vorgingen, als mache die Virusverbreitung an der Stadtgrenze halt. Gleiches gilt etwa für Landesgrenzen. Zeigt die Coronakrise dem Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung sprichwörtlich Grenzen auf?
Arno Bunzel: Es mag sein, dass in bestimmten Konstellationen Probleme entstehen, die erklärt werden müssen. Zum Beispiel, wenn benachbarte Großstädte unterschiedlich agieren. Die aktuelle Krise ist allerdings ein kontinuierlicher Lernprozess, es gibt keine Muster oder Standards dafür. Wichtig ist, dass aus solchen Differenzen gelernt wird. Im Übrigen erweist sich der Föderalismus als sehr tragfähig. Angesichts der teils großen regionalen Unterschiede, was die Verbreitung des Coronavirus betrifft, sind räumlich differenzierte Handlungskonzepte geradezu geboten. Hierin liegt eine Stärke des Föderalismus.
Im Krisenmodus die Stadtentwicklung nicht vernachlässigen
OBM: Worin sind die Kommunen denn nun besonders gefordert?
Arno Bunzel: Nach wie vor stehen sie vor der großen Aufgabe, den Notstand zu bewältigen. Hier gilt es stets, auf teils tagesaktuelle Entwicklungen zu reagieren. Doch gleichzeitig dürfen sie drängende Fragen der Stadtentwicklung nicht vernachlässigen. Möglicherweise sind Zukunftsaufgaben angesichts der Krise neu einzuordnen und unter veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen zu betrachten. Doch es darf nicht zum Stillstand kommen. Die notwendige Transformation zur nachhaltigen Stadt darf nicht zurückstehen. Während sie die Krise bewältigen, müssen Städte gleichzeitig die Zukunft forcieren.
OBM: Was meinen Sie konkret?
Arno Bunzel: Die Herausforderungen liegen auf der Hand. Zum Beispiel die der Digitalisierung: Gerade dieses Thema hat in der allgemeinen öffentlichen Bewertung eher von der Krise profitiert. Die Vorteile der Smart City zeigen sich in der Krise. Städte erkennen verstärkt die darin liegenden Chancen und die Notwendigkeit, die digitale Infrastruktur zu gestalten. Dabei dürfen aber Risiken nicht vergessen werden: Stichworte dafür sind Resilienz, Abhängigkeiten von multinationalen Konzernen und Datensicherheit. Auch spielt der soziale Zusammenhalt eine wichtige Rolle. Diejenigen, die keinen oder nur begrenzten Zugang zur digitalen Welt haben, dürfen nicht abgehängt werden.
Verkehrswende und Klimawandel bleiben Zukunftsthemen
OBM: Sie haben die Digitalisierung als einen Bereich angesprochen, der durch die Coronakrise Auftrieb erhält. Wie steht es um die Mobilitätswende? Wird sie von der Coronakrise, in der sich viele Menschen vom ÖPNV abkehren, zurückgeworfen?
Arno Bunzel: Die diesbezügliche Bewertung ist ambivalent und nicht abschließend. Innerhalb der Städte erkennen wir im Augenblick, dass andere Verkehrsmittel als der ÖPNV profitieren. Dazu gehören das Fahrrad und die Fußläufigkeit. Grundsätzlich tun diese beiden der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht gut. Andererseits stellen wir aber eben einen Trend zu individueller Mobilität fest, der betrifft auch das Auto. Wie nachhaltig diese Trends sind, lässt sich nicht absehen und hängt wohl auch mit dem weiteren Infektionsgeschehen zusammen. Der ÖPNV steht vor der Aufgabe, Vertrauen zurückzugewinnen. Er bleibt ein wichtiger Baustein dafür, die Verkehrswende – weg vom Verbrennungsmotor – zu gestalten.
OBM: Ein weiteres globales Zukunftsthema, dem sich Städte stellen, ist der Klimawandel.
Arno Bunzel: Hier hat die kommunale Ebene eine große Steuerungskraft. Es ist zu hoffen, dass durch eine entsprechende Ausgestaltung des Konjunkturpakets gerade auf diesem Feld Innovation stattfindet. Wenn das Konjunkturpaket des Bundes dazu genutzt wird, Anreize für den Umbau der Gesellschaft zu einer postfossilen zu setzen, dann könnte das zusätzliche Positiveffekte ausstrahlen.
Wie effektiv ist das Konjunkturpaket des Bundes?
OBM: Wie ist denn das Konjunkturprogramm des Bundes insgesamt zu bewerten?
Arno Bunzel: Der Ausgleich der Einnahmeverluste, die die Städte bei der Gewerbesteuer zu verzeichnen haben, durch den Bund ist für die Städte zentral. Auch der Aspekt, dass der Bund seinen Anteil an den Kosten der Unterkunft (KdU) von 50 auf 75 Prozent erhöht und die Kommunen so entlastet, fängt Kosten auf. Problematisch ist jedoch, dass der Gewerbesteuerausgleich zeitlich befristet ist. Und auch im Bereich der KdU werden die Effekte mittelfristig möglicherweise nicht so rosig sein, wie sie sich mancher erhofft.
OBM: Wie meinen Sie das?
Arno Bunzel: Ich glaube, dass hier ein Problem auftreten könnte, das in dieser Dimension noch nicht reflektiert worden ist. Wenn wir beispielsweise auf die Situation des Wohnraummarktes und die vielerorts stark steigenden Mieten schauen, dann ist zu erkennen, dass die Mietbelastung insgesamt wächst und die Kommunen in der Folge mit erheblichen Mehrbelastungen zu rechnen haben, was die Kdu betrifft. Die Kosten steigen absehbar weiter. Obwohl der Bund seinen Anteil an den KdU also erhöht, wird daher mittelfristig in den kommunalen Haushalten wohl nicht mit immensen Einsparungen zu rechnen sein. Es ist zu befürchten: Das, was der Bund neu übernimmt, wird an anderer Stelle durch höhere Kosten aufgefressen.
Kommunalfinanzen ausschlaggebend für Stabilität in der Krise
OBM: Worin sind Bund und Länder denn nun gefordert?
Arno Bunzel: Bund und Länder haben vor allem für eine adäquate Finanzausstattung sorgen, dass die Kommunen ihre Aufgaben bewältigen können. Dabei ist die unterschiedliche finanzielle Leistungsstärke der Städte eine Herausforderung. Ein Teilaspekt bei der Bewertung des Konjunkturprogramms ist, dass es für die finanzschwächeren Städte keinen Durchbruch verheißt. Stichwort: Altschuldenlösung. An dieser Stelle ist das Konjunkturpaket weniger gelungen. Die strukturell bedingte Finanzklemme vieler Städte wird durch das Konjunkturpaket nicht beseitigt. Nun muss es darum gehen, diesen Städten zumindest den Zugang zu den im Konjunkturprogramm angelegten Förderprogrammen offenzuhalten. Dies bedeutet, die sonst sinnvollen Eigenanteile der Kommunen müssen reduziert werden, oder es muss ganz auf sie verzichtet werden können. Es geht hier am Ende auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt – eines der großen Themen unserer Zeit.
OBM: Sie fordern in Ihrer Untersuchung eine Reform der kommunalen Finanzbeziehungen, die das Gemeindesteuersystem weniger konjunkturabhängig macht. Das betrifft jeden kommunalen Haushalt. Also weg mit der Gewerbesteuer?
Arno Bunzel: Es geht um den Umbau der kommunalen Finanzierungsbasis. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Gewerbesteuer konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt ist. Das ist fatal für Städte, die doch dazu angehalten sind, konjunkturpolitisch vernünftig, also antizyklisch, zu investieren. Es geht darum, eine konjunkturunabhängige Finanzbasis für die Städte zu haben.
Nur geringe Effekte der Coronakrise auf Stadt-Umland-Beziehungen

Die Difu-Studie gibt eine aktuelle Standortbestimmung zur Stadtentwicklung in Coronazeiten. (Quelle: Difu)
OBM: Die mit der Coronakrise verbundene Erfahrung von räumlich dezentralen Arbeitsmodellen wie Home-Office-Lösungen lässt vermuten, dass dies Stadt-Umland-Beziehungen beeinflusst. Nämlich dahingehend, dass das Umland von der größeren Dezentralität profitiert und so dem Verdichtungsdruck in urbanen Zentren etwas entgegengesetzt werden kann.
Arno Bunzel: In einer ersten Reaktion ist diese These naheliegend. Sicher kommen die Digitalisierung und die erweiterten Möglichkeiten, von Zuhause zu arbeiten, der Attraktivität des Umlandes zugute. Doch zur Standortpräferenz bei der Wohnortwahl gehört eine Vielzahl von Faktoren. Wichtiger erachte ich zum Beispiel, dass es sich manche Bevölkerungsgruppen irgendwann schlicht nicht mehr leisten können, in teuren Stadtwohnungen zu leben. Diese werden dann zwangsläufig „nach draußen“ ziehen, um ihre Wohnpräferenz dort zu realisieren. Die Wanderungsbewegung ist also eher ökonomisch getrieben, weniger durch neue Home-Office-Lösungen. Zudem handelt es sich bei den Arbeitsplätzen, die sich dezentral organisieren lassen, in der Regel um eine begrenzte Anzahl von durchaus exklusiven Bürojobs. Durch die Coronakrise mag Bewegung in die Organisation von Arbeitsmodellen kommen. Ich bin in Summe aber eher der Auffassung, dass dies das strukturelle Verhältnis von Stadt und Umland nicht nachhaltig oder gravierend verschiebt. Die dafür maßgeblichen Ursachen und Faktoren sind andere.
Coronakrise beschleunigt den Strukturwandel der Innenstädte
OBM: Was bedeutet die Coronakrise für den Einzelhandel und damit verbunden den Städtebau: Ist ein Ausbluten der Innenstädte als „Einkaufszentren“ zu erwarten?
Arno Bunzel: Schon vor der Pandemie standen die Innenstädte vor der Herausforderung eines Strukturwandels, zu dem die Veränderungen des Einzelhandels wesentlich beitragen. Dies hat in der Krise eine ganz andere Wucht bekommen. Der Strukturwandel der Innenstädte wurde massiv beschleunigt. Die Anzeichen für diese These verdichten sich. Damit verbunden tritt zutage, wie abhängig die Entwicklung bestimmter Innenstadtlagen vom Immobilienmarkt ist. Städten ist zu raten, hier das Heft des Handelns nicht aus der Hand zu geben und Schlüsselimmobilien in ihren Besitz zu bringen. Denn die Investitionsideen, die am Markt generiert werden, stehen nicht selten im Widerspruch zu den Erfordernissen einer Innenstadtbelebung und können mit langfristig wirkenden Problemen für das Umfeld oder die Innenstädte insgesamt verbunden sein.
Corona unterstreicht die Relevanz der doppelten Innenentwicklung
OBM: Gleichzeitig sorgt die Coronakrise für eine „Renaissance des öffentlichen Raums“. Die Menschen nutzen ihn als Treffpunkt. Wie verändert sich das Stadterlebnis?
Arno Bunzel: Das ist eine Frage, die sich vor allem im mentalen Bereich abspielt. Die Wahrnehmung und Bedeutung des öffentlichen Raums ist durch die Pandemie tatsächlich gestärkt. Der öffentliche Raum – Parks, Plätze, Ufer, Innenstädte – sind Begegnungsorte für die Menschen im Freien, teils werden sie während der Coronakrise sogar zu Ausweichorten für geschlossene Diskotheken. Das zeigt: Städte sind relevante Orte, an denen Menschen sich begegnen. Gleichzeitig verdeutlicht dies die Wichtigkeit einer doppelten Innenentwicklung: Nach innen dicht bebauen und Aspekte wie Funktionalität, Infrastruktur oder Mobilität fokussieren. Gleichzeitig geht es aber auch um Wohlfühlen, Aufenthaltsqualität, städtisches Grün und Freiräume. Was nach einem Dilemma klingt, erfordert intelligente Lösungen in der Stadtentwicklung.
Politische Diskussionsqualität wichtiger Faktor im Krisenmanagement
OBM: Welche Rolle hat die Stadtgesellschaft im Kampf gegen Corona? Gerade angesichts der Coronaproteste und kruder Verschwörungstheorien: Wie wichtig ist eine lokale Informations- und Kommunikationspolitik?
Arno Bunzel: Dies ist ein wichtiges Thema auch über die Krise hinaus. Unser gesellschaftliches Zusammenleben steht auf der Probe, und zwar schon seit einigen Jahren. Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren, ist eine der großen Herausforderungen, denen unsere Demokratie gegenübersteht. Was wir an Kritik und Protesten erleben, ist auch eine Frage des Umgangs miteinander. Dass sich bestimmte Gruppen vom „Mainstream“ abgehängt fühlen oder sich von ihm abgrenzen wollen, eine andere Auffassung haben und sich dementsprechend artikulieren, ist demokratisch legitim. Doch wenn sie sich verweigern, solidarisch zu handeln, wird es zum Problem – gerade in einer Zeit der Pandemie, in der Städte riesige Aufgaben zu bewältigen haben, die Solidarität erfordern. Umso wichtiger ist es, dass Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker ihr Handeln nachvollziehbar erklären. Die Kommunikation muss glaubhaft, nachvollziehbar, authentisch sein und angesichts der schwierigen Herausforderung durchaus auch selbstkritisch reflektierend. Dieses Muster der Erklärung ist in der Pandemie bislang entscheidend für die Akzeptanz vieler teils restriktiver Maßnahmen. Es sollte zum Maßstab der Kommunikation im politischen Diskurs werden. Aus lokaler Sicht geht es zudem um das Einbinden der Stadtbevölkerung. Dabei gilt es auch, das große zivilgesellschaftliche Engagement, das während der Coronakrise zu erleben ist, wertzuschätzen und nicht zu frustrieren. Denn das leistet einen nicht hoch genug zu bewertenden Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt.
„Stadtentwicklung in Coronazeiten – eine Standortbestimmung“
Das Papier „Stadtentwicklung in Coronazeiten – eine Standortbestimmung“ kann auf der Webseite des Difu hier abgerufen werden. Es steht kostenlos bereit.