Die Energiekrise bedroht viele Stadtwerke in ihrer Substanz. Sie gefährdet auch den Mittelstand, die Daseinsvorsorge und Klimaschutzprojekte.

Die Energiekrise belastet Kommunen und deren Stadtwerke. Wie schlägt sie sich konkret auf die kommunalen Unternehmen nieder, was steht auf dem Spiel und was erwartet die Branche von Bund und Ländern, um die Krise abzumildern? Darüber spricht Andreas Hollstein mit #stadtvonmorgen. Hollstein ist Landesgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) in Nordrhein-Westfalen.

„Turbulenzen, die uns in die Zange nehmen“

#stadtvonmorgen: Herr Dr. Hollstein, wie stehen die kommunalen Unternehmen in der Energiekrise da? Wie verstehen sie ihre Rolle, wie ist ihre Betroffenheit?

Andreas Hollstein: Die Lage für uns Stadtwerke in Nordrhein-Westfalen ist sehr ernst. Der Krieg in der Ukraine und die daraus folgende Preisentwicklung an den Energiemärkten prägen unsere Situation. Sie sorgen für Turbulenzen, die uns in die Zange nehmen. Auf der einen Seite sind da die Vorlieferanten und Importeure. Da ist es gut, dass der Staat Unternehmen wie Uniper stützt und so die Gasversorgung sichert. Gleichwohl erleben wir exorbitant steigende Preise und damit höhere Zwischenfinanzierungsaufwände und, dass Importeure und Großhändler zunehmend Sicherheiten fordern – quasi als Kaution. All das führt zu einem Abfluss oder zu einer Bindung von Liquidität. Stadtwerke müssen die Energie, die sie verkaufen, vorfinanzieren – sie erhalten das Geld aber erst mit zeitlichem Verzug von ihren Kunden zurück. Insofern haben die Stadtwerke mit Blick auf die Angebotsseite eine hohe Belastung ihrer Liquidität zu verzeichnen.

#stadtvonmorgen: Und die andere Wirkstelle der Zange?

Andreas Hollstein: Auf der Nachfrageseite drohen Zahlungsausfälle. Mancher wird sich die hohen Energiepreise nicht leisten können. Einiges an staatlichen Hilfen ist zwar schon auf dem Weg, doch noch ist nicht ganz klar, wie diese konkret ausgestaltet sein werden. Dass schnell geholfen werden soll, begrüßen wir ausdrücklich. Es braucht eine Entlastung für Verbraucher, Gewerbe, Handel und Industrie. Manche Stadtwerke rechnen schon mit Zahlungsausfällen von 10 bis 15 Prozent – das ist eine ernste Situation.

Daseinsvorsorge, Mittelstand, Energiewende „in Frage“

#stadtvonmorgen: Welche Effekte hätte es, wenn Stadtwerke in Schieflage gerieten?

Andreas Hollstein: Zahlungsausfälle von mehr als zehn Prozent können Ertrag und Eigenkapital der Stadtwerke aufzehren. Verluste und Liquiditätsnöte können die Unternehmen in schwere Bedrängnis bringen. Die Auswirkungen wären vielfältig. Wer wie Stadtwerke aktuell seine Liquidität für die Versorgung benötigt, investiert nicht mehr in Energiewendeprojekte. Konkret: Budgets, die ursprünglich für die Wärmewende, den Ausbau erneuerbarer Energien oder für die Modernisierung und den Erhalt von Infrastrukturen vorgesehen waren, stünden dann nicht mehr zur Verfügung. Wegen der exorbitanten Preissteigerungen am Energiemarkt und der daraus resultierenden Energiekrise wächst zudem die Gefahr, dass Stadtwerke vielen gewerblichen Kunden keine neuen Energiefolgeverträge, für die sie neue Energiemengen beschaffen müssten, anbieten können. In Nordrhein-Westfalen verzeichnen wir bereits Fälle, in denen es die mittelständische Wirtschaft schwer hat, überhaupt Anschlussverträge für ihre Energieversorgung zu bekommen. Außerdem wird mit den Gewinnen der Energieversorger seit jeher die kommunale Daseinsvorsorge querfinanziert. Hier stünde einiges in Frage.

#stadtvonmorgen: Was muss denn geschehen, um dieser Bedrohung zu begegnen? Welche Forderungen haben Sie an das Land und den Bund?

Andreas Hollstein: Wir sprechen uns sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene für einen gemeinsamen Schutzschirm aus. Diese Forderung wird massiv zudem von den kommunalen Spitzenverbänden und verwandten Branchenverbänden an die Politik herangetragen. Es geht um einen Schutzschirm, der den beschriebenen Risiken effektiv vorbeugt. Die nordrhein-westfälische Landespolitik hat die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit eines solchen Schutzschirms erkannt.

Es braucht einen Schutzschirm für Stadtwerke

#stadtvonmorgen: Wie sollte ein solcher Schutzschirm aus Ihrer Sicht konkret wirken?

Andreas Hollstein: Im Wesentlichen geht es darum, drei Risiken zu minimieren. Erstens gilt es, die Zeit zwischen Energiebeschaffung und -verkauf zu überbrücken. Denn die derzeit hohen Preise im Einkauf belasten, wie beschrieben, die Liquidität vieler Stadtwerke in bislang nicht gekanntem Ausmaß. Um die Energieversorgung sicherzustellen, benötigen die Stadtwerke Liquidität und eine Absicherung gegen mögliche Schieflagen. Zweitens gilt es, den Handel zu stützen. Die meisten Stadtwerke agieren im außerbörslichen OTC-Handel. Dort fordern immer mehr Groß- und Zwischenhändler zur Absicherung ihrer Risiken zusätzliche Sicherheiten. Das bindet zusätzlich Liquidität und schränkt die Bereitschaft zu Anschluss- und Folgegeschäften ein. Dass der Bund zuletzt die Akteure an der Börse mit Sicherungsmaßnahmen stabilisierte, ist richtig – im OTC-Handel wären diese Sicherheiten aber ebenfalls wichtig. Hier denken wir an Liquiditätshilfen oder Garantien. Drittens gilt es, die Folgen der Energiekrise für die Bürger vor Ort abzufedern. Viele Stadtwerke befürchten aufgrund der steigenden Energiepreise Zahlungsausfälle. Es ist einerseits eine soziale Frage, den Menschen zu helfen – der sogenannte Gaspreisdeckel ist ja bereits angekündigt. Es trägt andererseits aber auch zur Stabilität des Versorgungssystems bei, wenn Energie bezahlbar bleibt. Gut ist, dass die jüngste Ministerpräsidentenkonferenz die benannten Liquiditätsbedarfe anerkannt hat. Das ist ein Fortschritt. Nach den weitergehenden Aussagen der Länderchefs eine Woche zuvor hätten wir uns freilich konkretere Aussagen vor allem zum weiteren Vorgehen erwartet. Die Zeit drängt. Jederzeit ist eine Überlastung der Versorger möglich. Aktuell leiden Mittelstand und Industrie schon unter den erschwerten Bedingungen, geeignete Anschluss- und Langfristverträge für Energielieferungen zu erhalten.

#stadtvonmorgen: Nun sind viele Stadtwerke über ihre Aufgaben im Bereich der Energieversorgung hinaus Träger der öffentlichen Daseinsvorsorge. Vor Ort bringen sie Klimaschutzprojekte voran, gestalten die digitale Infrastruktur oder den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Wir riskant ist denn die Energiekrise für Leistungen wie diese und die öffentliche Daseinsvorsorge?

Andres Hollstein: Natürlich sind auch solche Leistungen einem hohen Risiko ausgesetzt, wenn Stadtwerke um ihre Liquidität ringen. Ich denke beispielhaft daran, dass Nordrhein-Westfalen gezielt die erneuerbaren Energien ausbauen und dafür in der laufenden Legislaturperiode 1.000 zusätzliche Windkraftanlagen errichten möchte. Ohne Stadtwerke ist dieses Ziel nicht realisierbar. Aber die Stadtwerke brauchen vor allem die Liquidität, derartige Investitionen stemmen zu können. Ähnliches gilt für die Smart City und den Breitbandausbau sowie damit verbundene Themen wie die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Ein anderes Feld ist die Elektromobilität und die dafür nötige Ladeinfrastruktur. Die Stadtwerke sind hier wesentlich, jede zweite Ladesäule ist eine kommunale. Nicht zuletzt für eine kommunale Wärmeplanung sind die Stadtwerke vorderste Akteure. Nordrhein-Westfalen verfolgt innovative Projekte zur Sektorenkopplung, um sich stärker in Richtung Wasserstoff und hin zur Nutzung von Abwärme zu bewegen. Die Themen Wasserstoff und Elektromobilität betreffen auch den öffentlichen Personennahverkehr und die Umstellung von Flotten. Viele Zukunftsthemen sind miteinander verwoben. Sie erfordern Investitionen und Finanzmittel.

„Zukunft der Energieversorgung gelingt nur mit Stadtwerken“

#stadtvonmorgen: Wenn Sie über die Krise hinaus blicken: Wie sehen Sie die Zukunft der Energieversorgung und die Rolle der Stadtwerke? Wird die Transformation der Energieversorgung auch zu einer stärkeren Ausdifferenzierung und Dezentralisierung der Energieproduktion führen?

Andreas Hollstein: Die Zukunft der Energieversorgung gelingt nur mit den Stadtwerken. Sie sind die kompetenten Praktiker vor Ort. Die neue Energiewelt wird vor Ort individuell gestaltet. Kommunale Wasserstofferzeugung, die Organisation eines Fernwärmesystems, die Nahversorgung im Wärmebereich, die Suche nach Standorten für Windräder oder Flächen für Photovoltaik: All dies ist von lokalen Gegebenheiten abhängig. Da braucht es jemanden, der nicht nur die lokalen Gegebenheiten kennt, sondern auch ins Handeln kommt. Dafür stehen die Stadtwerke. Gleichwohl wird das bestehende Modell des Ankaufs, Weitervertreibens und Verkaufens von Energie weiterhin gebraucht. Doch schon lange entwickeln viele Stadtwerke darüber hinaus neue Geschäftsfelder und nehmen damit ihre Verantwortung für die kommunale Daseinsvorsorge und wichtige Transformationsaufgaben wahr. Die Energieerzeugung und -verteilung muss gemanagt werden – gerade hinsichtlich des verstärkten Einbezugs erneuerbarer Energien. Dafür sind die Stadtwerke unverzichtbar. Ihr großer Vorteil ist es, dass sie lokal verankert sind, die Situation vor Ort kennen, unmittelbarer Ansprechpartner der Menschen sind und im Wechselspiel mit der Lokalpolitik passgenaue Lösungen erarbeiten. Dazu gehört ihre Daten- und Digitalkompetenz. Dies gilt beispielsweise hinsichtlich einer kommunalen Wärmeplanung, des Umstiegs auf Fernwärmesysteme, der Konzeptionierung von Wärmepumpen, des Breitbandausbaus, der Steigerung der Energieeffizienz im Gebäude- und Industriebereich oder der Planung von Versorgungsnetzen in Sachen Strom und Wasser sowie des Zubaus von Solarstrom. Die Stadtwerke wissen um Verbrauchsmuster, kennen ihre Nutzer und verstehen es, sektorenübergreifend zu denken. Damit sind sie an vielen Stellen ein Treiber und Garant für Transformation.

a.erb@stadtvonmorgen.de

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