Um den zunehmenden Zuzug von Flüchtlingen insbesondere aus der Ukraine zu bewältigen, kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser heute nach einem Gespräch mit Vertretern aus Ländern und Kommunen eine intensivere Abstimmung zwischen den staatlichen Ebenen an. Sie wolle das „enge, vernetzte Zusammenarbeiten in Zukunft noch einmal erheblich verdichten“, sagte sie im Anschluss an das Treffen bei einer Pressekonferenz. Um die Kapazitäten der Kommunen zu entlasten, stellt der Bund laut Faeser noch einmal 56 Immobilien zur Flüchtlingsaufnahme bereit. Dies entspricht etwa 4.000 Plätzen. Zudem sollen im November weitere Gespräche zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und den Ministerpräsidenten über die Finanzierung von Kosten der Flüchtlingsaufnahme folgen.
Flüchtlingsaufnahme: Viele Städte an Kapazitätsgrenzen
Die Kommunen seien bereit, humanitäre Verantwortung zu übernehmen und Solidarität zu zeigen. Gleichwohl sei die Lage in vielen Städten „ernst“, beschrieb der Vizepräsident des Deutschen Städtetags Burkhard Jung, Oberbürgermeister von Leipzig, bei der Pressekonferenz die Situation. Vielerorts würden provisorische Unterkünfte geschaffen – in Container- und Zeltstädten, in Turnhallen oder auf Messegeländen. Dort stießen Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.
Bei der Aufnahme von Flüchtlingen handele sich um eine „Gemeinschaftsaufgabe“ von Bund, Ländern und Kommunen. Entsprechend bedürfe es einer Unterstützung der örtlichen Akteure seitens der höheren staatlichen Ebenen. Dies betreffe die von Faeser in Aussicht gestellte Kostenlösung noch in diesem Jahr, die auch rückwirkend geltend müsse, so Jung. Das Gespräch mit der Ministerin wertete Jung insgesamt positiv.
Städte vermissen Konkretes vom Flüchtlingsgipfel
Dennoch regt sich hinsichtlich der konkreten Ergebnisse des Gipfels in der kommunalen Familie Skepsis. Unmittelbar nach dem Pressegespräch übte etwa der Niedersächsische Städtetag deutliche Kritik. Man vermisse eine „klare Vereinbarung zur Finanzierung der Kosten oder zur bundesweiten und europäischen Verteilung der Flüchtlinge“, sagt Hauptgeschäftsführer Jan Arning.
Gemessen an der Brisanz der Lage seien „56 weitere Bundesimmobilien mit rund 4.000 Unterbringungsmöglichkeiten ein Witz“. Dass Länder und Kommunen laut Ankündigung der Ministerin nun verstärkt über die Situation informiert werden sollten, „müsste doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein“, kritisiert Arning.
„Höchste Zeit“ für eine Finanzlösung
An die Seite der Kommunen stellte sich bei der Pressekonferenz mit Bundesministerin Faeser der bayerische Innenminister Joachim Hermann, Vorsitzender der Innenministerkonferenz. Für eine verlässliche und belastbare Finanzlösung sei es „höchste Zeit“. Sie dürfe nicht abermals vertagt werden. Es sei „dringend notwendig, dass es im November zu einer Einigung kommt“. Dabei müssten die Kommunen auch damit rechnen können, dass die Inflation und sonstige Preissteigerungen mitgedacht würden.
Wie Faeser wies Hermann darauf hin, dass derzeit neben den Fluchtbewegungen aus der Ukraine auch die Migration aus anderen Regionen der Welt nach Europa und Deutschland, insbesondere über die sogenannte Balkanroute, zunehme. Der wachsende Druck auf die EU-Außengrenzen bereite ihr „Sorge“, sagte Faeser dazu.
Fluchtbewegungen nach Deutschland nehmen zu
Die Bundesministerin kündigte in diesem Zusammenhang an, das Thema auf europäischer Ebene besprechen zu wollen. Mit Österreich und Tschechien habe sie bereits verabredet, dass beide Länder neue Grenzkontrollen zur Slowakei einführen und dass die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich noch ein halbes Jahr fortgesetzt werden. Serbien sei aufgerufen, die eigene, „inakzeptable“ Visapraxis anzupassen, um illegalen Grenzübertritten vorzubeugen.
Bislang hat Deutschland rund eine Million ukrainischer Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder, aufgenommen. Da sich das Kriegsgeschehen dynamisch entwickelt, gebe es keine verlässliche Prognose, „wie viele Menschen vor Putins Angriffen fliehen werden“, erklärt Faeser. Die gestrigen Raketenangriffe Russlands auf ukrainische Städte bezeichnet sie als „entsetzliche Kriegsverbrechen, die wir uns in Europa so hätten nicht mehr vorstellen können“.