Die Kommunalverbände Baden-Württembergs legen einen flüchtlingspolitischen Zwölf-Punkte-Plan vor. Sie fordern die Entlastung von Kommunen.

Die Aufnahme von Flüchtlingen stellt Kommunen vor immer drängendere Aufgaben. Die Rufe an Bund und Länder, für Entlastung zu sorgen, werden immer lauter. Gestern legten die kommunalen Landesverbände Baden-Württembergs – der Gemeindetag, der Landkreistag und der Städtetag – diesbezüglich ein gemeinsames Positionspapier vor. Mit der sogenannten Stuttgarter Erklärung zeigen sie einen Zwölf-Punkte-Plan „für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik“ auf. Dabei geht es ihnen vor allem um die Finanzierung von Unterbringungs- und Integrationskosten, eine ausgewogene Verteilung der Flüchtlinge in Europa und Deutschland, die Beschleunigung von Aufnahmeverfahren sowie die Integration der Asylbewerber in den Arbeitsmarkt.

Neue europäische und nationale Flüchtlingspolitik

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 244.132 Asylanträge gestellt. Außerdem kamen über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine. Demgegenüber verzeichnet Europa 966.000 Asylanträge und vier Millionen Menschen aus der Ukraine. Diese Zahlen zeigten, dass Deutschland in beiden Fällen „überdurchschnittlich viele Menschen aufgenommen“ habe, heißt es im Zwölf-Punkte-Plan der kommunalen Spitzenverbände Baden-Württembergs. Alleine das Bundesland habe mehr Flüchtlinge aufgenommen „als die ganze Republik Frankreich“. In baden-württembergischen Kommunen kamen 2022 über 180.000 Menschen unter.

Für die Kommunen bedeute dies „in Zeiten eines ohnehin akuten Wohnraummangels, tausender fehlender Kitaplätze und eines ausgelasteten Bildungssystems“ eine zusätzliche Herausforderung. Vielerorts sei die Aufnahmesituation „seit Monaten massiv angespannt“, heißt es in dem Papier. „Unterkünfte und Wohnraum sind voll, haupt- und ehrenamtliche Kräfte am Rande ihrer Leistungskraft, Kitas und Schulen überlastet und freie Plätze in Sprach- und Integrationsangeboten kaum verfügbar.“ Dies nähre populistische Strömungen und bedrohe die Akzeptanz für Migration in der Gesellschaft. „Daher bedarf es einer grundlegenden Weiterentwicklung der europäischen und nationalen Flüchtlingspolitik.“

Kommunen drängen auf Kostenerstattung

Auf die kommunale Ebene kämen „erhebliche finanzielle und personelle Mehrbelastungen“ zu. Bund und Länder hätten vereinbart, dafür im laufenden Jahr 2,75 Milliarden Euro bereitzustellen. Doch die Situation sei dynamisch, und es zeigten sich zusätzliche Bedarfe an Unterkünften und Integrationsstrukturen. Es brauche also „eine klare politische Zusage, dass die den Kommunen tatsächlich entstehenden Kosten vollständig erstattet werden“. Zudem sei eine „gemeinsame Kraftanstrengung für einen beschleunigten Ausbau an Wohnraum, Kitaplätzen und Schulräumen sowie eine flächendeckende Gewährleistung erfolgsversprechender Integrationsstrukturen“ nötig.

In ihrem Zwölf-Punkte-Plan richten sich die Kommunalverbände nicht nur an den Bund, sondern auch an die europäische Ebene. Von ihr fordern sie eine „gleichmäßige Verteilung“ der Flüchtlinge „unter Anrechnung der bundesdeutschen Vorleistung“. Zu einer einheitlicheren Flüchtlingspolitik gehöre es auch, die Integrations- und Sozialleistungen innerhalb der EU zu harmonisieren und dabei Leistungsgefälle zwischen verschiedenen Ländern abzubauen.

Ankunftszentren und gemeinnützige Arbeit

Vom Bund erwarten die baden-württembergischen Kommunen überdies, dass er „eine eigene operative Verantwortung bei der Aufnahme der nach Deutschland flüchtenden Menschen“ übernimmt. Sie schlagen „nationale Ankunftszentren, in denen insbesondere eine lückenlose erkennungsdienstliche Behandlung, eine Registrierung sowie eine Gesundheitsuntersuchung stattfinden sollte“, vor. Zudem sollte dort die Bleibeperspektive für Asylbewerber innerhalb von 24 Stunden geklärt werden. Personen ohne Bleibeperspektive sollten direkt aus den Ankunftszentren zurückgeführt werden.

Den Flüchtlingen, die auf die Länder und Kommunen verteilt werden, müsse es möglich sein, eine Arbeit aufzunehmen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des zunehmenden Arbeitskräftemangels liege deren Integration in den Arbeitsmarkt in gesellschaftlichem Interesse. Entsprechend müsse die diesbezügliche Gesetzeslage nachgebessert werden.

Gelinge die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt nicht auf Anhieb, müssten sie dazu verpflichtet werden, einer gemeinnützigen Arbeit nachzugehen. Dies könne laut des Zwölf-Punkte-Plans auch die Basis für eine anschließende Berufstätigkeit und gelingende Integration sein. Um den Arbeitskräftemangel aus Sicht der Verwaltungen etwa in Ausländerbehörden oder Jugendämtern abzumildern, sei es außerdem angezeigt, bürokratische Verfahren zu vereinfachen und Standards abzusenken.

Das Foto oben stammt aus dem März 2022. Es zeigt die Ankunft ukrainischer Flüchtlinge in Stuttgart. In der Hans-Martin-Schleyer-Halle erhalten sie eine gesundheitliche Versorgung.

a.erb@stadtvonmorgen.de

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