Es sei ein „konstruktives und gutes Treffen“ gewesen, ein „guter Tag für den Föderalismus“. So resümiert Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Pressekonferenz mit den Ministerpräsidenten Stephan Weil aus Niedersachsen und Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen im Anschluss an den sogenannten Flüchtlingsgipfel das gestrige Bund-Länder-Treffen. Unter anderem stellt der Bund demnach den Kommunen eine Milliarde Euro zusätzlich für die Flüchtlingsaufnahme zur Verfügung. Die kommunalen Spitzenverbände machen aus ihrer Enttäuschung über die Ergebnisse des Gipfels aber keinen Hehl.
Bund stellt eine Milliarde Euro bereit
In ihrem Beschluss erkennen die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler die Anstrengungen der Kommunen an. „Vor dem Hintergrund eines ohnehin angespannten Wohnungsmarktes stellt die angemessene Unterbringung der Geflüchteten die Kommunen vor große Herausforderungen. Sie haben gleichzeitig die Integration in die örtliche Gemeinschaft zu organisieren“, heißt es in dem Papier. Bund, Länder und Kommunen stünden zu ihrer „humanitären Verantwortung“. Doch seit Monaten schon rufen die Kommunen nach mehr – insbesondere finanzieller – Hilfe durch den Bund und die Länder bei der Aufnahme und der Integration von Flüchtlingen.
Der Kanzler und die Ministerpräsidenten haben nun vereinbart, dass der Bund für 2023 den Ländern zusätzlich eine Milliarde Euro zur Verfügung stellt. Das Geld dient der Entlastung der Flüchtlingsarbeit in den Kommunen. Zudem soll es zur Digitalisierung der Ausländerbehörden verwendet werden. Scholz spricht von „vollständig digitalen Akten“. Davon erwartet er ebenfalls eine Entlastung der kommunalen Verwaltungen. Gleichzeitig soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe bis November eine dauerhaft tragfähige Lösung der Finanzierungsfragen erarbeiten. Laut Beschluss soll sie im Juni einen Zwischenbericht abgeben.
Städte „ziemlich enttäuscht“ vom Flüchtlingsgipfel
Während Scholz, Weil und Wüst das Treffen als fruchtbar bewerten, spricht Städtetagpräsident Markus Lewe, Oberbürgermeister von Münster, von einer „ziemlichen Enttäuschung“. Der Handlungsbedarf bei der Aufnahme und der Integration von Flüchtlingen sei groß, und der Druck steige täglich. Trotzdem würden die Städte „weiter auf der Wartebank sitzengelassen“, kritisiert Lewe. Dass erst im November mit finalen Beschlüssen zu rechnen ist, sorge in den Städten „für viel Frust“ und „für Kopfschütteln“.
Dass Teile der Milliarde Euro der Digitalisierung von Ausländerbehörden zukommen, helfe in Sachen Unterbringung und Integration unmittelbar nicht weiter. „Wie viel von dem Geld am Ende bei den Kommunen ankommt, wissen wir noch nicht.“ Anstelle von Einmalzahlungen brauche es eine systemische Lösung mit Planungssicherheit für die Kommunen. „Die bekommen wir nur mit einer dauerhaften Regelung zur Finanzierung der Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten, die sich steigenden Zuzugszahlen anpasst“, sagt Lewe.
Flüchtlingsgipfel „nicht der erhoffte Wendepunkt“
Ähnlich bewerten der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) und der Landkreistag das Ergebnis des Flüchtlingsgipfels. DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg vermisst ein „belastbares Konzept“ in der Migrationspolitik. Es bestehe bisweilen der Eindruck, „dass auf der höheren politischen Ebene in Berlin die teilweise dramatische Situation vor Ort nicht ausreichend gewichtet wird“. Die zugesagte Milliarde sei „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. In gleichem Tenor argumentiert Landkreistagpräsident Reinhard Sager: „Es hätten deutliche Beschlüsse zu einem atmenden Finanzierungssystem gefasst werden müssen. Das ist nicht der erhoffte Wendepunkt in der deutschen Flüchtlingspolitik.“ Unter anderem fordert er „die komplette Übernahme der Unterkunftskosten für anerkannte Flüchtlinge ab 2022 durch den Bund“.
Über die Frage der finanziellen Unterstützung von Kommunen hinaus haben der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten beim Flüchtlingsgipfel auch Verabredungen zu weiteren Aspekten der Flüchtlingspolitik getroffen. Dabei geht es unter anderem um Ansätze, Asylverfahren und Rückführungen zu beschleunigen, sowie um gesetzliche Änderungen bei der Unterbringung, Verteilung und Registrierung von Flüchtlingen. Im europäischen Kontext will sich die Bundesregierung für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen, für eine bessere flüchtlingspolitische Koordination und eine Begrenzung der irregulären Migration einsetzen. Seit Beginn des Ukrainekonflikts 2022 kamen alleine aus der Ukraine mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland. (Das Foto oben zeigt ein provisorisches Ankunftszentrum in Köln.) Parallel steigt auch die Anzahl der Flüchtlinge aus anderen Ländern an.