Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Shum über deutsche Kommunen im Ukrainekonflikt, Städtediplomatie und die EU-Annäherung der Ukraine.

Nach dem kriegerischen Angriff Russlands am 24. Februar bekundeten deutsche Städte ihre Solidarität mit der Ukraine. In zahlreichen Kommunen starteten Hilfsinitiativen, und insbesondere die Metropolen nehmen ukrainische Flüchtlinge auf. Wie nimmt sie das Engagement der Städte war, und wie können deutsche Kommunen der Ukraine noch helfen? Darüber spricht Iryna Shum, die ukrainische Generalkonsulin in Düsseldorf. In den vergangenen Wochen suchte Shum gezielt den Dialog mit Lokalpolitikern in Nordrhein-Westfalen. Warum und welche Rolle die Städtediplomatie im Ukrainekonflikt hat, erklärt sie im Interview. Um die Ukraine zu unterstützen, könne die kommunale Ebene die EU-Annäherung des Landes flankieren, sagt die Generalkonsulin. An deutsche Städte appelliert Shum, angesichts des Kriegs städtepartnerschaftliche Kontakte nach Russland auf Eis zu legen.

EU-Prozess der Ukraine soll sich auf kommunaler Ebene zeigen

#stadtvonmorgen: Frau Generalkonsulin Shum, seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine besuchten Sie diverse deutsche Städte und Oberbürgermeister, sprachen mit Kommunalpolitikern und vor Stadtparlamenten, etwa in Münster, Köln, Gelsenkirchen oder Bonn. Warum suchen Sie den Austausch mit deutschen Kommunen?

Iryna Shum: Auch vor dem Krieg war mir die Verbindung zu den Kommunen sehr wichtig. Ich bin davon überzeugt, dass Kontakte auf kommunaler Ebene – insbesondere über Städtepartnerschaften – die Menschen in der Ukraine und in Deutschland näher zueinander bringen. Es ist daher eine meiner Prioritäten als Generalkonsulin, neue Städtepartnerschaften anzuregen und bereits bestehenden neue Impulse zu verleihen. Nach dem Beginn des Krieges am 24. Februar befinden wir uns in einer neuen Situation. Hier sind die Kontakte auf kommunaler Ebene noch wichtiger geworden.

#stadtvonmorgen: Warum?

Iryna Shum: Aus unterschiedlichen Gründen. Erstens engagieren sich die deutschen Kommunen für die Aufnahme von Geflüchteten. Zweitens bringen sie eine große Solidarität für die Ukraine zum Ausdruck und unterstützen mit konkreten Projekten, etwa mit humanitärer Hilfe. Damit meine ich auch die zahlreichen Initiativen der Zivilgesellschaft, die sich in den Städten abspielen. Für die offenen Herzen und offenen Türen bedanke ich mich. Drittens schauen wir in die Zukunft: Die Ukraine strebt eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an. In diesen Tagen ist eine Entscheidung über den Status der Ukraine als EU-Beitrittskandidatin zu erwarten. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass sich dieser Prozess auf der kommunale Ebene widerspiegelt. Dies kann helfen, die Ukraine näher an Deutschland beziehungsweise Europa heranzubringen. Viertens denke ich an den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg: Auch dabei können Kommunen in Sachen Unterstützung und Zusammenarbeit eine gestaltende Rolle spielen.

Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Shum und ihr polnischer Amtskollege Jakub Wawrzyniak sprachen vor dem Stadtrat in Münster um OBM Markus Lewe (Mitte). (Quelle: Stadt Münster/MünsterView/HeinerWitte)

Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Shum und ihr polnischer Amtskollege Jakub Wawrzyniak sprachen vor dem Stadtrat in Münster um OBM Markus Lewe (Mitte). (Quelle: Stadt Münster/MünsterView/HeinerWitte)

Hilfe für die Ukraine: Das wichtigste sind tragfähige Kooperationen

#stadtvonmorgen: Das aktuelle Engagement deutscher Kommunen für die Ukraine reicht vom Hilfskonvoi über die Flüchtlingsaufnahme bis hin zur Abgabe politischer Statements. Welches ist denn aus Ihrer Sicht die wichtigste Form der Hilfe, und was können Kommunen sonst tun, um die Ukraine zu unterstützen?

Iryna Shum: Das wichtigste ist, langfristig tragfähige Kooperationen aufzubauen. Die beste Basis dafür bieten Städtepartnerschaften. Ein solcher Austausch bringt die Menschen zusammen und kann ein Ausgangspunkt für die weitere Zusammenarbeit in unterschiedlichsten Dimensionen sein – etwa in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder kultureller. Dabei geht es nicht nur um Hilfe in eine Richtung, sondern um Win-Win-Situationen.

Im Dialog mit der Lokalpolitik: Iryna Shum (rechts) mit Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge. (Quelle: Stadt Gelsenkrichen/Gerd Kaemper)

Im Dialog mit der Lokalpolitik: Iryna Shum (rechts) mit Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge. (Quelle: Stadt Gelsenkrichen/Gerd Kaemper)

#stadtvonmorgen: Wenn Sie mit deutschen Lokalpolitikern sprechen: Worum geht es Ihnen dabei?

Iryna Shum: Es geht zum einen darum, Danke zu sagen für die Solidarität und die Unterstützung, die wir seit dem ersten Kriegstag am 24. Februar erfahren. Zum anderen geht es darum, durchaus auch persönliche Geschichten aus der Ukraine zu vermitteln. Es ist wichtig, zu erzählen und zu bezeugen, was in der Ukraine geschieht. Nur so lässt sich die Situation unmittelbar und umfassend begreifen. Drittens geht es darum, neue Kooperationen anzubahnen und Kontakte zu knüpfen. Nach den Gesprächen mit Lokalpolitikern vor Ort kommt es oft zu neuen Projekten, es entstehen neue Verbindungen oder alte leben auf.

Städtepartnerschaft als Basis: Hilfe der Städte weiter gefragt

#stadtvonmorgen: Der Kriegsausbruch führte in einer ersten Reaktion der deutschen Städte zu großen Solidaritätsbekundungen und Hilfsprojekten. Lässt dieses Engagement mit dem Fortdauern der Situation nun nach, oder ist die Hilfe ungebrochen?

Iryna Shum: Das ist unterschiedlich. Anfangs gab es tatsächlich viele spontane Initiativen, Hilfskonvois oder Sachspenden. Diese Welle lässt nach. Doch sie geht über in andere Phase. Die Hilfe läuft nun systematisierter. Zudem richten sich die Kommunen auf die Aufnahme von Geflüchteten ein. Hierauf konzentrieren sich nun viele Initiativen vor Ort. Was Städtekooperationen angeht, hat beispielsweise die Stadt Düsseldorf in hohem Tempo ihre Kontakte mit der Stadt Czernowitz zu einer Städtepartnerschaft ausgebaut. Über solche Städtekontakte laufen Abstimmungen etwa über konkrete Bedarfe, nach denen sich Hilfe ausrichten kann. Meine Botschaft ist, nicht aufzuhören: Wir brauchen noch immer Unterstützung und werden sie weiterhin brauchen.

(Das Foto oben zeigt Shum mit Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller. Beide verabschiedeten am 17. Mai einen Lkw mit Hilfsgütern nach Czernowitz.)

Partnerschaft ja oder nein: Kein Dialog mit russischen Behörden

#stadtvonmorgen: Was den Umgang mit russischen Städtepartnerschaften betrifft, zeigen sich die deutschen Städte gespalten. Es gibt es zwei Ansätze. Die einen, beispielsweise Münster, wollen die Kontakte aufrechterhalten, um über diese Kanäle für den Frieden zu werben. Die anderen, beispielsweise Düsseldorf, sehen mit der russischen Aggression die Basis für eine Städtepartnerschaft im Geiste der Friedensarbeit und Völkerverständigung zerbrochen. Düsseldorf legte seine Partnerschaft mit Moskau auf Eis. Nun sind einzelne Partnerschaften immer auch abhängig von individuellen Rahmenbedingungen und handelnden Personen. Doch davon abgesehen, wie nehmen Sie allgemein diese Diskussion wahr?

Iryna Shum: Was die russischen Städtepartnerschaften angeht, ist es aus Sicht meiner Landsleute inakzeptabel, den Dialog auf offizieller Ebene fortzusetzen. Seit 2014, also seit der Annektion der Krim, haben wir auf verschiedenen Ebenen Aufrufe zum Dialog und zum Frieden erlebt. Diese konnten die Katastrophe aber nicht abwenden. Im Gegenteil ist es nun umso wichtiger, klare Signale zu senden. Eine klare und eindeutige Haltung, wie sie die Landeshauptstadt Düsseldorf gefolgt auch von einigen anderen Kommunen zeigt, ist wichtig.

#stadtvonmorgen: Sie plädieren also dafür, Städtepartnerschaften mit russischen Kommunen abzubrechen?

Iryna Shum: Ja. Dabei geht es nicht zuletzt darum, dass die Menschen in Russland verstehen, dass ein Krieg stattfindet, der globale Auswirkungen – auch auf ihr eigenes Land – hat. Aus unserer Sicht kann es in heutiger Situation keinen Dialog mit offiziellen russischen Behörden geben. Denn mit Unterstützern des Krieges kann Friedensarbeit nicht gelingen.

Städtekooperationen könnten EU-Annäherung beschleunigen

#stadtvonmorgen: Was ist Ihnen hinsichtlich des Verhältnisses zu deutschen Kommunen im Augenblick besonders wichtig?

Iryna Shum: Meine Botschaft ist: Die deutschen Kommunen können mit der Ukraine bei der europäischen Integration zusammenarbeiten. Vor allem die größeren Städte sind oft international vernetzt und in europäischen Netzwerken präsent. Über interkommunale Kooperationen könnten diesbezügliche Verwaltungserfahrungen ausgetauscht und ukrainische Kommunen in europäische Prozesse einbezogen werden. Dies könnte die EU-Annäherung der Ukraine beschleunigen.

a.erb@stadtvonmorgen.de

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