Im ZDF läuft „Die Bürgermeisterin“. Der Film thematisiert zur besten Sendezeit die teils bedrohliche Situation für Lokalpolitiker.

„Das ist eine ganz normale Stadt mit ganz normalen Menschen“, sagt Bürgermeisterin Claudia Voss. Doch je länger die Debatte um ein Flüchtlingsheim, das in ihrer Gemeinde errichtet werden soll, dauert, umso mehr schlagen sich Hass und Hetze ihre Bahn und sorgen für teils katastrophale Szenen wie Brandanschläge oder hasserfüllte Demos. Bürgermeisterin Voss (verkörpert von Anna Schudt), die in der Sache wenig Handlungsspielraum hat und vor Ort die Aufnahme von Flüchtlingen koordinieren muss, gerät in einen Strudel von Beleidigungen und Anfeindungen. Dabei will sie eigentlich doch nur „ein gutes Miteinander“. Mit der Hitzigkeit, die insbesondere während der Flüchtlingskrise 2015 in vielen Kommunen um sich griff, beschäftigt sich nun das ZDF. Am Montag läuft dort der Fernsehfilm „Die Bürgermeisterin“. #stadtvonmorgen hat ihn angeschaut.

Die politische Kultur des Landes ist in Gefahr

Mit „Die Bürgermeisterin“ weist das ZDF auf die Nöte vieler Lokalpolitiker, die sich oft ehrenamtlich für das Wohl ihrer Gemeinde engagieren, hin. Schon seit Jahren warnen kommunale Verbände vor zunehmendem Hass und Hetze, vor einer Erosion der Debattenkultur – insbesondere im Internet und in sozialen Medien. Lokale Amts- und Mandatsträger sind immer öfter und immer massiveren Beleidigungen und Bedrohungen ausgesetzt. Dies belastet nicht nur die politische Kultur des Landes, sondern zersetzt auch das staatliche System, wenn Lokalpolitiker frustriert das Handtuch werfen und der demokratische Nachwuchs fehlt.

Ein Problembewusstsein dafür ist in breiten Teilen der Gesellschaft bislang allerdings nur bedingt vorhanden. „Das hier ist Politik – da gehört Gegenwind dazu“, bekommt etwa auch Bürgermeisterin Voss im Film zu hören. Schließlich sei sie eine Person der Öffentlichkeit – „da sind gewisse Einschränkungen nicht zu verhindern“. Diese Haltung ist typisch: Da Lokalpolitiker ohnehin im Brennglas von Debatten stehen, müssten polemische Anwürfe an ihnen doch abprallen.

Die beschauliche Kleinstadt wird zum Angstraum

Dass aber verbale Anfeindungen oft über den sachlichen Schlagabtausch hinausgehen und der Anfang für sogar körperliche Attacken sein können, macht der Film deutlich. Er taucht ein in die Lebenswelt einer Bürgermeisterin und nimmt ihre Perspektive ein. Der Übergang ist schleichend und subtil: Am Anfang stehen die Irritationen in der Stadtgesellschaft wegen der Einrichtung eines Flüchtlingsheims. Diese vermischen sich, getrieben von populistischer Stimmungsmache, mit persönlichen Betroffenheiten wie der Sorge um Immobilienpreise und rassistischen Stammtischparolen zu einem gefährlichen Gemisch. Am Ende münden die Angriffe in Gewalt und einen Brandanschlag.

Im Mittelpunkt des Hasses und der Hetze ist die Bürgermeisterin: In Internetforen wie der Chatgruppe „Gegen Asylschmarotzer in Linden“ wird Voss diffamiert. Sie steht alleine da: Soll sie auf die Schmähkritik und die Beleidigungen reagieren, in Diskussionen kontern oder die Anwürfe ignorieren? Eine sichere Antwort darauf gibt es nicht. Und während Voss noch darum ringt, ducken sich die gemäßigten und demokratischen Akteure der Stadtpolitik weg. Keiner ergreift für die Sache und für die Bürgermeisterin das Wort – wohl aus Angst, selbst in den Fokus der Hetzer zu geraten. Stattdessen rät man Voss: „Schieb‘ alles auf den Landkreis, und zieh‘ den Kopf ein.“ So wird die beschauliche Kleinstadt für die Bürgermeisterin zum isolierten Angstraum. Letztlich dringen die Angriffe auf sie sogar in ihre Privatsphäre und ihr Familienleben ein.

„Die Bürgermeisterin“ macht eine reale Bedrohung sichtbar

Wer mit deutschen Lokalpolitikern spricht, weiß: Die Drohkulisse, die der Film unter der Regie von Christiane Balthasar zeichnet, ist real. Der Film leistet es, das Thema sichtbar zu machen. Er bringt die Frage nach dem Zustand der deutschen Debattenkultur in den Mainstream des abendlichen Fernsehpublikums. Dies tut er unaufgeregt anhand typischer Szenen, ohne Übertreibung und ohne Fernsehfilmkitsch.

Fast dokumentarisch folgt er seiner Protagonistin – von der Bürgersprechstunde im Rathaus zum Streitgespräch auf dem Marktplatz bis zur Familienkonferenz am Küchentisch. Der Film zeigt die Menschen in harten politischen Auseinandersetzungen. Da fällt es nicht ins Gewicht, dass die Sortierung kommunaler Ebenen und Ämter wie der Landräte, Oberbürgermeister und Ortsbürgermeister im Drehbuch von Magnus Vattrodt bisweilen durcheinander gerät.

Kein Happy End für Bürgermeisterin Voss

Dass sich der Plot um die Flüchtlingsdebatte und Rassismus dreht, ist zum einen naheliegend und im Sinne der filmischen Aufbereitung schlüssig. Zum anderen greift dies jedoch zu kurz. Denn mag die Verrohung der Debattenkultur in diesen Kontexten auch besonders frappierend sein, blendet die Zuspitzung darauf aus, dass das Phänomen ein viel breiteres ist. Nicht nur im Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen sehen sich Lokalpolitiker oft Anfeindungen ausgesetzt. Dasselbe gilt für andere emotional geprägte Auseinandersetzungen etwa bei der Aufstellung eines Windrads, der Durchsetzung von Coronaregeln oder der Finanzierung eines Fußballstadions. An vielen Orten der Republik droht der politische Diskurs – befeuert von den Auswüchsen in sozialen Medien – abzugleiten.

Letztlich bietet der Film dafür keine Lösung an. Im Gegenteil: Er lässt den Zuschauer desillusioniert mit dem Rücktritt der frustrierten Bürgermeisterin zurück. Doch das Ausbleiben des Happy Ends ist keine Kapitulation, sondern seine Stärke: Es ist wie ein Weckruf an die demokratische Gesellschaft, wehrhaft zu sein – gegen Hass und Hetze in einer „ganz normalen Stadt“.

a.erb@stadtvonmorgen.de

Info

Der Film „Die Bürgermeisterin“ läuft am Montag, 24. Oktober, 20.15 Uhr, im ZDF. Zudem ist er bis 22. Oktober 2023 in der ZDF-Mediathek abrufbar.
Beiträge zum Thema „Hass und Hetze“ aus kommunalem Blickwinkel gibt es auf der gleichnamigen #stadtvonmorgen-Themenseite.

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