Bundespräsident Steinmeier diskutiert über Hass und Hetze während Corona. Die kommunale Sicht bringen Oberbürgermeister Lewe und Neumann ein.

„Unsere Demokratie braucht die lebendige Debatte. Doch die rote Linie ist eindeutig. Die rote Linie verläuft genau da, wo Gewalt ins Spiel kommt.“ In einer Gesprächsrunde im Schloss Bellevue erörterte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier heute die Frage nach Hass und Hetze. Deren Zunahme sei zwar „keine gänzlich neue Erscheinung“, so der Bundespräsident. „Doch mit der Dauer der Pandemie hat das Maß an Gereiztheit in der Gesellschaft zugenommen.“ In die Gesprächsrunde brachten die Oberbürgermeister Markus Lewe und Andre Neumann die Perspektive der Städte ein.

Hass und Hetze: Steinmeier fürchtet Erosion der Demokratie

„Hass und Gewalt in Zeiten der Pandemie – Erfahrungen und Reaktionen“ war der Titel der Gesprächsrunde. Neben dem kommunalpolitischen Blickwinkel erörterten die Diskussionsteilnehmer die polizeiliche, zivilgesellschaftliche und medizinische Perspektive. Aus Sicht eines Stadtlenkers erkennt Neumann, Oberbürgermeister im thüringischen Altenburg, eine Zuspitzung von Hass und Hetze sowie eine zunehmende Aggressivität gegenüber lokalen Verantwortungsträgern seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015.

Unter dieser Zuspitzung leide der demokratische Diskurs. Oftmals würden unverhohlene Drohungen gegenüber Kommunalpolitikern mit dem Argument bagatellisiert, die Anfeindungen seien von Amtsträgern auszuhalten. Hier bedürfe es eines größeren Problembewusstseins. Die Bedrohungen reichten oftmals bis in die Privatsphäre hinein und erreichten sogar die eigene Familie, so Neumann. Dies habe überdies zur Folge, dass immer weniger dazu bereit seien, kommunalpolitisch Verantwortung zu übernehmen. In diesem Kontext warnt Steinmeier eindringlich vor einer „Erosion“ der Demokratie.

Hass und Hetze: Soziale Medien als „Teil des Problems“

Diesen Befund teilt Lewe, Oberbürgermeister aus Münster. Als Präsident des Deutschen Städtetags ist Lewe derzeit Vorsitzender der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände. Die Vertrauensbeziehung zwischen Lokalpolitikern und der Bevölkerung stehe mancherorts auf der Probe. Es zeigten sich teils drastische Angriffe auf Lokalpolitiker, sogar auf deren Leben und auf deren Gesundheit. Dies erschwere den Lokalpolitikern vor Ort die Erfüllung ihrer Aufgabe. Eigentlich sei es ihr Antrieb, „Zukunft zu gestalten“. In krisenhaften Zeiten wie der Coronakrise sei dafür der gesellschaftliche Zusammenhalt jedoch besonders wichtig.

Befeuert würden Hass und Hetze oftmals in sozialen Medien. Unverständlich sei es daher, dass die Betreiber sozialer Medien gegen Hass und Hetze nichts oder nur wenig unternähmen, so Lewe. Dies sei „Teil des Problems“. Auch Neumann fordert gesetzgeberische Maßnahmen zur Eindämmung von Bedrohungen und Beleidigungen im Internet. Er fühle nicht, „dass diese Bedrohungslage ernstgenommen wird“.

Elementar sei zudem, dass Strafverfolgungsbehörden, etwa Polizei und Staatsanwaltschaften, sensibel für Hass und Hetze seien und konsequent dagegen vorgingen, sagt Lewe. Als Instrument zur Unterstützung lokaler Amts- und Mandatsträger richteten 2021 auf Initiative der Körber-Stiftung und unter Schirmherrschaft Steinmeiers die drei kommunalen Spitzenverbände das Informationsportal „Stark im Amt“ ein.

Hass und Hetze heizen sich in der Coronakrise weiter auf

„Hass und Gewalt gegen Menschen, die in unserem Land Verantwortung tragen, haben nicht erst in dieser Pandemie ein erschreckendes Ausmaß erreicht“, so Steinmeier. Exemplarisch erinnert er an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder lebensgefährliche Messerattacken auf die Oberbürgermeisterin von Köln Henriette Reker und den damaligen Bürgermeister von Altena Andreas Hollstein.

Im Zusammenhang mit Protesten gegen die Coronamaßnahmen heize sich das gesellschaftliche Klima weiter auf. Steinmeier verweist auf als Spaziergänge getarnte Demonstrationen: „Der Spaziergang hat seine Unschuld verloren.“ Coronaregeln würden bewusst umgangen, gleichzeitig seien Attacken auf Ärzte, Kommunalpolitiker und Sicherheitskräfte zu verzeichnen. „Fackelträger und Morddrohungen machen Schlagzeilen.“ Manche Journalisten würden von Sicherheitsdiensten auf Veranstaltungen begleitet, um von dort Berichten zu können. Auch in den sozialen Medien zeige sich „brutale Hetze“, etwa gegen Wissenschaftler oder Journalisten.

Steinmeier: „Wir dürfen nicht verharmlosen“

Das Problem müsse offensiv angesprochen werden: „Wir dürfen nicht verharmlosen. Die Gefahr ist real, und sie ist konkret“, sagt der Bundespräsident. „Wir müssen darüber reden, wenn wir etwas verändern wollen.“ Meinungsfreiheit bedeute auch Kontroverse. „Aber ein Gewaltaufruf, ein Mordaufruf gar, ist nicht Wahrnehmung von Meinungsfreiheit.“

Steinmeier warnt vor einem Verlust des sozialen Friedens in der Gesellschaft. „Hass und Gewalt zerstören das Fundament unseres Miteinanders.“ Die Mehrheit der Gesellschaft verhalte sich vernünftig. „Nur Mehrheit zu sein, das reicht nicht. Die Mehrheit muss auch politisch erkennbar werden. Die Bürgerschaft darf nicht schweigen.“

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