Bernhard Ziegler über die Situation kommunaler Krankenhäuser und darüber, warum eine kommunale Trägerschaft der Versorgung geboten ist.

Der Deutsche Städtetag schlägt Alarm: Die Coronakrise spitze die ohnehin defizitäre Situation vieler kommunaler Krankenhäuser zusätzlich zu. Wie schätzt der Interessenverband kommunaler Krankenhäuser die Lage ein? Dessen Vorstandsvorsitzender Bernhard Ziegler antwortet auf die Fragen von OBM.

„Freuen uns, dass sich die Träger deutlich zu Wort melden“

OBM: Der Städtetag hat am 17. Juni gemeinsam mit den Standortstädten der Maximalversorger und Schwerpunktkrankenhäuser ein Forderungspapier veröffentlicht. Darin warnt er vor der für viele kommunale Krankenhäuser finanziell prekären Lage, die durch die Coronakrise zugespitzt wird. Doch die Situation, dass die Häuser strukturell bedingte Defizite schreiben, besteht schon lange. Haben die Kommunen als Träger zu lange zugeschaut, anstatt so deutlich wie jetzt ihre Stimme zu erheben?

Bernhard Ziegler: Wir freuen uns, dass sich die Träger deutlich zu Wort melden. Auf der Fachebene besteht seit langem Konsens, dass die Krankenhausfinanzierung Reformbedarf hat – und zwar grundsätzlich. In der von Ihnen angeführten Stellungnahme geht es primär um die Maximal- und Schwerpunktversorger in kommunaler Trägerschaft, die in Ihrer Bedeutung mit den Hochschulkliniken vergleichbar sind, jedoch deutlich schlechter finanziert werden. Was nicht übersehen werden darf, ist jedoch die Tatsache, dass Akzentverschiebungen im Finanzierungssystem nicht nachhaltig sein werden, wenn die grundsätzliche Problematik der Kommerzialisierung der Krankenhausleistungen nicht revidiert wird.

OBM: Wie meinen Sie das?

Bernhard Ziegler: Stationäre Gesundheitsversorgung ist nicht nachhaltig, wenn sich private Anbieter auf lukrative Leistungen spezialisieren dürfen, während die Grundlast im Feld der nicht-kommerziellen Anbieter verbleibt. „Effizient“ sind nicht einzelne Leistungsbereiche, sondern ist nur ein Gesamtsystem. Das gegenwärtige System ist insofern ineffizient, weil Rosinenpickerei zugelassen wird. Ausbildungslasten, Notdienste, soziale Aspekte sind insgesamt ungleich verteilt, ohne dass dies in „Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen“ berücksichtigt würde.

Investitionsstau bei Krankenhäusern Folge eines „Taschenspielertricks“

"In Gänze sind die mittel- bis langfristigen Auswirkungen der Coronakrise auf die kommunalen Krankenhäuser noch nicht absehbar", sagt Bernhard Ziegler (Quelle: Klinikum Itzehoe/agenda Michael Kottmeier)

„Der Stau im investiven Bereich ist Folge eines politischen Taschenspielertricks“, sagt Bernhard Ziegler (Quelle: Klinikum Itzehoe/agenda Michael Kottmeier)

OBM: Was die kommunalen Krankenhäuser betrifft, ist von einem Investitionsstau in der Größenordnung von 30 Milliarden Euro die Rede. Wie ist damit umzugehen?

Bernhard Ziegler: Der Stau im investiven Bereich ist Folge eines politischen Taschenspielertricks. Es heißt, die Länder kämen ihrer Pflicht nicht nach. Das mag sein. Allerdings ist die Annahme, der Bund habe damit nichts zu tun, völlig realitätsfremd. Das politische System in Deutschland ist trotz einer föderalen Struktur parteipolitisch von einer deutlichen Hierarchie gekennzeichnet. Wenn die Parteien gewillt wären, könnten es sich die Länder nicht leisten, ihren Investitionspflichten nicht nachzukommen. Dies ist nur möglich, weil die Bundesebene an der Stelle wegschaut oder die Länder gar finanzpolitisch mit zusätzlichen Lasten belegt. Würde der politische Wille bestehen, gäbe es den Investitionsstau in diesem Ausmaß nicht.

OBM: Hinzu kommen die Defizite des laufenden Betriebs. Wodurch entstehen nach Ihrer Erfahrungen diese Finanzlücken? Was ist der Grund für die Defizite?

Bernhard Ziegler: Der Betrieb ist unterfinanziert. Das Budget, welches über die Kostenträger verhandelt und ausgezahlt wird, ist nicht kostendeckend. Die Idee dahinter ist ein hypothetischer Anreiz zu mehr Wirtschaftlichkeit, um unwirtschaftliche Angebote aus der Versorgung eliminieren zu können. Natürlich funktioniert das so nicht, was verschiedene Gründe hat. Wenn jedoch in einem unterfinanzierten System noch Gewinne entnommen werden, vergrößert das die Deckungslücke. Defizite sind also insoweit fast Voraussetzung des Systems. Wenn in der Situation seit Jahren bereits Erträge abgezweigt werden müssen, um Investitionen zu finanzieren, hat das zusätzlichen Druck zur Folge. Es ist ein insgesamt unlogisches System für einen Bereich der Daseinsvorsorge, in dem kommerzielle Anreize fehl am Platze sind.

Stationäre Versorgung und Krisenplanung kommerziell nicht darstellbar

OBM: Der Städtetag errechnet, dass sich allein durch die Coronakrise die Jahresabschlüsse der Häuser im vergangenen Jahr um durchschnittlich sechs Millionen Euro verschlechtert haben. Das wirft die Systemfrage auf. Haben Sie konkrete Vorschläge für ein Finanzierungssystem, das es den Häusern erlaubt, auskömmlich zu wirtschaften? Was muss sich verbessern?

Bernhard Ziegler: Viel wäre gewonnen, wenn die Fallpauschalen auf das reduziert würden, was sie sind: hervorragende Systeme zum Benchmarking und zur Steuerung. Als Abrechnungsgrundlage sind sie nicht geeignet, weil sie Fehlanreize setzen, in „lukrative“ Bereiche zu investieren, ohne dass notwendigerweise ein Bedarf vorhanden ist – und sei es, weil der entsprechende Bedarf bereits beim Nachbarklinikum gut versorgt wird. Ein zweiter Gedanke könnte eine Art „Finanzausgleich im Krankenhauswesen“ sein. Erträge, die über einen entsprechenden Planansatz für sinnvolle Rückstellungen hinausgehen, sollten im Topf verbleiben und solidarisch an jene Häuser geleitet werden können, die ohne schuldhaftes Handeln in Unterdeckung geraten sind. Wo Pflichtversäumnisse nachgewiesen werden können, sollte es persönliche Konsequenzen geben können, jedoch keine institutionellen. Natürlich setzt dies einen Konsens über die Versorgungsstruktur voraus.

OBM: Die Krise ist ein Stresstest für die ganze Gesellschaft. Die Krankenhäuser stehen dabei in erster Linie als Pfeiler des Gesundheitswesens. Welche Lehren ziehen Sie aus der Coronakrise, was die Zukunft der kommunalen Krankenhäuser betrifft?

Bernhard Ziegler: Ich wiederhole mich: Die Coronakrise hat gezeigt, dass die stationäre Versorgung und Krisenplanung nicht kommerziell darstellbar ist. Kommerzielles Wirtschaften setzt prinzipiell ein Überangebot voraus, aus dem der Käufer auswählen kann. Nicht erfolgreiche Angebote scheiden aus dem Markt aus. Im Krankenhauswesen ist Überangebot nicht vorgesehen. Es geht ja um die optimale Versorgungskapazität. Die muss definiert werden, finanziert werden – und zwar auskömmlich – und über intelligente Steuerungssystem auch qualitativ hochwertig. Kommerzieller Wettbewerb ist nicht geeignet, weil er neben einer Markteintrittsmöglichkeit auch einen Marktaustritt vorsieht. Genau das ist im Krankenhauswesen nicht gewünscht.

Daseinsvorsorge: kommunale Trägerschaft ist geboten

OBM: Zum Selbstverständnis der kommunalen Krankenhäuser gehört die Gemeinwohlorientierung und die Daseinsvorsorge. Aber ist das Modell kommunal getragener Krankenhäuser angesichts der finanziellen Schieflage, in der sich manche befinden, überhaupt zukunftsfähig?

Bernhard Ziegler: Es ist nach unserer Auffassung nicht nur zukunftsfähig, sondern auch geboten. Das Sozialstaatsgebot sieht vor, dass der Staat ein Angebot vorhalten muss. Dies muss nicht als einziger Anbieter geschehen, Trägervielfalt ist also sinnvoll und willkommen. Allerdings ist die weltanschauliche Neutralität des Staates wiederum ein Garant für die Attraktivität der Leistung für Menschen unterschiedlicher religiöser oder weltanschaulicher Ausrichtung. Die Schieflage, von der Sie sprechen, ist eine, die – wie oben ausgeführt – andere Ursachen hat als die Tatsache der öffentlichen Trägerschaft. Tarifliche Löhne sind im öffentlichen Bereich höher, Ausbildungslasten sind im öffentlichen Bereich nicht zu vermeiden – anders als im Fall privater Träger –, und auch die Notfallversorgung ist empirisch belegt eine Domäne, für die schwerpunktmäßig die öffentliche Hand verantwortlich gemacht wird.

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