Seit Jahren ringen die Krankenhäuser um eine auskömmliche Finanzausstattung. Oft müssen Kommunen einspringen, um ihre Häuser zu stützen. Die Coronakrise dynamisierte die prekäre Situation. Nun kommen mit dem Ukrainekonflikt und der Energiekrise weitere Belastungen auf die Krankenhäuser zu. Wie stehen sie angesichts dieser Belastungen da? Das erklärt Bernhard Ziegler, Vorstandsvorsitzender des Interessenverbands Kommunaler Krankenhäuser (IVKK) und Krankenhausdirektor des Klinikums in Itzehoe, gegenüber #stadtvonmorgen. Grundsätzlich müsse über das Finanzierungssystem nachgedacht werden, sagt er. Angesichts aktueller Krisen fordert er von Bund und Ländern eine Entlastung bei den Energiekosten und einen Ausgleich des Erlösausfalls bei coronabedingt nicht behandelten Elektivpatienten.
Krankenhäuser leiden an struktureller Unterfinanzierung

Bernhard Ziegler (Quelle: Klinikum Itzehoe/agenda Michael Kottmeier)
#stadtvonmorgen: Herr Ziegler, zuletzt warnte der Städtetag hinsichtlich struktureller Probleme bei der Krankenhausfinanzierung und insbesondere aktueller Krisen wie der Corona- und der Energiekrise: „Bei den Krankenhäusern brennt es!“ Wie sehen Sie die Lage?
Bernhard Ziegler: Nach meiner Einschätzung – auch in der Rückschau nach 30 Jahren Tätigkeit in der Branche – war die Stimmungslage unter Kollegen nie so angespannt wie heute. Da kommen viele Umstände und parallele Problemlagen zusammen, die allgemein die Gesellschaft prägen, deren Bestandteil die Krankenhäuser sind. Die Menschen fühlen sich überfordert, das gilt für alle, nicht nur für die Krankenhäuser, auch für die politisch Verantwortlichen. Was die Krankenhäuser betrifft, ist jedoch festzustellen, dass wir uns seit etwa zweieinhalb Jahren in einer besonderen Spannungssituation befinden, die zu einer gewissen Erschöpfung geführt hat. Das stufe ich als nicht unkritisch ein.
#stadtvonmorgen: Welche Problemlagen meinen Sie denn konkret?
Bernhard Ziegler: Grundsätzlich leiden die Krankenhäuser an einer strukturellen Unterfinanzierung. Die Liquiditätssituation vieler Krankenhäuser ist extrem belastet. Hinzu kommt, dass vielerorts die Personalsituation sehr angespannt ist und die Häuser mit dem Fachkräftemangel ringen. Bei manchen schlägt sich das im Pflegebereich nieder, bei manchen im ärztlichen Bereich, bei anderen in allen Bereichen. Dies spielte sich schon vor der Pandemie ab und gewinnt seitdem an Dynamik.
„Massives wirtschaftliches Problem“ bedroht Krankenhäuser
#stadtvonmorgen: Dann kam Corona – welche Effekte hat die Pandemie auf die Krankenhäuser?
Bernhard Ziegler: Die Auswirkungen auf die Krankenhäuser sind unterschiedlich. Für unser Haus und unser Bundesland kann ich sagen, dass wir relativ gut durch die Krise kamen. Das hat damit zu tun, dass wir frühzeitig Impfstoff zur Verfügung hatten und daher nicht so massiv betroffen waren. Unsere Intensivkapazitäten waren be-, aber nicht überlastet. Gleichwohl ist eine hohe mentale und psychische Belastung der Belegschaft zu verzeichnen.
#stadtvonmorgen: Und auf der Ebene der Finanzierung?
Bernhard Ziegler: Die Pandemie veranschaulicht die Schwächen des mengenbasierten Fallpauschalensystems im Gesundheitswesen. Denn medizinische Versorgung ist nicht planbar: Wir halten die Infrastruktur und Leistungen auch für Not- und Krankheitsfälle vor, von denen wir nicht wissen, ob, wann und in welchem Umfang sie eintreten. Dafür fehlt an vielen Stellen die Gegenfinanzierung. Das ist ein strukturelles Problem. Angesichts der Coronakrise waren viele Krankenhäuser nun außerdem dazu gezwungen, in bestimmten Bereichen „Mengen“ beziehungsweise Behandlungen zu reduzieren, verschiebbare Operationen abzusagen und ihre Kapazitäten auf einzelne Patientengruppen, eben die Coronapatienten, zu konzentrieren. Gibt es für die zurückgestellten Mengen aber keinen Ausgleich, dann gerät die Finanzierung des jeweiligen medizinischen Bereichs in Schieflage. Denn die Bereiche, aus denen Operationen zurückgestellt sind, müssen ja weiterhin betrieben werden und kosten Geld. Aus dieser Gemengelage ergibt sich ein massives wirtschaftliches Problem, dass die deutschen Krankenhäuser mittlerweile flächendeckend betrifft. In dieser Lage sind wir nach wie vor, und sofern es keinen finanziellen Ausgleich gibt – zumindest ist das für mich im Augenblick nicht erkennbar –, verschärft sich das Problem.
Die Energiekrise verschärft das Kostenproblem
#stadtvonmorgen: Schauen wir auf den Ukrainekonflikt und die Energiekrise: Welche Auswirkungen haben beide auf die Krankenhäuser? Gerade die steigenden Preise für Energie dürften die prekäre Situation vieler Häuser doch zusätzlich verschlimmern, oder?
Bernhard Ziegler: Da sind zwei Themen voneinander zu trennen. Zum einen führt der Krieg gegen die Ukraine dazu, dass wir über die zentralen Verteilstellen verwundete Menschen aufnehmen und behandeln. Deren Anzahl ist überschaubar und beeinträchtigt nicht unseren Betrieb. Dies stellt kein Problem dar. Zum anderen ist da die Energiekrise. Hier teilen sich die Risiken in Menge und Preis. Was die Menge betrifft, mache ich mir um die Krankenhäuser zumindest im Augenblick keine großen Sorgen. Denn sie gehören zur kritischen Infrastruktur und sind daher von einer möglichen Rationierung ausgenommen. Was die massiv steigenden Preise betrifft, entwickelt sich hingegen ein ebenso massives Kostenproblem. Denn die Krankenhäuser agieren in ihren Abrechnungen mit festen Preisen. Das System sieht eigentlich keine Preissteigerung in dieser Form vor. Die Krankenhäuser können steigende Energiepreise also nicht „weitergeben“. Gleichzeitig kommen sie mit Einsparungen nur bedingt weiter. Denn die Heizung oder die Klimaanlage auf der Krankenstationen lässt sich eben nicht abdrehen.
#stadtvonmorgen: Lässt sich die Dimension des Problems beziffern?
Bernhard Ziegler: An unserem Beispiel lässt es sich konkret darstellen. Bezogen auf den Gesamtumsatz macht die Preissteigerung rund zwei Prozent aus. Das Klinikum Itzehoe schreibt einen Umsatz von 200 Millionen Euro. Wir erwarten aufgrund der gestiegenen Energiekosten eine Mehrbelastung in Höhe von vier Millionen Euro, die wir nicht abwälzen können und die uns ins Defizit drücken. Das tut weh.
Dass Kommunen einspringen, ist eigentlich systemwidrig
#stadtvonmorgen: Solche Summen lassen sich nicht nebenbei abfedern. Wie reagieren die kommunalen Krankenhäuser also darauf? Springen Kommunen ein? Wer fängt das auf?
Bernhard Ziegler: Das ist eine sehr gute Frage. Die Krankenhäuser stehen mit dem Rücken an der Wand – vor allem die regional wichtigen Versorger. Die Politik ist gefragt. An vielen Stellen ist tatsächlich absehbar, dass Kreise und Städte für ihre kommunalen Krankenhäuser einspringen – schlicht, weil es nicht anders geht. Viele Kommunen sehen sich dazu gedrängt, Geld in die Hand zu nehmen, um Standorte zu retten und die Versorgung in ihrer Region zu sichern. Doch eigentlich ist das systemwidrig. Ginge man nach dem System, müsste es anders laufen. Vielerorts machen sie es aus der Not heraus.
#stadtvonmorgen: Für die Krankenhausfinanzierung müssten eigentlich der Bund und die Länder einstehen. Welches sind denn ihre Forderungen an diese?
Bernhard Ziegler: Aktuell erleben wir, wie der Bund einen dreistelligen Milliardenbetrag zur Bewältigung der Energiekrise in Aussicht stellt. Da müsste den Krankenhäusern mindestens ein Ausgleich ihrer gestiegenen Energiekosten und der Finanzausfälle, die aufgrund von coronabedingt verschobenen Behandlungen zu verzeichnen sind, zukommen. Dass nun bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Gespräch zwischen den Länderchefs und Bundeskanzler Olaf Scholz verabredet wurde, Krankenhäuser bei ihren gestiegenen Energiekosten im Bereich der Härtefallregelungen mit bis zu acht Milliarden Euro zu stützen, ist es gutes Signal. Nun kommt es jedoch auf die Umsetzung an. Und das Engagement des Bundes und der Länder darf sich nicht nur auf die Energiefrage beschränken. Abgesehen vom Geld sollte die Politik außerdem über die Quarantäne- und Coronaregeln nachdenken. Ich habe den Eindruck, als fände Corona derzeit nur noch in den Krankenhäusern und im öffentlichen Personennahverkehr statt. In weiten Teilen der Gesellschaft wie beispielsweise im Einzelhandel ist die Maskenpflicht längst obsolet – in den Krankenhäusern gilt sie dagegen noch immer. Regeln wie diese erscheinen mir und vielen meiner Kollegen undurchsichtig. Dabei ist evidenzbasiertes Handeln grundlegend für unsere Branche. Ein solches zu erkennen, fällt mir hinsichtlich der Coronaregeln derzeit jedoch schwer.
Es braucht einen Schutzschirm für die Krankenhäuser
#stadtvonmorgen: Nun pochen selbst die Bundesländer gegenüber dem Bund auf einen Schutzschirm für Stadtwerke in der Energiekrise. Branchenverbände malen mit Blick auf die Stadtwerke ein Systemsterben an die Wände. Sehen Sie in der Debatte um die kommunale Daseinsvorsorge die Rolle der kommunalen Krankenhäuser unterrepräsentiert? Braucht es nicht längst einen Schutzschirm für Krankenhäuser?
Bernhard Ziegler: Ja, es braucht einen Schutzschirm für die Krankenhäuser. Sowohl die Stadtwerke mit ihren Versorgungs- und Infrastrukturaufgaben als auch die Krankenhäuser sind essentielle Bestandteile der Daseinsvorsorge. Sie müssen am Leben gehalten werden. Für die Krankenhäuser gilt: Wir brauchen Entlastung bei den Energiekosten – darauf deutet der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz ja hin – und einen Ausgleich des Erlösausfalls bei coronabedingt nicht behandelten Elektivpatienten. Während der Pandemie gab es zwar zeitweise Kompensationen, die uns relativ gut durch die Krise gebracht haben. Aber diese sind nun weitgehend abgeschafft, verkompliziert oder zumindest kaum noch erkennbar.