Die vier niedersächsischen Städte Hannover (Foto oben), Braunschweig, Wolfsburg und Göttingen legen ein Finanzmemorandum vor. Damit rufen sie das Land Niedersachsen und den Bund dazu auf, die Kommunen, die unter einer prekären Finanzsituation leiden, zu stützen. Kommunen müssten „trotz Pandemie handlungsfähig“ bleiben.
„Zweiter Rettungsschirm“ gegen die Coronakrise
Konkret formulieren die OBM Ulrich Markurth (Braunschweig), Rolf-Georg Köhler (Göttingen), Belit Onay (Hannover) und Klaus Mohrs (Wolfsburg) auf Basis ihres Memorandums fünf Forderungen an das Land und den Bund. Erstens fordern sie das „Aufspannen eines zweiten Rettungsschirms für die Jahre 2021 und 2022“. Das Unterstützungspaket müsse ähnlich gestaltet sein wie die Coronahilfe von Bund und Ländern im Jahr 2020.
Zweitens regen die OBM eine „kurzfristige Umgestaltung der vorhandenen Richtlinien für Förderprogramme“ an. Es gelte, Verfahren zu vereinfachen. Drittens sprechen sie sich für die „Einführung von umfangreichen Investitionskostenzuschüssen für den Bau und die Sanierung von Schulen und Kindertagesstätten“ aus. Viertens müssten die Zuweisungen von Mitteln für den Betrieb von Schulen und Kitas kostendeckend sein.
Beratungseinrichtung soll Konnexität gewährleisten
Fünftens schlagen die vier OBM eine „gemeinsam ausgewählte Beratungseinrichtung“, die die Übertragung von Aufgaben auf die kommunale Ebene sowie deren auskömmliche Finanzierung überprüft, vor. So könnten „gerichtliche Klärungen wie im Fall des Bildungs- und Teilhabepakets von 2011 künftig vermieden werden“.
Grundsätzlich fordern die Oberbürgermeister, die strukturelle Unterfinanzierung ihrer Städte zu beheben. Dies sei eine Aufgabe von Bund und Ländern. Im Zeichen der aktuellen Coronakrise und ihrer zusätzlichen Belastungen der kommunalen Ebene sei eine Lösung des Problems umso wichtiger. „Einerseits wurde der kommunale Finanzbedarf durch die Krise erhöht, andererseits bleibt die Einnahmesituation deutlich unterhalb des vor der Krise erwarteten Niveaus zurück“, heißt es in einem Statement der Oberbürgermeister.
OBM fordern Einhaltung des Konnexitätsprinzips
Dabei führen die vier Stadtlenker diverse Faktoren auf, die zur angespannten Finanzlage ihrer Städte beitragen. Darunter sind „stark ansteigende Soziallasten“ sowie „die unzureichende Umsetzung und teilweise Umgehung des Konnexitätsgedankens“. Hierzu listen sie zahlreiche „Umgehungstatbestände der Konnexität“ aus der „Trickkiste des Landes“ auf.
Ebenso verweisen sie auf „hohe Sanierungs- und Investitionsbedarfe bei stark ansteigenden Baukosten für die städtische Infrastruktur“. Darüber hinaus sorgten neue Anforderungen etwa des Klimaschutzes, der Mobilitätswende oder der Digitalisierung für Transformationsaufgaben und weitere Investitionsbedarfe. Genauso sorge das Ringen um mehr leistbaren Wohnraum in den Städten für zusätzlichen Handlungs- und Finanzdruck.
Finanzmemorandum befeuert bundesweite Debatte
Das Memorandum der niedersächsischen Städte erscheint zu einem Zeitpunkt, zu dem sich das Bundesverfassungsgericht mit einer inhaltlich ähnlich gelagerten Kommunalverfassungsbeschwerde der Stadt Pirmasens und des Landkreises Kaiserslautern aus Rheinland-Pfalz beschäftigt. Damit untermauert das Memorandum die bundesweite Relevanz des Themas.
Statements aus den Städten
Belit Onay, OBM von Hannover: „Finanziell handlungsfähige Kommunen sind der Schlüssel zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft. In der Krise haben Bund und Länder mit einem großen finanziellen Pflaster kurzfristig geholfen. Die Ursache der finanziellen Schieflage vieler Kommunen konnte damit allerdings nicht behoben werden. Wir brauchen strukturell mehr Mittel für die den Kommunen übertragenen Aufgaben und generell ein größeres Stück vom Steuerkuchen.“
Christian Geiger, Kämmerer von Braunschweig: „Ohne die Unterstützung von Bund und Land hätte die Stadt Braunschweig das Jahr 2020 mit einem Defizit von über 60 Millionen Euro abgeschlossen. Unser städtisches Klinikum, das gerade auch in der Pandemie medizinisches Rückgrat der gesamten Region war, musste pandemiebedingt mit 36 Millionen Euro aus dem städtischen Haushalt unterstützt werden. Für die Jahre 2021 bis 2024 werden aktuell über 300 Millionen Euro Defizit im städtischen Haushalt erwartet. Das Land Niedersachsen muss uns dringend stärker unterstützen bei den notwendigen Investitionen im städtischen Klinikum, aber auch im städtischen Haushalt. Stattdessen sogar Landeszuschüsse für Sozialleistungen massiv zu reduzieren, wie es aktuell geplant ist, würde uns vor kaum lösbare Herausforderungen stellen.“
Klaus Mohrs, OBM aus Wolfsburg: „Viele Kommunen in Niedersachsen sind massiv von den Gewerbesteuereinnahmen abhängig. Wir in Wolfsburg sind es noch einmal in ganz besonderer Art und Weise. Die Pandemie wirkt sich nach wie vor auf die Unternehmen und dadurch auf die Einnahmesituation bei der Gewerbesteuer aus. Eine Normalisierung ist derzeit nicht abzusehen. Umso drastischer treffen die Kommunen Einbrüche bei dieser wichtigen Einnahmequelle. Um die strukturellen Herausforderungen wie den Ausbau von Kindertagesstätten, die Modernisierung wichtiger Infrastruktur, die Digitalisierung, die Schaffung der Teilhabe von allen Menschen sowie das Bieten eines attraktiven Wirtschaftsstandortes – vor denen wir als Kommunen auch bereits vor der Coronakrise standen – bewältigen zu können, bedarf es sowohl in der aktuellen Situation als auch langfristig eindeutig der finanziellen Unterstützung von Bund und Land.“
Rolf-Georg Köhler, OBM von Göttingen: „Die Stadt hat ihre Hausaufgaben gemacht. Wir haben ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das ZIVP, entwickelt, das unsere Bedarfe aufzeigt. Zu nennen ist auch der Klimaschutz als eine große und wichtige Aufgabe. Deshalb rufen wir in dieser Situation nicht einfach nach Unterstützung. Mit dem ZIVP können wir die Investitionsbedarfe auch belegen. Aufgrund der strukturellen Unterfinanzierung ist sicht- und greifbar, dass unsere Finanzmittel nicht ausreichen. Deshalb unterstützt Göttingen den Aufruf zur Stärkung der Kommunen durch das Land und den Bund.“