Als erstes und bislang einziges ostdeutsche Bundesland unterstützt Mecklenburg-Vorpommern seine Kommunen beim Abbau der sogenannten DDR-Wohnungsbaualtschulden. Dabei handelt es sich um finanzielle Altlasten, die im Zusammenhang mit dem damals volkseigenen Wohnungsbau der DDR stehen. Bei der deutschen Wiedervereinigung wurde das diesbezügliche Vermögen – auch die Schulden – an Städte und Gemeinden oder kommunale Wohnungsgesellschaften übertragen.
Zwischen Altschulden und Sanierungsstau: ein „Teufelskreis“
Nicht alle Kommunen konnten sich in den vergangenen Jahren von diesen Lasten befreien. Insbesondere in strukturschwachen Regionen, in denen hohe Leerstandquoten herrschen, wirken diese Altschulden auf Kommunen beziehungsweise kommunale Wohnungsgesellschaften erdrückend. Andreas Breitner ist Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen. Er berichtet von Fällen, in denen Kommunen sich von der Finanzlast derart eingeengt fühlen, dass sie daran denken müssen, ihren Wohnungsbestand abzustoßen – und damit wohnraumpolitische Handlungsinstrumente verlieren würden.
Nicht in den boomenden Städten, sondern gerade dort, wo ohnehin ein hoher Leerstand herrscht, sei es mancher Kommune nur schwer möglich, die Summen für die Zins- und Tilgungsraten noch zu erwirtschaften, erklärt Breitner. Das Geld aus Mieteinnahmen fließt in den Kapitaldienst ab – und fehlt für dringend notwendige Sanierungen oder Umbauten. Das habe zur Folge, dass die betroffenen, meist sanierungsbedürftigen Immobilien noch unattraktiver und letztlich auch unrentabler würden – ein „Teufelskreis“.
DDR-Wohnungsbaualtschulden erschweren Quartiersentwicklung
Breitner spricht von einer „Hoffnungslosigkeit der Schuldentilgung bei hohem Leerstand“ und von „regelrecht notleidenden Mitgliedsunternehmen in bilanziellen Schwierigkeiten“. Das behindert nicht nur die Quartiersentwicklung vor Ort und belastet den öffentlichen Haushalt, sondern wird in vielen Kommunen auch als eine Ungerechtigkeit wahrgenommen. Die hohen Bürden verhindern mancherorts sogar den nötigen Abriss maroder Immobilienbestände, da sich ein Abbruch der Häuser und damit ihr bilanzieller „Wertverlust“ gegenüber den bestehenden Schulden in den Büchern verheerend auswirken würden.
Zum 31. Dezember 2017 summierten sich die Wohnungsbaualtschulden der kommunalen Wohnungswirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern auf rund 326 Millionen Euro. Dabei handelt es sich für einzelne Kommunen teils um Millionenbeträge. Doch für kleinere Gemeinden in strukturschwachen Gebieten mit im Vergleich zu Metropolen niedrigem Mietniveau können schon sechsstellige Summen in den Bilanzen der Wohnungsbauunternehmen blockierend wirken. Mit einer Änderung des Finanzausgleichsgesetzes möchte das Land dem nun entgegensteuern.
Mecklenburg-Vorpommern richtet kommunalen Entschuldungsfonds ein
Dafür hat Mecklenburg-Vorpommern einen kommunalen Entschuldungsfonds eingerichtet, der die Kommunen – rückwirkend seit 2020 – mit jährlich 25 Millionen Euro unterstützen soll. Dies gab das Innenministerium am 1. Februar bekannt. Damit will das Land seine Kommunen und kommunalen Wohnungsunternehmen von den DDR-Altkrediten befreien. Ob das in allen Fällen gelingen kann, ist allerdings noch nicht klar. Denn bei der Europäischen Kommission läuft ein Notifizierungsverfahren, um die Beihilfekonformität des Vorhabens abzuklären. In den nächsten Wochen ist zu erwarten, dass sich die Kommission dazu positioniert.
Bis zum Abschluss des Verfahrens wird die Entschuldungshilfe in fraglichen Fällen nur in Höhe von höchstens 200.000 Euro gewährt. Außerdem sind vier Fallgruppen, die nicht unter das europäische Beihilferecht fallen, von dieser Deckelung ausgenommen.
Dabei handelt es sich um mit Schulden belastete Kommunen, die ihren diesbezüglichen Wohnungsbestand schon abgerissen haben oder diesen zu Marktbedingungen verkauft haben. Sollten sie ihren Wohnungsbestand verkauft haben, jedoch nicht zu Marktbedingungen, dann muss dies mehr als zehn Jahre her sein, damit die Vorgänge nicht unter das Beihilferecht fallen. Viertens richtet sich der Entschuldungsfonds an Gemeinden, die Alleingesellschafter von Wohnungsunternehmen sind und die vor mehr als zehn Jahren oder als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse die Schulden ihrer Wohnungsgesellschaft übernommen haben.
Entlastung von Altschulden bereinigt „Fehler“ der Wiedervereinigung
Für Breitner und Thomas Beyer, den Vorsitzenden des Städte- und Gemeindestags in Mecklenburg-Vorpommern, ist der Lösungsansatz „30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung ein Meilenstein“, der „einen Fehler im Einigungsvertrag“ bereinigen könne. Die damalige Schuldenverteilung im Zusammenhang mit der staatlichen Neuorganisation erscheine aus heutiger Sicht willkürlich und fehlerhaft.
„Die Verbindlichkeiten wurden den Unternehmen unverschuldet im Zuge der Deutschen Einheit aufgebürdet und wirken sich vor allem auf die regionale Wirtschaft aus“, heißt es in einem gemeinsamen Pressestatement von Breitner und Beyer. „Durch die allmähliche Entlastung von DDR-Altschulden kann jeder eingesparte Euro in die bedarfsgerechte Sanierung der Wohnungen und damit in die Wirtschaft vor Ort fließen.“ So wirke der Entschuldungsfonds „wie ein kleines Sonderkonjunkturprogramm“. Die Kommunen und kommunalen Wohnungsunternehmen gewännen dadurch Handlungsfähigkeit und Gestaltungskraft zurück.
Breitner erkennt in dem Vorstoß der Landesregierung eine Anerkennung des Engagements kommunaler Wohnungsunternehmen und von deren Relevanz als Faktoren für die Stadtentwicklung und die Wirtschaft vor Ort. Für die Zukunft hofft er auch auf eine Lösung für genossenschaftlich organisierte Wohnungsunternehmen.
DDR-Wohnungsbaualtschulden: Auch Kommunen anderer Länder wollen Lösung
Derweil weckt der Lösungsansatz in Mecklenburg-Vorpommern bei Kommunen anderer ostdeutscher Bundesländer ebenfalls Begehrlichkeiten. Das Thema der Altschulden sei ein lange umstrittenes, sagt Mischa Woitscheck, Geschäftsführer des sächsischen Städte- und Gemeindetags, auf Nachfrage der OBM-Zeitung. Er hätte darauf gehofft, dass „die endgültige Ablösung der Altschulden kommunaler Wohnungsunternehmen“ im Kontext der Ergebnisse aus der Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse über ein mit Bundesmitteln ausgestattetes Programm geregelt worden wäre. Doch leider überlagere die Coronakrise die Kommissionsarbeit.
Zudem sieht Woitscheck den Freistaat Sachsen in der Pflicht: „Das Land sollte sich daran beteiligen, weil im Juni 2020 das Bundeskabinett beschlossen hat, dass die neuen Länder sich an den Kosten der DDR-Zusatzrenten künftig nur noch mit 40 statt mit 50 Prozentpunkten beteiligen müssen.“ Für Sachsen bedeute dies eine Entlastung um rund 160 Millionen Euro. „Es wäre daher nur konsequent, wenn sich der Freistaat mit diesen Mitteln auch der einigungsvertragsbedingen Altlast der Altschulden für Wohnungsunternehmen annehmen würde.“
Das Foto oben zeigt die Stadt Neubrandenburg. Im OBM-Interview spricht OBM Silvio Witt über die Besonderheiten ostdeutscher Städte. Dabei weist er auch auf die DDR-Wohnungsbaualtschulden hin. Die Stadt Neubrandenburg habe diesbezüglich noch immer rund fünf bis sechs Millionen Euro in den Büchern ihres Wohnungsbauunternehmens stehen.