Im Corona-Konjunkturpaket sind Hilfen für Kommunen. Die Altschuldenfrage bleibt aber offen. Daran erinnert jetzt das Bündnis „Für die Würde unserer Städte“.

Eine Altschuldenlösung war zum Greifen nah: Nach einer Idee von Bundesfinanzminister Olaf Scholz hätte das Konjunkturprogramm gegen die Coronakrise eine Entlastung der von hohen Altschulden geplagten Kommunen mit Bundesmitteln umfassen sollen. Die Idee scheiterte aber vor allem am Widerstand der Bundesländer, deren Kommunen weniger mit Altschulden belastet sind. Das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“, in dem von Altschulden besonders belastete Kommunen vernetzt sind, kämpft seit über zehn Jahren für eine Lösung des Altschuldenproblems. Ist eine Altschuldenlösung nun auf lange Sicht unrealistisch? Oder können die betroffenen Kommunen doch noch auf Hilfe hoffen? Und was bedeutet das Scheitern der Scholz-Idee nun für die Aktivitäten des Bündnisses? Darüber spricht Johannes Slawig, Kämmerer aus Wuppertal und Sprecher des Aktionsbündnisses, gegenüber den Fachmedien „Der Neue Kämmerer“ und „OBM – Zeitung für Oberbürgermeister/innen“.

Scheitern der Altschuldenlösung „große Enttäuschung“

OBM: Herr Slawig, als Maßnahme gegen die Coronakrise hat die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm vorgelegt. Anfangs hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Idee, dieses mit einer Lösung des kommunalen Altschuldenproblems zu verknüpfen. Wie haben Sie diesen Vorschlag damals empfunden?

Johannes Slawig: Das Aktionsbündnis hatte diesen Vorschlag sehr begrüßt. Wir hatten die Hoffnung, dass damit nach Jahrzehnten der Diskussion das strukturelle Problem der kommunalen Altschulden endgültig und nachhaltig hätte gelöst werden können.

OBM: Doch der Vorschlag, dass der Bund und die jeweiligen Länder die Schulden hochbelasteter Kommunen hälftig schultern, fand keinen Durchsatz. Wie bewerten Sie es, dass er nicht zum Tragen kam?

Johannes Slawig: Für uns ist dies eine große Enttäuschung. Wir hatten den Eindruck, nach Jahren des Engagements kurz vor einer Lösung des Altschuldenproblems zu stehen. Nichtsdestotrotz sind wir sehr zufrieden mit anderen Teilen des Konjunkturprogramms.

„Die Altschuldenfrage bleibt unbeantwortet“

OBM: Schon vor der Coronakrise gab es im Kontext der Debatte um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auf Bundesebene durchaus Ansätze, das kommunale Altschuldenproblem zu lösen. Nachdem die Idee, dies im Kontext der Coronahilfen zu tun, nicht realisiert wird, konzentriert sich das Thema aber wieder mehr auf die betroffenen Länder. Ist eine Problemlösung auf Bundesebene nun passe?

Johannes Slawig: Ich befürchte, dass nach der Einigung auf das Konjunkturprogramm auf längere Sicht das Altschuldenthema auf Bundesebene nicht mehr angefasst wird. Auch, weil mit der Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft im Konjunkturprogramm tatsächlich eine wichtige und nachhaltige Entlastung der kommunalen Haushalte – insbesondere der strukturschwachen Städte – festgeschrieben ist. Letzteres begrüßen wir ausdrücklich. Neben der Altschuldenlösung gehörte dies zu den Forderungen des Bündnisses. Dennoch bleibt die Altschuldenfrage unbeantwortet. Dass sie nun wohl nicht mehr ganz oben auf der Agenda in Berlin steht, müssen wir hinnehmen.

„Unser Engagement richtet sich verstärkt an die Länder“

OBM: Was bedeutet das für die Bündnisarbeit, die ja auch den bundespolitischen Fokus hatte?

Johannes Slawig: Unser Engagement richtet sich folglich verstärkt an die Bundesländer. Einige Bundesländer haben sich bereits mit dem Thema Altschulden konstruktiv beschäftigt – zum Beispiel Hessen, aber jetzt auch das Saarland. Der Blick auf das kleine Saarland macht es umso unverständlicher, dass die größeren Länder Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen noch nichts dergleichen angekündigt, geschweige denn umgesetzt haben. In beiden Bundesländern werden wir unsere Forderungen erheben und unsere Aktivitäten intensivieren. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hat uns sogar schriftlich erklärt, dass er eine Lösung des Altschuldenproblems umsetzen wolle. Wir fordern ein, dass den Ankündigungen Taten folgen.

OBM: Im Bündnis sind aber auch ostdeutsche Städte vertreten, wie repräsentieren Sie diese weiterhin?

Johannes Slawig: Entstanden ist das Aktionsbündnis Mitte der 2000er in Nordrhein-Westfalen in Form eines Memorandums zur kommunalen Finanzreform. Daraus ist später das Bündnis geworden, das sich dann vor etwa zehn Jahren bundesweit ausgeweitet hat auf Städte anderer Bundesländer mit ähnlichen Problemen. Durch diese Vernetzung haben unsere Forderungen an Gewicht gewonnen. Die Schwerpunkte bilden Nordrhein-Westfalen, Saarland, Rheinland-Pfalz. Hinzu kamen Städte aus Hessen, Niedersachsen und einige ostdeutsche. In unseren Aktivitäten konzentrieren wir uns nun auf die Landesebenen. Naturgemäß liegt dabei der Schwerpunkt auf Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland.

OBM: Doch macht sich der Bund nicht einen „schlanken Fuß“, indem er das Problem auf Länderebene schiebt? Wie sehen Sie die Rolle des Bundes für Ihre Anliegen?

Johannes Slawig: Der Bund ist für die Lösung des Haushaltsproblems finanzschwacher Städte nach wie vor ein wichtiger Partner. Das Aktionsbündnis verfolgte von Beginn an drei Kernforderungen. Erstens die Lösung des Altschuldenproblems. Zweitens eine nachhaltige Entlastung bei den Kosten sozialer Leistungen – hier bleibt der Bund der wichtigste Gesprächspartner. Die Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft werten wir als einen Erfolg; aber in Gänze ist das Problem hoher Sozialkosten damit nicht gelöst. Ich denke an den Bereich der wirtschaftlichen Jugendhilfe. Das dritte Thema ist die Förderung kommunaler Investitionen, etwa in Förderprogrammen für Bereiche wie den Klimaschutz oder die energetische Sanierung. Insofern werden wir auf Bundesebene weiter aktiv bleiben.

„Wenn es um Geld geht, leidet die Solidarität“

OBM: War der Bund für Sie von Beginn an vielleicht der falsche Adressat für das Altschuldenthema?

Johannes Slawig: Was die Altschuldenlösung angeht, war mit Blick auf den Bund von Beginn an ein äußerst dickes Brett zu bohren. Das hängt mit der verfassungsrechtlichen Situation, dass die Länder für die Finanzausstattung der Kommunen zuständig sind, zusammen. Zudem sind die Bundesländer und Regionen sehr unterschiedlich vom Altschuldenproblem betroffen. Dies macht es schwierig, die Solidarität dafür zu erreichen, Bundesmittel für die Lösung eines Problems freizumachen, das nicht in allen Bundestagswahlkreisen beziehungsweise in allen Bundesländern gleichermaßen stattfindet. Beispielsweise in Bayern oder Baden-Württemberg haben wir für unsere Anliegen nie eine große Unterstützung gefunden. Dort ist die kommunale Verschuldung mit Kassenkrediten kein so drängendes Problem wie anderswo.

OBM: Was sagt das Scheitern der Altschuldenlösung über die Solidarität in der Republik aus? Hätte die Coronakrise nicht ein gutes Argument für eine gemeinschaftliche Anstrengung im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse sein können?

Johannes Slawig: Eigentlich schon. Gerade die Coronakrise zeigt doch, wie wichtig starke Kommunen sind. Doch offenbar führt gerade die Unterschiedlichkeit der Lebens- und Haushaltsverhältnisse dazu, dass durch die gesamtdeutsche Solidarität große Risse gehen, übrigens auch durch die „kommunale Familie“. Denn auf der kommunalen Ebene gibt es ebenfalls geteilte Meinungen. Selbst innerhalb des Deutschen Städtetags sind große Unterschiede erkennbar. Manche Städte sagen, sie hätten drängendere Probleme zu lösen, als sich um die Finanzsituation hochverschuldeter Kommunen zu kümmern. Wenn es um Geld geht, leidet die Solidarität. Die Maßnahmen im Konjunkturprogramm, insbesondere die Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft, sind zu begrüßen. Sie helfen strukturell schwächeren Städten genauso wie finanziell besser gestellten. Aber: Sie sorgen nicht für mehr Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Während die einen durch die Entlastungen nun etwas mehr Handlungsspielraum im Kampf gegen ihre Verschuldung haben, können andere diese Luft für mehr Investitionen nutzen. Insofern sehe ich nicht, wie die teils gravierenden Ungleichheiten zwischen Städten und Regionen durch die Maßnahmen des Konjunkturprogramms eingedämmt werden sollen. Das Altschuldenproblem bleibt ungelöst. Hier wurde eine Chance vertan.

„Dass das Altschuldenproblem nicht in Vergessenheit gerät“

OBM: Indem das Altschuldenproblem von der Bundesagenda auf die der Länder verlagert wird: Sehen Sie darin die Gefahr, dass es aus dem gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein verschwindet und die betroffenen Kommunen am Ende alleine dastehen?

Johannes Slawig: Nein. Im Gegenteil: Perspektivisch sehe ich sogar die Gefahr, dass die Brisanz des Altschuldenproblems zunehmen könnte. Zum Beispiel dann, wenn sich die Zinslage verändert und die Kosten für Kassenkredite steigen. Die Botschaft ist: Das Altschuldenproblem bleibt der Republik erhalten, und wir sorgen dafür, dass es nicht in Vergessenheit gerät.

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