Die bayerische Stadt Neumarkt in der Oberpfalz vermeldet haushalterische Erfolge. Wie kann das sein in der Coronakrise? Das erklärt OBM Thomas Thumann.

Einbrüche der Steuereinnahmen, Haushaltssperren und verzweifelte Rufe nach Unterstützung durch Bund und Länder – ins Redaktionspostfach der OBM-Zeitung flattern täglich Alarmmeldungen und Pressemitteilungen, die angesichts der Coronakrise vor verheerenden Folgen für die Haushalte der Städte warnen. Am Dienstag allerdings teilte die bayerische Stadt Neumarkt in der Oberpfalz mit, dass ihr „Haushalt ein weithin sichtbares Signal für eine handlungsfähige, erfolgreich wirtschaftende Stadt“ sei. Eine Erfolgsmeldung in Coronazeiten? Darüber spricht OBM Thomas Thumann.

„Unseren bereits beschlossenen Investitionen tut die Coronakrise keinen Abbruch“

OBM: Herr Thumann, was Haushaltsmitteilungen aus Kommunen angeht, sind in unserem Redaktionspostfach im Augenblick die Nachrichten von Haushaltssperren die Regel. Da sticht die gestrige Presseinformation aus Neumarkt heraus. Was veranlasst Sie zu dieser Erfolgsmeldung? Welche Kennzahlen zeichnen den aktuellen Haushalt aus?

Thomas Thumann: Zunächst möchte ich vorausschicken, dass der Haushalt 2020 natürlich zu einem Zeitpunkt aufgestellt wurde, zu dem keiner die aktuelle Krise absehen konnte. Die Erfolgsmeldung ist, dass wir aufgrund der überaus erfreulichen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte den mit Abstand höchsten Haushalt mit einem Volumen von 165,2 Millionen Euro auflegen konnten. Mit 60,5 Millionen Euro weist auch das Investitionsvolumen einen Höchststand aus. Für 2019 haben wir Zuführungen in den Vermögenshaushalt in Höhe von rund 13 Millionen Euro prognostiziert, es wurden dann nach letztem Stand 29 Millionen Euro. Das entspricht dem 70-fachen der Mindestzuführung. Dabei nehmen wir unter den Großen Kreisstädten in Bayern eine Sonderstellung ein mit den seit über 45 Jahren nicht mehr erhöhten, niedrigsten Gewerbe- und Grundsteuersätzen. Der Stadt geht es sehr gut.

OBM Thomas Thumann aus Neumarkt (Quelle: Stadt Neumarkt in der Oberpfalz)

„Es gilt, Rücklagen aufzubauen und diese nicht anzutasten“, nennt OBM Thomas Thumann aus Neumarkt seine finanzpolitische Maxime. (Quelle: Stadt Neumarkt in der Oberpfalz)

OBM: Warum ist das so?

Thomas Thumann: Unsere Finanzstabilität liegt in hohem Maß darin begründet, dass unsere lokale Wirtschaft stark und breit aufgestellt ist. Unsere Unternehmen agieren in verschiedensten Sparten, und es gibt keinen den Standort dominierenden Betrieb. Wir haben einen historisch gewachsenen Branchenmix mittelständischer, oft familiengeführter Unternehmen. Mit dieser Prosperität korrespondiert eine wachsende Einwohnerzahl, die sich in meiner Amtszeit seit Dezember 2005 von rund 38.000 auf über 40.000 entwickelt hat. In dieser Zeit sind die Gewerbesteuereinnahmen von 13 Millionen Euro auf 35 Millionen Euro pro Jahr gewachsen, die Einnahmen durch die Einkommensteuer von 11 Millionen auf 28 Millionen Euro. Für dieses Jahr hätten wir eine weitere gute Prognose gehabt, müssen in der Realität nun aber wohl mit anderen Zahlen rechnen.

OBM: Sie sprechen es an: Die Coronakrise macht nicht an Neumarkt halt. Welche Auswirkungen erwarten Sie, müssen Sie gegebenenfalls Zahlen korrigieren?

Thomas Thumann: Das muss man differenziert betrachten. Unseren bereits beschlossenen Investitionen wie dem Bau eines Schwimmbades, der netto insgesamt ein Volumen von 45 Millionen Euro umfasst, tut dies keinen Abbruch. Im Bereich der Gewerbesteuereinnahmen haben wir mit einem Ansatz von 31 Millionen Euro gerechnet, im Bereich der Einkommensteuer mit 26 Millionen Euro. Diese Zahlen werden wir nicht erreichen. (Im Anschluss an das heutige Interview teilte ein Sprecher der Stadt noch soeben erhobene Zahlen mit. Demnach rechnet Neumarkt 2020 mit Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer in Höhe von sechs Millionen Euro, beim Anteil an der Einkommensteuer von drei Millionen Euro und beim Anteil an der Umsatzsteuer von 500.000 Euro.)

„Unsere gute Haushaltslage sehen wir im Augenblick nicht gefährdet“

OBM: Bedeutet dies, dass die Coronakrise Ihren Haushalt doch ins Wanken bringen könnte?

Thomas Thumann: Es ist richtig, dass wir gegensteuern müssen. Unsere gute Haushaltslage sehen wir im Augenblick aber nicht gefährdet. Denn unseren Schulden in Höhe von 3,6 Millionen Euro stehen Rücklagen in Höhe von 84 Millionen Euro gegenüber. Es war immer die politische Maxime, Rücklagen aufzubauen, um für mögliche Krisenfälle, wie sie jetzt eintreten, gut gerüstet zu sein und gleichzeitig der nächsten Generation keine Lasten aufzubürden, sondern sie in die selbe finanziell befreite Lage zu versetzen, in der wir agieren können. Dieses sparsame und zielgerichtete Handeln kommt uns nun zugute. Wenn wir auch Abstriche werden machen müssen …

OBM: Ein Kämmerer aus Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland bekäme wohl Tränen in die Augen, wenn er sich Ihre komfortable Situation vergegenwärtigen würde. Die Pro-Kopf-Verschuldung Ihrer Bürger betrug 2019 gerade einmal 91,19 Euro. Und dass Ihr Haushalt nicht nur ausgeglichen ist, sondern Sie sogar in der Lage sind, Rücklagen zu bilden, muss angesichts der dort hohen kommunalen Verschuldung doch traumhaft klingen. Wie sehr ist die Finanzsituation Ergebnis lokaler Politik, und wie sehr ist sie dem „Zufall“ oder eben strukturellen Voraussetzungen geschuldet?

Thomas Thumann: Ich kann nicht für nordrhein-westfälische oder saarländische Städte sprechen. Auch in Bayern gibt es regionale Unterschiede, was die Finanzsituation der Kommunen betrifft. Tatsächlich ist es so, dass sich die mittelständische Struktur der Stadt, die eine wesentliche Säule unserer Prosperität ist, von der Kommunalpolitik nicht planen lässt. Natürlich schafft die Lokalpolitik begünstigende Rahmenbedingungen. Doch unsere Branchenstruktur ist historisch gewachsen, und unsere Unternehmen agieren selbstständig in ihren jeweiligen Märkten. Eine zweite wichtige Säule für unsere soliden Finanzen sehe ich in der hohen Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt und damit verbunden dem hohen ehrenamtlichen Engagement – von der Freiwilligen Feuerwehr bis zur Seniorenarbeit. Dies schafft Angebote, die wir allein städtisch nicht vorhalten könnten. Diese beiden Aspekte sind wesentliche Grundlagen für unsere nachhaltige Finanzausstattung. Darauf setzt eine vorausschauende Politik auf. Es gilt, Rücklagen aufzubauen und diese nicht anzutasten. Und es gilt, nicht mehr auszugeben, als wir einnehmen.

Aber: „Jede Investition steht auf dem Prüfstand“

OBM: Sie haben von Abstrichen gesprochen. Wie verändert die Coronakrise Ihr Haushalten?

Thomas Thumann: In Krisenzeiten werden wir manches Vorhaben vielleicht doch zurückstellen oder aufschieben. Die Stadt Neumarkt ist in allen Bereichen bislang sehr gut durch die Coronakrise gekommen. Auch, weil wir in der Vergangenheit vorausschauend gewirtschaftet haben. Unsere Denkweise müssen wir nun aber umstellen: Bislang haben wir bei Investitionen weniger über das Ob, sondern mehr über die Reihenfolge der Projekte diskutiert. Die Coronakrise hat nun zur Folge, dass wir größere Pläne stärker hinterfragen werden. Jede Investition steht auf dem Prüfstand. Dabei spielt unsere Maxime, mit unseren Rücklagen im Sinne der kommenden Generation nachhaltig umzugehen, eine entscheidende Rolle.

OBM: Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat nun angeregt, Städten als Coronahilfe die Gewerbesteuerausfälle hälftig mit Mitteln des Bundes und der Länder zu erstatten. Gleichzeitig regt er an, das Altschuldenproblem hoch verschuldeter Städte ebenso zu lösen. Was halten Sie von diesen Plänen? Der Bayerische Städtetag hatte sich diesbezüglich heute kritisch geäußert, da er beide Fragen nicht miteinander vermengt wissen will und die Finanzverantwortung für die Altschulden in anderen Bundesländern ablehnt …

Thomas Thumann: Wie gesagt, sehe ich mich nicht dazu in der Lage, die Situation in anderen Bundesländern und, wie es dazu kam, zu beurteilen. Ich sehe mich aber auf der Linie meiner Kollegen in bayerischen Städten. Aus deren Sicht werden die Scholz-Pläne als ungerecht empfunden. Ich kann diese Position nachvollziehen.

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