Rheinland-Pfalz macht den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zur Pflichtaufgabe seiner Kommunen. Dafür hat der rheinland-pfälzische Ministerrat eine Novellierung des Nahverkehrsgesetzes beschlossen. Der Städtetag bezeichnet dies als „Meilenstein“ für den ÖPNV. Welche Perspektiven sich für die Mobilität in Städten daraus ergeben, welche Auswirkungen dies auf die kommunalen Haushalte hat und wie die Coronakrise auf den ÖPNV wirkt, beantwortet Michael Ebling, der Präsident des rheinland-pfälzischen Städtetags. Zudem ist Ebling Präsident des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) und OBM von Mainz.
Es ist höchste Zeit, dass der ÖPNV zeitgemäß angepasst wird
OBM: Herr Ebling, der rheinland-pfälzische Ministerrat hat eine Novellierung des Nahverkehrsgesetzes beschlossen. Welches sind aus Sicht der Städte die markanten Punkte?
Michael Ebling: Das bisherige Nahverkehrsgesetz hat seinen Ursprung in der Mitte der 1990er Jahre. Seit dem hat sich der Mobilitätsbedarf gravierend verändert. Es ist höchste Zeit, dass der ÖPNV im Land eine zeitgemäße Anpassung erfährt. Das ist der positive Aspekt des Gesetzes. Dazu gehört, dass der ÖPNV von einer freiwilligen Aufgabe für Kommunen zu einer Pflichtaufgabe aufgewertet wird. Damit einhergeht eine Neuordnung von Finanzströmen und der strukturellen Gliederung des ÖPNV. Das Land wird mit den Kommunen einen Nahverkehrsplan erarbeiten. Der zielt auch darauf ab, die kleinteilige Struktur einer Vielzahl von Verkehrsverbünden aufzulösen beziehungsweise Brüche zu überwinden. Denn die Anschlussfähigkeit zwischen den Verbünden lässt zu wünschen übrig. Der Fahrgast erwartet von einem modernen ÖPNV beispielsweise, dass er sich mit einer einzigen App über Fahrzeiten informieren und Fahrscheine lösen kann. Eine Kleinteiligkeit unterschiedlicher ÖPNV-Anbieter in einer Region wird diesem Anspruch nicht gerecht und passt nicht mehr in die Zeit.
Der Lackmustest kommt erst mit dem Nahverkehrsplan
OBM: Die Verankerung des ÖPNV als Pflichtaufgabe stärkt zwar dessen Rolle in kommunalen Haushaltsplänen. Doch das bedeutet aber nicht zwangsläufig mehr Geld, oder?
Michael Ebling: Erst einmal bedeutet seine Verankerung als Pflichtaufgabe eine kommodere Situation für die Finanzierung des ÖPNV. Schließlich stehen die Posten der freiwilligen Aufgaben in Spardebatten besonders unter Druck. Dies ist für ein so wichtiges Feld der Daseinsvorsorge wie den ÖPNV kontraproduktiv. Gleichwohl ist mit den Änderungen nicht verbunden, dass das Land automatisch dazu bereit wäre, mehr für den ÖPNV zu leisten. Es hat zwar erklärt, dies tun zu wollen. Doch der Lackmustest kommt erst, wenn es in Zukunft darum geht, den Nahverkehrsplan zwischen Land und Kommunen abzustimmen und Finanzströme neu zu ordnen. Es ist eine lange Forderung des Städtetags, dass das Land mehr in die Finanzierung des ÖPNV einsteigt. Angebotsverbesserungen kosten Geld.
OBM: Befürchten Sie nicht, dass das Land mit dem neuen Nahverkehrsplan die Kommunen aus ihrer Steuerung des ÖPNV herausgedrängt und gegebenenfalls über lokale Linien entscheidet?
Michael Ebling: Diese Sorge teile ich nicht, da ich nicht glaube, dass die Regelungslust des Landes so groß sein wird, dass sie sich bis auf die einzelne Gemeinde herunterbrechen lässt. Im Gegenteil: Positiv ist, dass sich das Land in Steuerungsverantwortung begibt. Denn es ist der richtige Ansatz, aus überregionalem Blick die Brücke zwischen Waben und Verbundregionen zu schlagen. Wie gesagt: Die kleinteilige Organisation verschiedener Verkehrsverbünde im Land mit unabgestimmten Takten, Anschlüssen oder Finanzierungen – all dies ist nicht mehr zeitgemäß und wird den eigentlichen Bedarfen schon heute nicht gerecht.
Mehr „politischen Dampf“ für den ÖPNV: Rheinland-Pfalz als Vorreiter
OBM: Die Aufwertung des ÖPNV zur Pflichtaufgabe bezeichnen Sie als „Meilenstein“. Warum?
Michael Ebling: Das Thema bekommt dadurch mehr politischen Dampf. Die Einordnung als Pflichtaufgabe reduziert Investitionshemmnisse und birgt die Chance, den ÖPNV mit höherer Priorität zu entwickeln. Dies steht im Kontext urbaner Herausforderungen: Der ÖPNV ist ein Schlüsselfaktor für die Entkrampfung von verstopften Straßen in Ballungsgebieten, für die Verkehrswende, für CO2-Minimierung, für Luftreinheit und Klimaschutz. All diese Aspekte bedingen eine Reduktion des Individualverkehrs. Dies als Pflichtaufgabe zu verstehen, erleichtert es den Städten, ihren Beitrag dafür leisten zu können.
OBM: Als Präsident des Verbands Kommunaler Unternehmen: Wie wegweisend ist es denn im Bundesvergleich, den ÖPNV als Pflichtaufgabe zu interpretieren?
Michael Ebling: Rheinland-Pfalz ist mit dieser gesetzlichen Regelung ein Vorreiter. Eine solche rechtliche Grundlage für den ÖPNV ist einzigartig. Andere Bundesländer werden dies wohl mit Interesse verfolgen. Andererseits ist Rheinland-Pfalz leider kein Vorreiter, wenn es um die finanzielle Unterstützung des ÖPNV geht. Ich denke etwa an die Förderung von Fahrzeugen wie Bussen. Mit dem neuen Gesetz macht Rheinland-Pfalz also einen Schritt nach vorne. Aus Sicht des Städtetags und des VKU möchte ich aber die Hoffnung anfügen, dass damit weitere folgen, was die finanziellen Möglichkeiten für den ÖPNV betrifft.
In der Coronakrise brauchen die kommunalen Unternehmen Sicherheit
OBM: Nun ist der ÖPNV im Augenblick sehr stark mit den Auswirkungen der Coronakrise belastet. Wie schätzen Sie die Effekte auf die kommunalen Unternehmen ein?
Michael Ebling: Wir erleben das Wegbrechen von Einnahmen, während die Angebote in hoher Quote erhalten bleiben. In der ersten Zeit des Lockdowns waren teilweise Fahrgasteinbrüche von 80 bis 90 Prozent zu verzeichnen. Zwar nimmt die Beanspruchung des ÖPNV nun wieder zu – dennoch fehlt es massiv an Einnahmen. Für Mainz kann ich sagen, dass wir 2020 bei unserer Verkehrsgesellschaft mit einem Defizit von 18 Millionen Euro geplant hatten, das wir jetzt aber auf über 25 Millionen Euro korrigieren müssen. Das sind Dimensionen, die die kommunalen Unternehmen natürlich äußerst stark belasten. Damit verbunden ist auch ein Hinweis an den Bund: Die kommunalen Unternehmen brauchen die Sicherheit, dass ihnen geholfen wird. Die Verkehrsbetriebe sind die Gestalter der Verkehrswende. Sie investieren in alternative Antriebstechnologie, in E-Busse oder Wasserstoffbusse. Natürlich bedroht ein Krisenjahr wie dieses solche Investitionen.
OBM: Was macht die Coronakrise langfristig mit der Akzeptanz des ÖPNV?
Michael Ebling: Das kann man im Augenblick noch nicht abschließend beantworten. Angesichts der aktuellen Zurückhaltung bezüglich des ÖPNV höre ich in Diskussionen immer wieder die Sorge, dass der ÖPNV an Akzeptanz verlieren könnte. Das ist keine finale Betrachtung, aber vor dem Hintergrund der beschriebenen wichtigen Rolle des ÖPNV als Antwort auf urbane Herausforderungen eine Befürchtung, die man haben muss.