Oberbürgermeister Holm Große aus Bischofswerda warnt die Regierung des Freistaats Sachsen vor einem finanziellen Ausbluten ihrer Kommunen: Deren ohnehin angespannte Finanzlage spitze sich durch die Coronakrise zu. Die bedrohlich hohen Belastungen rollten teils mit einem Zeitverzug auf die städtischen Haushalte. Vom Freistaat Sachsen erwartet OBM Große Unterstützung. Sein Gastbeitrag steht exemplarisch für die Rufe aus deutschen Kommunen: Vielerorts melden sich Oberbürgermeister zu Wort, die angesichts der Coronakrise Bund und Länder auf die Rolle der Kommunen und deren Finanzbedarfe hinweisen. Am Dienstag prognostizierte Städtetagsprädident Burkhard Jung, OBM aus Leipzig, allein für dieses Jahr finanzielle Einbußen von mindestens 20 Milliarden Euro für die Kommunen.
Finanzielle Möglichkeiten für Städte in Sachsen ohnehin begrenzt
Städte und Gemeinden sind als Träger der kommunalen Selbstverwaltung ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichtet. Ihre Betätigung erfüllt einen öffentlichen Zweck und dient der Daseinsvorsorge. Sie sind also direkt vor Ort für die Menschen da: Neben zahlreichen Pflichtaufgaben – vom Meldewesen über Schulen und Kitas, den Brandschutz bis zur Erstellung von Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen – erfüllen sie die für die Lebensqualität der Menschen so wichtigen freiwilligen Aufgaben etwa in den Bereichen Kultur, Soziales, Vereinsförderung, Sport- und Freizeitanlagen oder ÖPNV. Dies tun sie nach Maßgabe der finanziellen Möglichkeiten.
Und damit sind wir bei der Krux. Diese finanziellen Möglichkeiten waren für die Städte und Gemeinden im Freistaat Sachsen außerhalb der großen Zentren mit ihren Speckgürteln unter der rigiden Sparpolitik der Regierung von Ministerpräsident Stanislaw Tillich mit Finanzminister Georg Unland bereits nicht ausreichend. Dies führt zur Unzufriedenheit von Menschen im ländlichen Raum. Dagegen brachte der von der amtierenden Staatsregierung unter Ministerpräsident Michael Kretschmer vor zweieinhalb Jahren eingeschlagene Kurs anfangs wieder Hoffnung ins Land und etwas Licht in die Rathäuser und Straßen Sachsens. Aber schon vor der Coronakrise war festzustellen, dass der Abstand zur deutlich besseren Einnahmeausstattung süd- und westdeutscher Kommunen trotz erheblicher Anstrengungen nicht geschlossen wurde. Selbst unter den ostdeutschen Kommunen stehen die brandenburgischen Städte und Gemeinden inzwischen finanziell wesentlich besser da, als unsere sächsischen Kommunen.
SSG fordert eine höhere finanzielle Unterstützung vom Freistaat
Der Sächsische Städte- und Gemeindetag (SSG) forderte daher Ende 2019 mit Blick auf die aktuelle Steuerschätzung eine höhere finanzielle Unterstützung durch den Freistaat Sachsen, um den Kommunen wieder mehr Entfaltungsmöglichkeiten und die dafür notwendigen finanziellen Spielräume zu schaffen. Wichtige Instrumente dafür wären eine Erhöhung der kommunalen Finanzausgleichsmasse und eine Dynamisierung der für die Kommunalhaushalte besonders wichtigen Landespauschale für die Kinderbetreuung. Diese Pauschale liegt – bezogen auf einen Vollzeitbetreuungsplatz – unverändert deutlich unter dem Niveau der anderen Bundesländer.
Hier erwarte ich als Oberbürgermeister, Mitglied des Landesvorstands des SSG und Kreisrat im Landkreis Bautzen, dass die Betriebskostensteigerungen in den Einrichtungen mit den Personal- und Sachkosten zukünftig nicht mehr nur sporadisch, sondern jährlich an die allgemeine Kostenentwicklung angepasst werden. Es geht um unsere Familien, unsere Kinder und damit die Zukunft unseres Landes – da kann es einfach nicht sein, dass jedes Jahr neu „gefeilscht“ werden muss. Als Freier Wähler fordere ich alle politisch Verantwortlichen im Freistaat auf, den sächsischen Kommunen und ihren Bürgern hier endlich volle Transparenz und Verlässlichkeit zu bieten. Dies würde übrigens auch das Vertrauen der Menschen in unser Land und die Demokratie entscheidend stärken.
Die Coronakrise spitzt die Lage zu
Seit Mitte März hat sich unser aller Leben nun komplett verändert. Die Coronapandemie hat uns fest im Griff. Ihre Bewältigung beschäftigt die Kommunen und stellt für sie hohe Belastungen dar. Das betrifft die aktuell prioritären Herausforderungen im Infektionsschutz, verbunden mit der Sorge um die vor dem Virus besonders zu schützenden Älteren und chronisch Kranken in unserer Gesellschaft. Dramatische Auswirkungen sind überdies auf die kommunalen Haushalte absehbar. Dies schlägt sich bereits auf das laufende Haushaltsjahr nieder.
Mit dem am 9. April 2020 auf Grundlage der Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation durch den Landtag beschlossenen Nachtragshaushaltsgesetz 2019/2020 und dem Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens (Stabilisierungsfonds) hat Sachsen die Voraussetzungen dafür geschaffen, in der erwarteten größten Notsituation seit Ende des Zweiten Weltkrieges handlungsfähig zu bleiben. Aber: Diese hohe Neuverschuldung von sechs bis sieben Milliarden Euro soll mit ihren Maßnahmen nach aktuellem Kenntnisstand wohl ausschließlich für die Finanzierung der Steuereinnahmeausfälle des Freistaates in den kommenden Jahren sowie zur Refinanzierung der pandemiebedingten Mehrausgaben für Infektionsschutz, Gesundheitswesen und die Wirtschaft eingesetzt werden. Zitat: „Die Bewältigung der Folgen der Coronapandemie erfordert neben den Anstrengungen im Gesundheitswesen und bei der Unterstützung der Wirtschaft auch einen handlungs- und leistungsfähigen Staatshaushalt.“
Kommunen benötigen keinen „Rettungsschirm“!
Wer aber „rettet“ die Kommunen? Das Leben der Menschen spielt sich vor Ort ab, in den Landkreisen, Städten und Gemeinden. Nach dem schrittweisen Aufheben des „Lockdowns“ wird eine Erneuerung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens nur dann gelingen, wenn kommunale Daseinsvorsorge in all ihren Bereichen aufrechterhalten und finanzierbar bleibt. Ohne Unterstützung durch Bund und Länder wird dies nicht möglich sein.
Den sächsischen Kommunen droht ein Einbruch ihrer Finanzen mit einschneidenden Rückgängen in den Steuereinnahmen – vor allem bei Gewerbesteuern und den Gemeindeanteilen an der Einkommen- und Umsatzsteuer. Der Sächsische Städte- und Gemeindetag rechnet für 2020 mit kommunalen Steuerausfällen in Höhe von mindestens einer Milliarde Euro. Auch für die folgenden Jahre sind durch die Kommunen nicht ausgleichbare Mindereinnahmen zu erwarten. Hinzu kommen perspektivisch sinkende Schlüsselzuweisungen und Mehrausgaben in Folge der Pandemie, vor allem bei den Sozialleistungen.
Ein Maßnahmenpaket als „Programm zur Aufrechterhaltung des Lebens und der Demokratie vor Ort“ ist dringend und zeitnah erforderlich. Klar und deutlich ist dazu festzustellen: Kommunen benötigen keine „Rettungsschirme“ – sie sind durch Bund und Länder für die Erledigung der ihnen übertragenen Aufgaben mit den dafür notwendigen Mitteln auszustatten.
Die Coronakrise belastet die kommunalen Haushalte langfristig
Dabei werden einige der gravierenden finanziellen Auswirkungen der Coronakrise auf die kommunalen Haushalte erst mit zeitlichem Verzug aufschlagen. Das Finanzausgleichsgesetz (FAG) bewirkt, dass finanzielle Verschiebungen – vollkommen unabhängig davon, in welche Richtung diese gehen – im Normalfall erst mit eineinhalb Jahren (sechs Quartalen) Zeitverzögerung bei den Kommunen ankommen. Im Ergebnis wird es drei Effekte geben:
• Erstens werden spätestens ab dem dritten Quartal 2020 die Anträge auf (Gewerbe-)Steuerstundungen deutlich steigen und eine fiskalische Wirkung entfalten. Gewerbesteuervorauszahlungen werden erstattet beziehungsweise zumindest erst einmal ausgesetzt. Die Auswirkungen dieses kurzfristigen Effektes werden aber im Vergleich zum kommunalen Gesamthaushalt im Haushaltsjahr 2020 noch überschaubar bleiben.
• Zweitens ist 2021 damit zu rechnen, dass die Beträge der Anteile an der Umsatzsteuer (einschließlich der für die Branche überlebensnotwendigen Erleichterungen für Hotellerie, Gastronomie und Tourismus) und an der Einkommenssteuer in Folge von Kurzarbeit, Insolvenzen, und Betriebsaufgaben sinken werden.
• Drittens wird spätestens Ende 2021, Anfang 2022 der Effekt der 18-monatigen Verzögerung nach FAG eintreten: Die Gewerbesteuern sinken deutlich. Dazu werden die Schlüsselzuweisungen deutlich geringer, da diese auf dem Stand der Steuerkraft von Anfang 2020 berechnet werden. Und die Kreisumlage bleibt aus demselben Grund zunächst weiter auf dem früheren Niveau von „Vor-Corona-Zeiten“.
Kommunen brauchen eine höhere Finanzflexibilität
Insofern muss im nächsten Doppelhaushalt des Freistaats Sachsen, der die Jahre 2021 und 2022 umfasst, im FAG eine deutlich höhere Finanzausgleichsmasse für die Kommunen bereitgestellt werden. Nach Auffassung des Bischofswerdaer Professors Gerald Svarovsky, der unter anderem Lehrbeauftragter an der Staatlichen Studienakademie Bautzen und der Sächsischen Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Dresden ist, wäre hierfür eine separierte Mittelzuweisung im Rahmen des FAG, also ein wie auch immer gearteter und benannter „Sonderlastenausgleich“, ein geeignetes Instrument. Damit würde vermieden, dass in Zukunft alles miteinander „vermischt“ wird, Entwicklungstendenzen nicht mehr transparent nachvollzogen werden können und keine tatsächliche Vergleichbarkeit mehr gegeben wäre.
Überdies beinhaltet die Kommunale Haushaltssystematik mit den Produktbereichen 71 bis 76, die ausschließlich außergewöhnlichen Schadensereignissen vorbehalten sind und nur auf Grundlage eines Erlasses des Innenministeriums verwendet werden dürfen, sogar ein besonderes Instrument. Dieses könnte bei der Bewältigung der Coronakrise angewendet werden, um die Grundlage für Mehrbedarfe gemeinde- und landkreiskonkret sauber abzubilden.
Die Handlungsfähigkeit der Kommunen ist bedroht
Zusammenfassend ist festzustellen: Unterstützt der Freistaat seine Kommunen nicht, werden diese über kurz oder lang nicht mehr handlungsfähig sein. Dies würde die Demokratie in Sachsen gefährden. Mit der am 5. Mai geschlossenen Vereinbarung der Sächsischen Staatsregierung und der kommunalen Spitzenverbände Sachsens zu einem Kommunalpaket wurde nun ein positives Zeichen gesetzt – entscheidend wird dessen Umsetzung und Handhabbarkeit sein.
Schon heute ist das Verhältnis zwischen staatlicher und kommunaler Verschuldung in keinem deutschen Bundesland so sehr zu Ungunsten der kommunalen Ebene ausgeprägt, wie im Freistaat Sachsen. Dessen niedrige Verschuldung ist eben auch das Resultat einer äußerst soliden kommunalen Haushaltspolitik. Aufgrund der Gleichwertigkeit kommunaler und staatlicher Aufgabenerfüllung muss sich nunmehr der gemeinsam erwirtschaftete Finanzspielraum auch in Städten und Gemeinden zeigen. Der Stabilisierungsfonds muss auch dazu genutzt werden, Entwicklungschancen für die Menschen und die KMU nicht zuletzt in den ländlichen Räumen zu gewährleisten.
Schließlich bedarf es eines öffentlichen Konjunkturpaketes, um Investitionen in zentralen Bereichen wie dem Bau von Schulen und Kitas sowie dem Städte- und Straßenbau auf den Weg zu bringen: für die Bürger, regionale Firmen und die Erhaltung beziehungsweise Schaffung von Arbeitsplätzen.
Krise heißt, keine zusätzlichen personellen und finanziellen Belastungen zu schaffen – dennoch können die Gemeinden gemeinsam mit vielen engagierten Menschen Vieles stemmen. Wenn man ihnen die Luft zum Atmen lässt.
Der Autor
Prof. Dr. Holm Große (parteilos) ist Oberbürgermeister der sächsischen Stadt Bischofswerda. Seit 2015 steht er an der Spitze der Großen Kreisstadt im Landkreis Bautzen. Bischofswerda hat rund 11.000 Einwohner.