Das Städtenetzwerk „Für die Würde unserer Städte“ drängt nach wie vor auf eine Lösung der Altschuldenfrage hochverschuldeter Kommunen. Dafür startete es im August eine Onlinepetition an die nordrhein-westfälische Landesregierung. Nun läuft diesbezügliche eine Social-Media-Kampagne. Worauf diese abzielt, wie die Petition in der Bevölkerung ankommt und über die Erwartungen an Ministerpräsident Armin Laschet spricht Dirk Glaser, Bürgermeister der Stadt Hattingen und Sprecher des Aktionsbündnisses.
„Wir brauchen Menschen, die unsere Botschaft weitertragen“

Dirk Glaser (Quelle: Bündnis/Holger Grosz)
OBM: Herr Glaser, das Bündnis „Für die Würde unserer Städte“ hat im August eine Onlinepetition gestartet, mit der es ein breites Engagement für seinen Kampf für eine Altschuldenlösung dokumentieren möchte. Zuletzt startete dazu eine Social-Media-Kampagne. Worauf zielt diese ab?
Dirk Glaser: Wir brauchen Menschen, die unsere Botschaft verstehen und weitertragen. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass die finanzielle Ausgestaltung der kommunalen Finanzen ein komplexes Thema ist. Vielen Bürgern ist es leider fern. Die Kampagne möchte dafür sensibilisieren und unser Begehren näher an die Menschen bringen. Wir möchten ihnen damit zeigen, welche Konsequenzen eine chronische Unterfinanzierung der Kommunen für sie hat und warum manche Kommunen bestimmte Leistungen nicht erbringen können. Er darf nicht sein, dass der Wohnort etwa für die Betreuungssituation oder Bildungschancen von Kindern entscheidend ist. Doch die ungleiche Finanzausstattung von Kommunen schränkt mancherorts deren Leistungsfähigkeit empfindlich ein. Während die Finanzthemen möglicherweise sperrig sind, sind deren Auswirkungen auf die Lebenswelt der Menschen konkret erlebbar. Es geht letztendlich also nicht nur um die Geldfrage, sondern um die Leistung, die damit vor Ort erbracht wird – oder eben nicht. Darauf wollen wir aufmerksam machen.
OBM: Dafür nutzen Sie die sozialen Medien. Am Beispiel von Hass und Hetze gegen Kommunalpolitiker sind die sozialen Medien zuletzt als Treiber in die Kritik geraten. Hier tut sich im kommunalen Kontext jedoch ein Beispiel dafür auf, wie sie in Debatten konstruktiv eingesetzt werden können.
Dirk Glaser: Das ist richtig. Wir nutzen die sozialen Medien, um unsere Argumente darzustellen und unsere Themen nachvollziehbar und transparent zu machen. Mit ihnen ergeben sich neue Möglichkeiten, Kontakte zwischen Menschen herzustellen. Wir nutzen den Effekt, dass unsere Anliegen über die soziale Medien viele Menschen erreichen.
Die Altschuldenproblematik für die Menschen greifbar machen
OBM: Wie geht das konkret vonstatten?
Dirk Glaser: Jede Woche montags posten wir einen Beitrag über diverse Kanäle wie Facebook, Twitter und Instagram. Dabei konzentrieren wir die Altschuldenproblematik auf jeweils einen konkreten Lebensbereich. So möchten wir die Aufmerksamkeit der Menschen gewinnen, indem wir unser Thema in den für sie unmittelbar relevanten Zusammenhängen spiegeln. Zudem binden wir Protagonisten ein, die für die jeweiligen Themen stehen. Wenn wir beispielsweise erklären, warum es sich manche Kommunen nicht leisten können, neue Radwege anzulegen, kommen dabei auch Vertreter des ADFC zu Wort. So zeigen wir an konkreten Beispielen, wie sich die kommunale Finanzklemme in Nordrhein-Westfalen auswirkt.
OBM: Wie viele Menschen erreichen Sie denn pro Woche?
Dirk Glaser: Mit unseren Einzelaktionen erreichen wir jeweils rund 30.000 bis 50.000 Menschen. Die Kampagne läuft seit November und voraussichtlich in der jetzigen Form bis April. Danach ist ihr Abschluss mit vier Erklärvideos geplant, die wöchentlich erscheinen.
Steigerungsfähig: Petition zählt über 8.000 Unterschriften
OBM: Wie fallen denn die Reaktionen auf die Petition in Nordrhein-Westfalen insgesamt aus?
Dirk Glaser: Es zeigt sich, dass es schwierig ist, ein komplexes Thema wie das der Kommunalfinanzen an die Menschen zu bringen. Insgesamt haben unsere Petition in Nordrhein-Westfalen bereits 8.270 Menschen gezeichnet. Das ist ein gutes Ergebnis, doch letztlich sind die Zahlen steigerungsfähig. Daran arbeiten wir – beispielsweise mit unserer Social-Media-Kampagne.
OBM: Wie schätzen Sie denn die Wahrnehmung Ihres Anliegens ein, wie ist denn der „Stand der Dinge“ in Sachen Altschuldenfrage?
Dirk Glaser: Im Moment ist es so, dass die Coronakrise viele wichtige Debatten überlagert und verdrängt. Andererseits: Gerade die Pandemie wird die finanzielle Schieflage vieler Kommunen noch weiter zu verstärken, wir sehen einen Brennglaseffekt. Deshalb darf unser Anliegen nicht in Vergessenheit geraten. Zuletzt hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz den Vorschlag gemacht, der Bund könne 50 Prozent der kommunalen Altschulden übernehmen. Bedauerlicherweise scheiterte dieser Vorstoß an den Ländern. Doch wir werden unser Engagement fortsetzen. Es ist ein gutes Recht der Kommunen, Fairness einzufordern. Ein Mittel dafür ist die aktuelle Onlinekampagne. Auch hinsichtlich der Bundestagswahl werden wir unser Anliegen positionieren.
Rechtliche Schritte: „Wir müssen alle Wege prüfen“
OBM: Glauben Sie denn noch an eine Lösung?
Dirk Glaser: Das Engagement des Bündnisses dauert nun schon zehn Jahre, und wir haben einige Teilerfolge erzielt. Zudem ist es uns gelungen, die Altschuldenfrage auf Bundesebene zu stellen. Insofern bin ich optimistisch. Doch von einzelnen Teilerfolgen abgesehen, braucht es grundsätzlich eine neue Struktur, was die Kommunalfinanzen betrifft.
OBM: Einige Ihrer Bündnispartner in Rheinland-Pfalz, insbesondere die Stadt Pirmasens, hat mit einer Klage vor dem dortigen Landesverfassungsgerichtshof den Landesfinanzausgleich ins Wanken gebracht. Folglich muss die Finanzausstattung der Kommunen dort neu ausgerichtet werden. Wäre eine Klage auch in Nordrhein-Westfalen ein gangbarer Weg?
Dirk Glaser: Eine Klage ist sicherlich eine Möglichkeit, die man prüfen kann. Mit dem Stärkungspakt gibt es in Nordrhein-Westfalen ein Modell, mit dem man von Landesseite für einen bestimmten Zeitraum hilft. Auch Hattingen ist Stärkungspaktkommune. Doch das bedeutet keine grundsätzliche strukturelle Verbesserung. Wir müssen alle Wege prüfen, die zur Verbesserung unserer Situation führen können – dazu gehören rechtliche.
„Würde mich gerne auf das Wort von Armin Laschet verlassen“
OBM: Das Bündnis stand hinsichtlich der kommunalen Finanzmisere in Kontakt mit Ministerpräsident Armin Laschet. Hilft er?
Dirk Glaser: Im Augenblick hat er wohl andere Sorgen und Themen. Enttäuscht bin ich insbesondere vom Finanzministerium unter Minister Lutz Lienenkämper, das aus meiner Sicht bei der Frage nach einer Altschuldenlösung für Kommunen sehr auf die Bremse tritt. Offenbar sind innerhalb der Landesregierung verschiedene Strömungen zu verzeichnen, und nicht alle haben die Hilfe für Kommunen ganz oben auf der Agenda. Ich würde mich gerne auf das Wort von Armin Laschet verlassen, dass er die Bemühungen, den Kommunen zu helfen, verstärkt.