Dutzende deutsche Städte bangen um die Vitalität ihrer Zentren: Der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof will nach eigener Ankündigung sein Filialnetz ausdünnen. Viele meist städtebaulich markant gelegene Kaufhäuser stehen vor der Schließung. Auf die betroffenen Städte kommen große Transformationsaufgaben bezüglich ihrer Innenstadt zu. Wie gehen sie am besten damit um? Wie können Innenstädte ihre zentralen Funktionen sichern, und welche Rolle spielt dabei zukünftig der Einzelhandel? Darüber spricht Simon Hübner, Vorstand des Unternehmens GBI, aus Sicht des Projektentwicklers mit #stadtvonmorgen.
Innenstadt: „Neue Formen fürs Einkaufserlebnis finden“
#stadtvonmorgen: Das an markanter Stelle im Zentrum leerstehende Kaufhaus ist das Schreckensszenario eines Stadtlenkers. Das droht mit der Debatte um Galeria Karstadt Kaufhaus derzeit dutzenden Kommunen. Ist die Hochzeit von Kaufhäusern als Publikumsmagneten und Frequenzbringer in einer Innenstadt vorbei? Müssen Innenstädte damit einen Funktionsverlust fürchten?
Simon Hübner: Das Entscheidende ist, dass Innenstädte und Quartiere ihre Lebendigkeit bewahren. In den vergangenen Jahrzehnten spielten dafür der Handel und das Einkaufen wichtige Rollen – sowohl im Sinne von Kaufhäusern und Shoppingcentern als auch im Sinne einzelner, auf mehrere Gebäude verteilter Läden. Das Einkaufs- und Konsumverhalten ändert sich jedoch. Für den Wandel ist das Aufkommen des Onlinehandels ein bestimmender Faktor. Die Coronakrise beschleunigte diesen Prozess. Von einem Untergang des Handels in den Städten möchte ich aber nicht sprechen.
#stadtvonmorgen: Sondern?
Simon Hübner: Es geht eher darum, neue, weniger flächenintensive Formen für das Einkaufserlebnis zu finden. Denn das Bedürfnis, Waren vor dem Kauf auszusuchen, anzuprobieren, zu erleben, ist nach wie vor vorhanden. Diese Funktionen können Innenstädte nach wie vor erfüllen. Darüber hinaus muss es der Stadtentwicklung um mehr gehen als um das reine Einkaufen. Um attraktiv und lebendig zu bleiben, brauchen Zentren eine Nutzungsvielfalt, inklusive eines diversen Freizeitangebots. Diese muss die Menschen dazu einladen, die Innenstadt aufzusuchen. Städte stehen vor der Herausforderung, dieses Portfolio entsprechend attraktiv zu gestalten. Dabei muss der erste Schritt sein, sich an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren. Danach richtet sich die Gestaltung der Innenstadt. Wird sie den Bedürfnissen der Menschen gerecht, kommt die Frequenz zurück.
Multifunktionalität: Jede Nutzungsfacette schafft Frequenz

Simon Hübner (Quelle: GBI Holding/Glasgow Fotografie)
#stadtvonmorgen: Was ist dann aus Sicht der Stadt zu tun?
Simon Hübner: Die Innenstadt entwickelt sich nicht mehr – verkürzt gesprochen – nur in die eine Richtung Shopping. Vielmehr geht es darum, sie durch Multifunktionalität lebendig zu halten und sie durch ein vielseitiges Profil auch resilienter und vitaler aufzustellen. Es geht um ein breites Spektrum: Gastronomie, kulturelle Einrichtungen, Orte der Bildung, Gesundheitsangebote genauso wie Behördenstandorte oder Kanzleien, Handwerk, Wohnen und Arbeiten in der City. Jede Nutzungsfacette trägt ihren Teil zur Frequenz in der Innenstadt bei. Was den Handel betrifft, bedarf es neuer Konzepte, die der beschriebenen veränderten Form des Shoppings Rechnung tragen. Die Städte müssen diese Transformation gestalten und Anreize für eine positive Entwicklung setzen.
#stadtvonmorgen: Man könnte es auch positiv sehen, nämlich dass der Wandel und der Rückgang des Handels in dicht besiedelten, engen urbanen Räumen neue Raumkapazitäten und damit neue Entwicklungspotentiale öffnen …
Simon Hübner: Natürlich bedeutet der Rückzug eines großen Ankers wie eines Kaufhauses immer eine Gestaltungsaufgabe, die mit Risiken verbunden ist. Doch gleichzeitig bringt er große Potentiale für die jeweilige Innenstadt und ihre Entwicklung mit sich. Zur Gefahr wird er meist nur dann, wenn nicht auf Veränderungen reagiert wird. Städtebaulich bieten große Shoppingcenter aufgrund ihrer Konzeption und Architektur zudem oft große Transformationschancen. Denn es handelt sich oft um Gebäude mit großen Geschoss- und Raumhöhen, gegebenenfalls mit Logistik- und Lagerhallen. Daraus ergibt sich eine bauliche Flexibilität hinsichtlich eines Umbaus, einer Neubelebung und einer Nachnutzung – auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit.
Potential für neue Konzepte in alten Kaufhäusern
#stadtvonmorgen: Was meinen Sie mit Nachhaltigkeit?
Simon Hübner: Der beste Fall ist, wenn das leerstehende Gebäude nicht abgerissen, sondern seine bauliche Substanz weitergenutzt wird. Das bedeutet Effizienz in Sachen CO2, das im Baustoff gebunden ist, und hinsichtlich des Baumaterials. Bei einer Entwicklung des Gebäudes ist natürlich seine energetische Situation zu optimieren. Doch in der Regel verfügen großformatige innerstädtische Einkaufszentren über eine gute Gebäudesubstanz, die sich beispielsweise mit modernen energieeffizienten Fassaden sowie Fassaden- und Dachgrün oder Photovoltaikanlagen „aufrüsten“ lässt. Auch besteht die Möglichkeit, das Haus aufzustocken und so weitere Räume – etwa fürs Wohnen oder sonstige Nutzungen – in der City zu schaffen. Gerade mit dem Baustoff Holz lassen sich solche den Bestand erweiternde Baumaßnahmen modular, effizient und nachhaltig realisieren.
#stadtvonmorgen: … und der Handel zieht aus?
Simon Hübner: Nicht unbedingt. Doch er agiert zunehmend weitaus weniger flächenintensiv. Zudem konzentrieren sich publikumswirksame Nutzungen wie Shoppingflächen tendenziell vorwiegend im Erdgeschoß. Das gilt beispielsweise auch für Nutzungen wie Gesundheitsangebote oder Gastronomie, zu deren Klientel ein hoher Anteil an Laufkundschaft gehört. Für die Frequenz eines Quartiers ist die Publikumswirksamkeit der Erdgeschoße enorm wichtig. Gleiches gilt für die Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums: Spielplätze, Parks und attraktive Freiflächen sprechen die Menschen an oder erhöhen ihre Aufenthaltsdauer in der City. Dies sollte verknüpft werden mit vielfältigen Nutzungen, die nicht alle – wie es in typischen Fußgängerzonen leider bisher oft noch der Fall ist – nach Ladenschluss um 18 Uhr enden. Eine solche Konzeption ist entscheidend für Lebendigkeit in der Innenstadt oder im Quartier.
Transformation eines Kaufhauses: Umfeld einbeziehen
#stadtvonmorgen: Welche Maßnahmen können Städte bei der Transformation etwa eines leerstehenden Kaufhauses denn ergreifen, um diese Aspekte zu fördern, wenn Sie auf die große Linie schauen?
Simon Hübner: Das Wichtigste ist wohl eine Bedarfsanalyse: Welche Nutzungen sind bereits vorhanden? Dabei geht es nicht nur um das jeweilige Gebäude, sondern auch um die Nachbarschaft: In welchem Umfeld befindet sich das Objekt? Außerdem: Welches sind die Bedürfnisse der Menschen, welche Nutzungen fehlen noch im Quartier oder in der Innenstadt? Und: Welches ist die strategische Stoßrichtung der Stadtentwicklung? Gibt es möglicherweise neue Nutzungen, die damit korrespondieren könnten? Auch aus Sicht eines Projektentwicklers ist die Kommunikation mit der Kommune über ihre konkreten und übergeordneten Ziele wichtig. Zudem geht es um die rechtliche Machbarkeit von Vorhaben und darum, welche Nutzungen der Bebauungsplan überhaupt erlaubt, was er fordert – etwa in den Bereichen Verschattung, Lärm, Luft und Klima – und was technisch möglich ist. Diese Parameter sind direkt beim Start eines Immobilienprojekts zu klären …
#stadtvonmorgen: Was kann eine Kommune aus Sicht eines Projektentwicklers konkret tun, um eine Quartiersentwicklung zu fördern?
Simon Hübner: Das Zusammenspiel muss funktionieren. Die Kommune hat bei Bauprojekten, die speziell für die Quartiers- und Innenstadtentwicklung wichtig sind, durchaus Einflussmöglichkeiten. Im Bereich der Förderinstrumente kann sie sich für die Aufnahme der lokalen Immobilienentwicklung in Unterstützungsangebote des Bundes wie das Förderprogramm Innerstädtische Entwicklung engagieren. Ebenso kann sie eigene, lokale Programme schnüren, um bestimmte Aspekte – etwa des Klimaschutzes – in Bauvorhaben zu verankern. Bei der Geländevergabe kann sie auf Erbbaurechtsmodelle setzen, um die Flächen langfristig im kommunalen Eigentum zu halten und die Nutzung weiter beeinflussen zu können. Doch auch im Fall eines Verkaufs kann sie Kriterien bei der Vergabe anlegen, um Aspekte der Nachhaltigkeit oder Nutzungsbindungen festzuschreiben. Dies betrifft auch Anteile von gefördertem Wohnen wie soziales, studentisches oder junges Wohnen, ebenso Seniorenwohnen.
Die Grundsteuer als Steuerungsinstrument?
#stadtvonmorgen: Reicht das schon für eine attraktive Mischung?
Simon Hübner: Man muss in allen Bereichen tätig werden. Im Sinne lebenswerter Innenstädte sollte es keine Denkverbote geben. Denkt man beispielsweise daran, bestimmte Nutzungen in die Innenstadt holen zu wollen, rege ich außerdem an, die Grundsteuer dafür als Instrument zu nutzen. Es wäre sinnvoll, in innerstädtischen Zonen für bestimmte Unternehmen, beispielsweise kleine Töpfereien oder das Kunsthandwerk, die Grundsteuer zu reduzieren. So kann der Standort Innenstadt gegenüber niedrigeren Mieten am Stadtrand auch für Kleinstbeitriebe attraktiv und realistisch bleiben. Darüber hinaus kann die Kommune die innerstädtische Entwicklung und dortige Bautätigkeiten beeinflussen, indem sie das Umfeld attraktiv gestaltet. Dazu gehören Frei-, und Grünflächen, Parks und Spielmöglichkeiten. Genauso ist die Verkehrssituation ein wichtiger Gestaltungsbereich im Sinne einer attraktiven Stadtgestaltung – etwa mit einer Anbindung an den ÖPNV oder Ladestationen für Elektromobilität, aber auch gut erreichbaren Parkplätzen. Zudem kann eine Kommune mit der Gestaltung des öffentlichen Raums und der Infrastruktur signifikanten Einfluss auf Gebäude und ihre Belebung nehmen.