Corona, Inflation, Karstadt: Die Innenstadt steht vor Umbrüchen. Warum Dortmunds OBM Westphal dennoch optimistisch ist, sagt er im Interview.

„R.I.P. Innenstädte“, also „Ruhet sanft, Innenstädte“: Unter diesem Motto widmete der Satiriker Jan Böhmermann zuletzt eine ganze Folge seiner ZDF-Show dem Innenstadtsterben. Aber steht der Tod der Zentren tatsächlich bevor? Oberbürgermeister Thomas Westphal erteilt dem Abgesang auf die Innenstädte eine klare Absage. Er sagt: „Die Innenstadt funktioniert nach wie vor.“ In seiner Stadt Dortmund liege die Publikumsfrequenz 2022 in der City sogar über der des Vor-Corona-Jahres 2019. Gleichwohl verkennt Westphal nicht: Auch hier findet insbesondere im Bereich des Einzelhandels eine Umwälzung statt, der Oberbürgermeister nennt sie „Strukturwandel“. Schon 2021 sprach #stadtvonmorgen angesichts der Coronakrise mit Westphal über die Herausforderungen des Dortmunder Zentrums. Was hat sich seit dem getan?

Nach Corona wirken neue Krisen auf die Innenstadt

#stadtvonmorgen: Herr Westphal, zu Beginn der Coronakrise sprachen wir ausführlich über die Dortmunder City und darüber, vor welche Herausforderungen die Pandemie und das Ausbleiben von Publikum die Innenstadt stellt. Was hat sich seit dem verändert?

Thomas Westphal: Damals haben wir ausschließlich über Corona gesprochen. Doch die Effekte der Coronakrise auf die Innenstadt beziehungsweise den Einzelhandel wurden nahtlos abgelöst von anderen krisenhaften Entwicklungen wie der Inflation oder der Energiekrise. Beide beeinflussen oder hemmen in ähnlicher Weise das Kaufverhalten. Als wir vor zwei Jahren sprachen, ging ich von einer langfristigen Veränderung und von einem über die damalige Problemlage hinausgehenden „Strukturwandel“, dem die Innenstadt unterworfen ist, aus. Diese Einschätzung hat sich bewahrheitet. Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Attraktivität unserer Innenstadt bislang stabil bleibt. Ein Zählsystem erfasst sehr genau die Frequenz der Dortmunder City. Das zeigt: Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 hat sich 2022 die Frequenz in der Innenstadt sogar um mehr als zehn Prozent gesteigert. Also: Die Innenstadt funktioniert nach wie vor.

2022 mehr Besucher in der Innenstadt als 2019

#stadtvonmorgen: Dennoch ächzen in vielen Städten die Einzelhändler.

Thomas Westphal: Die Diskussion wird auch in Dortmund geführt. Dabei geht es unter anderem darum, dass Frequenz für den Handel nicht gleich Umsatz bedeutet. Natürlich gibt es den Strukturwandel in der City. Geschäfte, die weniger auf Kundenansprache, individuelle Beratungs- und Serviceangebote, ein zeitgemäßes Sortiment in Verbindung mit einer Onlinepräsenz setzen, haben es immer schwerer, zu überleben. Das ist aber eher eine Frage der Ausrichtung des jeweiligen Geschäfts und der Transformation des Einzelhandels ins Internetzeitalter als ein Frequenzproblem der Innenstadt. Auf der anderen Seite berichten mir viele Cityhändler, dass ihr Umsatz im Weihnachtsgeschäft 2022 sogar über dem von 2019 liege. Unser Weihnachtsmarkt verzeichnete 2022 fast zwei Millionen Besucher. Das bestärkt mich in der Einschätzung, dass die City attraktiv und ihre Struktur grundsätzlich stabil ist. Auch, dass es einen Wandel im Bestand und Fluktuation gibt, gehört zum Leben in der Innenstadt dazu. Leerstand wird nur dann zum Problem, wenn er dauerhaft anhält.

Attraktivität und zentrale Funktion der Innenstadt stabil

#stadtvonmorgen: Während der Pandemie hatte die Stadt unter anderem ein Handlungsprogramm – Stichwort „Vier S“ – angestoßen, um den negativen Effekten der Coronakrise etwas entgegenzusetzen. Wie hat das gewirkt?

Thomas Westphal: Wir sind noch mitten in der Umsetzung. Insofern kann ich noch keine abschließenden Ergebnisse beschreiben. Jedoch zeigen die genannten Zahlen ja, dass die Attraktivität und die zentrale Funktion der Innenstadt durch Corona nicht ernsthaft gelitten haben. Innenstadtentwicklung geht nicht von heute auf morgen. Derzeit bauen wir ein Citymanagement auf. Ich denke an ein „S“ unseres Handlungsprogramms, nämlich „Segmentierung“. Shoppen und Einkaufen reichen heute nicht mehr für eine erfolgreiche Innenstadtentwicklung. Daher verfolgen wir das Ziel, unsere Innenstadt feiner zu gliedern, zu segmentieren. Wir haben neun Quartiere definiert, die wir jeweils, ausgehend von ihren typischen Merkmalen, städtebaulichen Voraussetzungen oder Kernimmobilien, charakterstark profilieren und so neu beleben wollen. Dieser Prozess läuft für jedes Viertel. Dabei geht es auch um leerstehende Gebäude und um Um- oder Nachnutzungen.

Segmentierung, Pflege des öffentlichen Raums, „Festivalisierung“

OBM Thomas Westphal aus Dortmund (Quelle: Stadt Dortmund/Roland Gorecki)

OBM Thomas Westphal aus Dortmund (Quelle: Stadt Dortmund/Roland Gorecki)

#stadtvonmorgen: Im Interview 2021 prognostizierten Sie den Wunsch der Menschen, sich nach der Pandemie wieder in der Mitte der Stadt zu treffen und in die City zurückzukehren. Die Frequenzmessung spricht dafür, dass dies eingetreten ist. Sie sagten damals aber auch: „Die Mitte der Stadt wird sich geändert haben.“ Ist das eingetreten, und wenn ja, was hat sich hier strukturell getan?

Thomas Westphal: Was die stadtstrategische Ausrichtung betrifft, sehe ich zwei wichtige Strukturelemente oder Erkenntnisse, die sich aus der Pandemie ergeben haben. Erstens: Die Stadt richtet ein noch stärkeres Augenmerk darauf, Aufenthaltsorte und Plätze zu pflegen, sie attraktiv, sauber und sicher zu halten. Die Pflege der öffentlichen Infrastruktur ist grundsätzlich eine Tagesaufgabe. Gerade, wenn man die Frequenz in der Innenstadt – dem Wohnzimmer der Stadt – hochhalten möchte, gilt es aber umso mehr, sich ihr zu widmen. Zweitens: Es gilt, Anlässe zu schaffen, damit die Menschen in die Stadt kommen. Das kann nicht mehr nur der Einzelhandel sein. Es geht durchaus auch um punktuelle Ereignisse, um Feste, Events und Märkte. Die Idee einer Festivalisierung der Innenstadt war in der Vergangenheit einer kritischen Diskussion ausgesetzt. Aus meiner Sicht ist sie für viele Innenstädte nun jedoch zukunftsweisend.

#stadtvonmorgen: Bei der „Festivalisierung der Städte“ ging es aber nicht nur darum, für Frequenz in einer Innenstadt zu sorgen. Der Begriff meint doch vielmehr, mit Impulsprojekten und Großereignissen wie internationalen Sportevents oder Gartenschauen auch baulich Stadtentwicklung zu betreiben. Das hat eine andere, größere Dimension, oder?

Thomas Westphal: Das ist richtig. Der Begriff ist aber nicht trennscharf, und der Gedanke, große Veranstaltungen als Instrument zur Belebung der Stadt zu nutzen, ist ähnlich. Denken Sie an unseren Weihnachtsmarkt mit knapp zwei Millionen Besuchern: Der nimmt die Dimension eines großes Festivals an, das für die Innenstadt eine nicht unwesentliche, impulsgebende Rolle spielt.

Neue Nutzungen: Strukturwandel braucht Zeit

#stadtvonmorgen: Wenn Sie den Blick in die Zukunft lenken: Wie ist die Lage der Dortmunder City, welches ist die zentrale Gestaltungsherausforderung?

Thomas Westphal: Entscheidend ist eine gemischte Nutzung. Neben dem Einzelhandel braucht es ein gastronomisches Angebot. Auch hierfür sind gepflegte Plätze und attraktive öffentliche Räume wichtige Faktoren – Stichwort Außengastronomie. Zudem wollen wir das Wohnen in der City ausbauen. Die Festivalisierung ist das eine, parallel dazu wollen wir mit einer Nutzungsvielfalt die zentrale Funktion der Innenstadt sichern, ausbauen, weiterentwickeln und die City beleben. Aber klar ist auch: Damit einhergehende Prozesse wie Bauvorhaben brauchen Zeit. Die Herausforderung besteht darin, den Wandel der Stadt konstruktiv zu begleiten und voranzubringen. In der Innenstadt entsteht etwas Neues. Dafür braucht es sowohl Tatkraft als auch Geduld, aber in keinem Fall Abgesänge.

„Auch ein großes Warenhaus kann funktionieren“

#stadtvonmorgen: Stichwort: Karstadt. Auch Dortmund steht auf der Streichliste für Filialen des Kaufhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof. Was bedeutet das für die Innenstadt, und wie ist der Stand der Dinge vor Ort?

Thomas Westphal: Unverändert steht die Filiale auf der Streichliste. Jedoch sind die Gespräche zwischen dem Immobilieneigentümer und dem Kaufhauskonzern noch nicht beendet. So lange diese laufen, ist es für mich keine endgültig beschlossene Sache, dass Karstadt in Dortmund schließt. Und so lange werden wir uns als Stadt für den Standort einsetzen. Wo wir können, helfen wir. Auch, weil ich fest davon überzeugt bin, dass das Haus funktioniert. Offenbar stimmte der Umsatz, und der möglichen Schließung der Filiale liegt wohl eher eine Entscheidung des Konzernmanagements als eine kaufmännische Betrachtung der Situation vor Ort zugrunde. Ich bin überdies auch mit Blick auf vergleichbar große Häuser anderer Betreiber in anderen Städten der Meinung, dass ein großes Warenhaus in der Innenstadt durchaus funktionieren kann. Aus meiner Sicht sprechen die aktuellen Umwälzungen weniger für einen Abgesang auf große Häuser als vielmehr für einen Abgesang auf standardisierte, nicht konzipierte Warensortimente.

#stadtvonmorgen: Was würde das Aus von Karstadt denn für die Dortmunder City bedeuten?

Thomas Westphal: Die Filiale befindet sich mitten im Herzen der City. Um im Bild der Innenstadt als Wohnzimmer einer Stadt zu bleiben, ist der Standort exponiert wie eine Sofaecke. Das zeigt die Relevanz, den er für die City hat. Einen Leerstand könnten wir als Stadt nicht einfach hinnehmen. Daher engagieren wir uns weiterhin vordringlich für den Erhalt der Filiale.

a.erb@stadtvonmorgen.de

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