Mutig und experimentierfreudig sollen Städte vorangehen, wenn es um die Entwicklung ihrer Innenstadt und den Kampf gegen Leerstände geht. Durchaus mal ausgetretene Pfade verlassen und Neues ausprobieren. Dies fordern Branchenverbände und Stadtforscher, um die Vitalität der Innenstädte mit frischen Entwicklungsideen zu erhalten. Doch wie weit dürfen Kommunen überhaut in lokale Märkte gestaltend eingreifen, wie sehr privatwirtschaftlich auftreten, und wo stößt kommunales Engagement an Grenzen? Diese Frage wirft das Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes auf: In Hanau wird der Betrieb eines Spielzeugladens, den die Stadt beinahe übernommen hätte, zum Zankapfel.
Hanau wollte Spielwarenladen übernehmen
Dort geht es um eine städtebaulich markant gelegene Immobilie und deren Nutzung. In ihr befindet sich ein Spielwarengeschäft. Dass an dem Standort in der City inhabergeführt Spielwaren verkauft werden, sei eine „mehr als 175 Jahre bestehende Tradition“, sagt Oberbürgermeister Claus Kaminsky. Da der Laden allerdings einem Generationenwechsel unterworfen ist und kein Nachfolger bereitstand, engagierte sich die Kommune – nicht nur für die Übernahme der Immobilie, sondern fast auch als Spielwarenhändler. Letzteres rief den Bund der Steuerzahler auf den Plan.
Um sich Einfluss auf die Entwicklung dieses Teils der City zu sichern, nutzte die Stadt das Instrument ihrer Vorkaufsrechtsatzung. Damit hat sie die Immobilie von den scheidenden ehemaligen Ladeninhabern und Hausbesitzern für 1,9 Millionen Euro übernommen. Die Kommune selbst machte sich auf Nachfolgersuche. Ihr Ziel war es nach eigenen Angaben, „den mit dem Aus des einzigen inhabergeführten Spielwarengeschäftes an dieser prominenten Lage in der Innenstadt drohenden Trading-down-Effekt zu verhindern“. An der Übernahme des Hauses beteiligt ist die Stadtentwicklungsgesellschaft Bauprojekt Hanau, an der Hausverwaltung die kommunale Baugesellschaft Hanau. Um den Spielzeugladen am Leben zu halten, stand die städtische Hanau Marketing GmbH bereit.
Steuerzahlerbund kritisiert Engagement der Stadt
Wäre für das Spielwarengeschäft kein Nachfolger gefunden worden, hätte die kommunale Marketinggesellschaft den Betrieb überbrückungsweise übernommen. Dagegen richtete sich bereits im Februar 2022 die Kritik des hessischen Steuerzahlerbunds: „Dass Kommunen ihre durch die Pandemie gebeutelten Innenstädte beleben und den Einzelhandel stärken wollen, ist verständlich. Dass Hanau nun aber selbst zum Unternehmer werden und künftig Spielwaren verkaufen will, geht zu weit“, sagt dessen Vorsitzender Joachim Papendick.
Die Stadt begebe sich nicht nur in ein unternehmerisches Risiko auf Kosten der Steuerzahler, sondern mache als staatlicher Akteur auch privaten Anbietern Konkurrenz. Weil der städtische Laden keine Gewinne erzielen müsse, habe er einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Privatgeschäften, kritisiert Papendick. Wenn auf dem Markt kein Platz mehr für einen Spielwarenladen sei, könne man dies bedauern, allein aus sentimentalen Motiven Steuergeld für dessen Rettung einzusetzen, sei allerdings der falsche Weg.
Kein Schaden für Steuerzahler, trotzdem im Schwarzbuch
Letztlich musste die städtische Marketinggesellschaft als Betreiberin überhaupt nicht einspringen, da schneller als gedacht ein Nachfolger für das Geschäft gefunden war. Insofern wurden die Steuerzahler also überhaupt nicht belastet. Trotzdem führt der Steuerzahlerbund den Fall in seinem aktuellen Schwarzbuch, das unlängst im Oktober erschien. Darin verbucht er ihn als „Erfolg“ seiner Einschaltung vom Februar. Nicht zuletzt seine Kritik habe die öffentliche Debatte stimuliert und so zur Lösung beigetragen, meint der Steuerzahlerbund.
Die Stadt hingegen hält dem entgegen, dass es ohnehin nicht beabsichtigt gewesen sei, das Geschäft langfristig in kommunaler Hand zu halten. Die Kritik, bei einer vorübergehenden Geschäftsübernahme hätte es sich um ein finanzielles Abenteuer auf Steuerzahlerkosten gehandelt, weist Kaminsky ebenfalls zurück. Die Übernahme der Immobilie erweise sich insgesamt auch mit Blick auf andere Mieteinheiten grundsätzlich als tragfähig. Und hinsichtlich des Spielwarenladens kalkuliere man mit einer „schwarzen Null“. Kaminsky: „Da wir als Stadt kein Hedgefonds sind, müssen wir keine Gewinne erzielen.“
Kaminsky reagiert bissig auf Steuerzahlerbund-Kritik
Auf die aus seiner Sicht „planlose und faktenferne“ Kritik des Steuerzahlerbunds reagiert der Oberbürgermeister bissig. Der Verband wandele „auf dem Holzweg“. Vielerorts drohten Innenstädte zu veröden. Diesbezüglich spricht Kaminsky von einem „Schicksalsjahrzehnt“ für die Zentren. Die Auseinandersetzung zwischen Kaminsky und dem Steuerzahlerbund zielt im Kern auf die Frage: Wie sehr dürfen sich Kommunen im Sinne des Gemeinwohls marktwirtschaftlich engagieren, um zu verhindern, dass ihre Zentren in eine Abwärtsspirale geraten?
„Dass der Steuerzahlerbund die Bedeutung der Innenstadt mit ihrer Funktion als Agora, also als Marktplatz, als sentimentales Getue herabwürdigt, verkennt die Bedeutung der Innenstädte und lässt jedes Gefühl für urbanes Leben vermissen“, meint der Oberbürgermeister. Die Kommunen müssten gestalten eingreifen. „Nur auf marktradikale Lösungen zu setzen, springt erkennbar zu kurz.“
Steuerzahlerbund will weiter „genau beobachten“
Ohnehin unternimmt Hanau starke Anstrengungen für ihre City. Das Innenstadtprogramm „Hanau aufLADEN“ gilt bundesweit als Vorzeigebeispiel dafür, wie sich Städte für die Vitalität ihrer Innenstadt einsetzen können. In diesem Kontext sei das Engagement für den Spielwarenladen ein typisches Beispiel. Es gehe darum, „einen nachhaltigen Angebotsmix, neue Konzepte und eine insgesamt gesunde Struktur in unserer Innenstadt zu fördern“, meint Kaminsky. „Oft genug genügt ein spekulativer Verkauf, der wie ein gekippter Dominostein dafür sorgt, dass ganze Straßen vom Trading-down-Effekt erfasst werden.“
Um das neue Spielwarengeschäft zu etablieren, gewährt ihm die kommunale Gesellschaft, die das Haus verwaltet, als Starthilfe für zwei Jahre eine reduzierte Miete. Die Miethöhe ist an den Umsatz des Ladens gekoppelt. Wie das alles ausgeht, will der Steuerzahlerbund nach eigenen Angaben „genau beobachten“.