Der Biologe Michael Lakatos erklärt, wie Mikroorganismen zur Kreislaufwirtschaft beitragen und in urbanen „Fassadenfarmen“ CO2 fixieren.

Zur klimaneutralen Stadt von morgen gehören nicht nur Grünzonen zur Steuerung des Kleinklimas oder PV-Anlagen auf Dächern. Es geht auch darum, Häuserwände für urbane Agrarflächen neu zu erschließen. Dort könnten dann Algen und Mikroorganismen in Modulen wachsen, dabei CO2 fixieren und gleichzeitig biologische Rohstoffe produzieren. Wie das sogenannte Carbon Farming funktioniert, erklärt Michael Lakatos. Der Biologe von der Hochschule Kaiserslautern erforscht, wie Bakterien und Mikroorganismen zur Kreislaufwirtschaft beitragen können. Im Interview spricht er über seine Forschung und darüber, wie diese die Stadt von morgen verändern könnte.

Wie Bakterien aus Abfällen neue Ressourcen machen

#stadtvonmorgen: Herr Lakatos, worum geht’s bei ihrem Forschungsprojekt „Waste to Value“, kurz: w2v?

Michael Lakatos: „Waste to Value“ bedeutet sinngemäß: aus Abfall Wertiges machen. Es geht um Kreislaufwirtschaft und die Möglichkeit, aus biogenen Abfällen mittels Mikroorganismen höherwertige Ressourcen herzustellen.

#stadtvonmorgen: Was sind biogene Abfälle?

Michael Lakatos: Biogene Abfälle fallen etwa in der Lebensmittelindustrie oder in der Landwirtschaft an. Beispiele dafür sind Pizzareste, Brotreste, Stroh oder übriges Gemüse und altes Obst. Diese Abfälle kommen zum Teil als Dünger auf die Felder, werden kompostiert oder landen direkt in der Biogasanlage. Doch in ihnen stecken viele Wertstoffe, die wir erhalten und nutzen wollen.

#stadtvonmorgen: Wie machen Sie das?

Michael Lakatos: Indem wir Bakterien einsetzen, die aus den Abfällen neue Stoffe produzieren, die sich als Ressource eignen – beispielsweise zur Herstellung von Bioplastik oder von Farbstoffen. Was von den ursprünglichen Abfällen übrig bleibt, kann dann immer noch in die Biogasanlage …

Bioökonomie als Standortfaktor im Strukturwandel

Cyanobakterie, die Biokunststoff produzieren kann (Quelle: Hochschule KL/Håkan Kvarnström)

Cyanobakterie, die Biokunststoff produzieren kann (Quelle: Hochschule KL/Håkan Kvarnström)

#stadtvonmorgen: Biologie als Wirtschafts- und Produktionsfaktor also.

Michael Lakatos: So kann man es sagen. Unsere Forschung steht auch in dem Kontext, den Strukturwandel in der Region anzukurbeln und Technologietransfer zu betreiben. Beispielsweise befinden sich in Pirmasens im Bereich der Schuhindustrie traditionell starke Kompetenzen. Doch wie kann diese Wirtschaftsstruktur in die Zukunft geführt werden? Wenn es um Kunststofftechnik, Verbundwerk- oder Klebstoffe geht, befinden sich immer mehr Unternehmen in der Situation, dass ihre Kunden besonderen Wert auf Nachhaltigkeit legen. Da kommt w2v ins Spiel: Indem wir die Grundlage dafür legen, neue Biokunststoffe, Farbstoffe oder Komponenten aus biologischen Materialien herzustellen, öffnen wir diesen Unternehmen einen Lösungsansatz. Entsprechend arbeiten wir mit Unternehmen der Region zusammen – insofern wirken wir für den Standort. Dies zeigt sich auch an den Partnerschaften von w2v mit dem Prüfungs- und Forschungsinstitut Pirmasens sowie der Standortinitiative Zukunftsregion Westpfalz. Gefördert wird w2v über die nächsten sechs Jahre mit bis zu 16 Millionen Euro aus dem Bundesforschungsministerium.

#stadtvonmorgen: Lassen Sie uns über Stadt sprechen. Wie zukunftsträchtig ist denn der w2v-Ansatz für die Stadt von morgen?

Michael Lakatos: Er ist sehr zukunftsträchtig. Denn es geht nicht nur um Kreislaufwirtschaft, sondern auch um urbane Agrarflächen und Dekarbonisierung sowie das sogenannte Carbon Farming. Was die Kreislaufwirtschaft betrifft, befindet sich das Wirtschaftssystem weltweit in einer Transformation zur Bioökonomie. Es zeichnet sich ein Streben nach mehr nachwachsenden Rohstoffen und dahin, biologische Prozesse in Produkte einzubeziehen, ab. Hierfür können wir einen Beitrag leisten. Gleiches gilt für das Carbon Farming und die klimaneutrale Stadt.

Carbon Farming an Hausfassaden in der Stadt

#stadtvonmorgen: Wie genau?

Michael Lakatos: Für die Umwandlungsprozesse nutzen wir als Organismus Cyanobakterien. Sonnenlicht und eine hohe CO2-Konzentration begünstigen deren Wachstum. Das bedeutet, dass sie bei der Produktion von Substanzen, die wir für Bioplastik oder -farbstoffe brauchen, CO2 fixieren. Dies führt zu dem Gedanken, im urbanen Raum die Produktion nachhaltiger Rohstoffe mit der Dekarbonisierung zu verbinden.

#stadtvonmorgen: Was hat der urbane Raum damit zu tun?

Michael Lakatos: Wir arbeiten an der Vision, die Häuserfassaden in Städten zukünftig als Agrarflächen zu nutzen. Dafür entwickeln wir Module für Mikroalgen. Bislang ist die Züchtung von Mikroalgen in Wasserbecken oder -röhren sehr energieaufwändig und teuer. Wir haben vor, Mikroalgen auf einem Träger zu züchten und diesen in Fassadenmodule einzubauen. Die Algen brauchen nicht viel Wasser, um zu wachsen – Nebeltröpfchen oder Aerosole reichen aus. Dann verrichten die Cyanobakterien in ähnlicher Form dort ihre Arbeit. So werden die Fassaden zu Produktionsflächen für neue Wertstoffe, die später für Bioplastik oder Farbstoffe zu verwenden sind. Gleichzeitig fixieren sie im Prozess CO2. Die zwischenzeitlichen Phasen, in denen die Algen austrocknen, bieten sich als Erntezeit an. Während auf den Dächern der Stadt von morgen Solarenergie gewonnen wird, werden die Fassaden der Zukunft zu neuen Agrarflächen.

Carbon Farming: Die klimaneutrale Stadt fixiert CO2

#stadtvonmorgen: Wie geht denn eine Ernte vonstatten?

Michael Lakatos: Die Ernte ist vergleichbar mit den Intervallen der Müllabfuhr. In regelmäßigen Zeitabständen werden die Module beziehungsweise die Träger der Algen abgesaugt. Ich schätze, dass wir bei der Entwicklung dieser Module und des Systems auf einem Stand sind, wie er bei PV-Anlagen in den 1970er Jahren war. Es besteht noch Forschungs- und Entwicklungsbedarf.

#stadtvonmorgen: Gleichwohl könnte insbesondere das Fixieren von CO2 einen deutlichen Beitrag für die klimaneutrale Stadt leisten.

Michael Lakatos: In der Tat. Je systemischer man denkt, umso größer wird die kommunale Dimension dieses Ansatzes. Denkbar ist beispielsweise, dass Energieproduzenten und -versorger wie Stadtwerke im Umfeld ihrer Blockheizkraftwerke, wo sie CO2 emittieren, derartige Fassadenmodule installieren, um das freigesetzte CO2 wieder zu fixieren. Gleichzeitig können sie damit Agrarflächen für nachwachsende Rohstoffe erschließen. Im Grunde ist jedes Hochhaus dafür geeignet – hier kommen gegebenenfalls städtische Wohnungsbaugesellschaften als Akteure ins Spiel. Wir sind gerade dabei, erste Demonstrationsanlagen zu errichten.

Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft: Städte als Innovationstreiber

#statdtvonmorgen: Welche Rolle spielen denn Städte für derartige Innovationen? Können sie die technologischen Neuerungen aktiv voranbringen, oder müssen sie darauf warten?

Michael Lakatos: Im besten Fall sind sie Innovationstreiber. Kommunen und kommunale Unternehmen sind entscheidend dafür, Transformationsprozesse wie den zur Kreislaufwirtschaft oder den zur Klimaneutralität zu gestalten. Vieles bleibt im Labor stecken, wenn der Schritt in die praktische Anwendung nicht gegangen werden kann. Gerade was Innovationen betrifft, können Städte also wichtige Impulsgeber sein. Denn sie sind es, die sich im Zusammenhang mit der Daseinsvorsorge mit Abfällen und Abwasser beschäftigen. Derzeit suchen wir etwa noch ein Testfeld für das Vorhaben, aus Abwasser mithilfe von Bakterien Bioplastik herzustellen. Für die Umsetzung solcher Ideen sind Kommunen wichtige Partner.

#stadtvonmorgen: Zurück zu den Fassadenmodule mit Mikroalgen: Diese sind aber nicht zu verwechseln mit dem Ansatz einer grünen Stadt, in der es um Fassadenbegrünung im Sinne des Kleinklimas und der Biodiversität geht.

Michael Lakatos: Nein. Beide Ansätze haben Schnittmengen. Doch die Idee der grünen Stadt zielt in Sachen Fassadenbegrünung insbesondere auf eine Bepflanzung zum Schutz der Natur und biologischer Lebensräume ab. Zudem geht es darum, das Klima in der Stadt zu steuern, etwa durch Beschattung, Verdunstung und Kühlung. Natürlich haben Fassadenmodule mit Mikroalgen, wie wir sie beschreiben, auch Beschattungseffekte und eine Verdunstungsleistung. Doch diese stehen weniger im Fokus. Hier geht es um urbane Agrarflächen zur Wertstoffproduktion und um gezielte CO2-Fixierung, eben um das Carbon Farming.

a.erb@stadtvonmorgen.de

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