Die Kreislaufwirtschaft soll „eine der zentralen Profilbildungsthemen für Wuppertal in den kommenden Jahren werden“. Das sagte Oberbürgermeister Uwe Schneidewind gestern bei seiner digitalen Pressekonferenz zum Jahresauftakt. Der Anspruch ist nicht geringer als global: Mit „Circular Valley“ gibt es in Wuppertal eine Initiative, die die Rhein-Ruhr-Region weltweit zum Nukleus der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) entwickeln will. Die Namensgebung entstand in Anlehnung an das für die Informations- und Kommunikationstechnologie global prägende Cluster in Silicon Valley. Die Stadt Wuppertal verstehe sich für Circular Valley als das „Kraftzentrum der Initiative“, so Schneidewind.
Vom Stadtumbau zur Kreislaufwirtschaft
Schließlich ist der Treiber für Circular Valley ein Bürgerverein, der in der Vergangenheit diverse Stadtumbauprojekte in Wuppertal voranbrachte. Wuppertalbewegung heißt der Verein, dessen Vorsitzender Carsten Gerhardt ist. 2006 gegründet, zählt er heute 1.300 Mitglieder. Die Bürgerinitiative widmet sich der urbanen Transformation. Bis sie sich mit der Kreislaufwirtschaft beschäftigte, war ihr Hauptprojekt der Umbau einer stillgelegten Bahntrasse zu einem Radweg. Rund 24 Kilometer kreuzungsfreie Fuß- und Radwege habe man seit 2006 insgesamt realisiert, bilanziert der Verein auf seiner Webseite.
2019 startete dann ein Ideenwettbewerb. Es ging darum, die Aktivitäten des Vereins neu auszurichten. Es sollte weggehen von Infrastrukturprojekten, für die doch eigentlich die Kommune zuständig ist. Aus der Ideensammlung kristallisierten sich die Themen Nachhaltigkeit und zirkuläre Wirtschaft als neues, zukunftsweisendes Betätigungsfeld heraus. Die Vision: Aus Stadt und Region ein globales Zentrum der Circular Economy schmieden.
Fünf Standortfaktoren für Circular Economy
Bei genauerer Betrachtung erscheint das schlüssig. Vereinsvorsitzender Gerhardt nennt fünf Standortfaktoren, die die Rhein-Ruhr-Region und Wuppertal begünstigen, um die Kreislaufwirtschaft als Profilmerkmal voranzubringen. Erstens finden sich hier auf engem Raum über 300 Weltmarktführer. Darunter sind große Industriekonzerne genauso wie sogenannte mittelständische Hidden Champions, die in ihren Nischen Vorreiter sind. Die meisten davon haben ein geradezu existentielles Eigeninteresse an der Gestaltung nachhaltiger Produkte, Prozesse und Lieferketten.
Zweitens haben in der Rhein-Ruhr-Region zahlreiche Marktführer im Bereich der Kreislauf- und Abfallwirtschaft ihren Sitz. Drittens finden sich hier über 70 wissenschaftliche Einrichtungen, die sich mit Material- und Stoffströmen beschäftigen. Viertens zeichnet sich die Region durch eine hohe Internationalität aus. Und fünftens hat sie eine lange industrielle Tradition, verbunden mit vielen historischen Umbrüchen. Sie sei also dazu prädestiniert, mit der modernen Transformation zur Kreislaufwirtschaft ihre Industriegeschichte fortzuschreiben, meint Gerhardt.
Vom Bürgerverein zur Ciruclar Economy Stiftung
Mit dieser Idee wurde der Verein 2021 zum Impulsgeber für die Gründung einer Stiftung. Als Gründungsstifter gab er 100.000 Euro. Mittlerweile ist das Kapital der Circular Valley Stiftung bereits auf vier Millionen Euro angewachsen. Gerhardt ist auch hier Vorsitzender. Die operativen Tätigkeiten der Stiftung werden unterstützt von Sponsoren sowie Landesmitteln. Unter den Stiftern und Förderern sind globale Unternehmen genauso wie mittelständische Betriebe und kommunale Beteiligungsgesellschaften.
Die Arbeit der Stiftung zielt darauf ab, die Kompetenzen der Region im Bereich der Kreislaufwirtschaft miteinander zu vernetzen und zu bündeln – also zu clustern. So baut sie ein international sichtbares Netzwerk zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie sowie Gesellschaft, Politik und Verwaltung auf. Ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit bezieht sich darauf, nach dem Silicon-Valley-Vorbild die Region zum Inkubationsraum für innovative Geschäftsmodelle und Startups im Zeichen der Kreislaufwirtschaft zu formen. Damit soll Rhein-Ruhr im globalen Maßstab zum Anziehungspunkt und kreativen Kern der zirkulären Wirtschaft werden.
Dafür ist eine von der Stiftung getragene Gesellschaft aktiv, die Circular Economy Accelerator GmbH. Sie soll mit einem Startup-Programm die marktreife Umsetzung innovativer Ideen fördern und beschleunigen. Geschäftsführer ist der ehemalige Wuppertaler Oberbürgermeister Andreas Mucke. Den Startups kommt zugute, dass die Accelerator GmbH als Gründungsplattform enge Verbindungen zu über 100 Partnern aus der Wirtschaft pflegt. Diese zeigen sich nicht nur offen für neue Ideen, sondern repräsentieren auch verschiedenste Industrien und Branchen. Zudem bilden sie unterschiedliche Stufen von Wertschöpfungsketten ab.
Stadt und Verein als Reallabor für Circular Economy
Derweil bleibt der Bürgerverein Wuppertalbewegung, der satzungsgemäß einen Sitz im Stiftungsrat hält, den Circular-Economy-Zielen verbunden. „Denn am Ende gelingt Kreislaufwirtschaft nur, wenn alle mitmachen“, sagt Vereins- und Stiftungsvorstand Gerhardt. „Es braucht dafür die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Stadt.“ Mit seinen 1.300 Mitgliedern könne der Verein in die Circular-Economy-Aktivitäten der Stiftung die „Konsumentensicht“ einbringen und so im Innovationsprozess zu einer Rückkopplung von Ideen beitragen.
Gehe es etwa darum, neue zirkuläre Geschäftsmodelle, Prozess- und Produktinnovationen auszuprobieren sowie deren Akzeptanz in der Bevölkerung zu testen, böten sich der Verein und die 350.000 Einwohner große Stadt Wuppertal als Reallabor an, erklärt Gerhardt. Hier stellt Schneidewind in Aussicht, als Stadt unterstützen zu wollen. Etwa ließe sich das Thema Kreislaufwirtschaft im Zusammenhang mit der städtischen Digitalisierung und ihren Smart-City-Aktivitäten aufgreifen. Über digitale Angebote könne man vor Ort „die Recycling- und Reparaturkultur sichtbarer machen“, so Schneidewind.
Kreislaufwirtschaft im europäischen Kontext
Strategisch ist es das Ziel der Stiftung, innerhalb dieser Dekade die Region Rhein-Ruhr zum globalen Kristallisationspunkt der Kreislaufwirtschaft zu formen. Im nächsten Schritt gehe es darum, die europäische Vernetzung zu forcieren, sagt Gerhardt. Derzeit agiere man im Radius von etwa 100 Kilometern um Wuppertal. Das Netzwerk wolle man räumlich erweitern, und zwar über die Grenzen nach Belgien und Holland. So könne man dortige Akteure einbinden und im europäischen Kontext die grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Circular Economy fördern. Dies korrespondiere mit europäischen Klimazielen wie dem European Green Deal und dem Circular Economy Action Plan auf Ebene der EU.
Für die Stadt, die Region sowie die hier ansässigen Unternehmen habe das zukunftsträchtige Engagement der Circular Valley Stiftung eine hohe strategische Bedeutung, sagt Schneidewind. Gehe es um die notwendige ökonomische und gesellschaftliche Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit, sei es wegweisend und strahle sowohl eine ökonomische und wirtschaftsfördernde als auch eine ökologische Kraft aus.