Als die Oberbürgermeisterin von Aachen vom Abriss des Parkhauses Büchel spricht, ist ihr die Erleichterung anzumerken. Er sei ein „Befreiungsschlag“ gewesen, sagt Sibylle Keupen. „Das Parkhaus ist gefallen“ – und das nach einer jahrelangen Debatte um die Frage, ob die Parkplatzkapazitäten in der Stadt ohne den alten Autotempel überhaupt ausreichten. Doch nun eröffne sich an der Stelle, wo das Parkhaus einst stand, eine völlig neue Perspektive für den Städtebau.
Verkehrsbedingte Emissionen bis 2030 auf null
„Wir werden es uns leisten, dort eine Wiese zu unterhalten als Stadt.“ Hinzu käme eine zurückhaltende Bebauung an den Randbereichen der Fläche. Außerdem spricht Keupen von temporären Nutzungen, die dazu animierten, den Stadtraum zu entdecken und neu wahrzunehmen. Das Beispiel zeige: „Verkehrswende ist auch Aufenthaltsqualität, Lebensqualität in der Stadt.“ Die Oberbürgermeisterin spricht von einer „Befreiung der Städte vom Auto, von zugeparkter Fläche“.
Bei der Veranstaltung „Stadtgespräch 2022“ des Thinktanks Agora Verkehrswende präsentierte die Oberbürgermeisterin heute in Berlin, wie Aachen die Mobilitätswende gestaltet. Markant für den Aachener Ansatz ist das städtebauliche Verständnis von Mobilität. Es gehe nicht um einzelne Maßnahmen, sondern um eine ganzheitliche Herangehensweise, sagt Keupen. Seit rund 20 Jahren beschäftige sich die Stadt intensiv mit der Mobilitätsplanung als Querschnittsthema. Damit im Zusammenhang stünde eine Bürgerbeteiligung und ein Engagement der Stadtgesellschaft für den Umweltverbund, insbesondere den Radverkehr. Die Stadtpolitik hat beschlossen, bis 2030 die verkehrsbedingten Emissionen auf null zu reduzieren.
Mobilitätswende als Stadttransformation
Die Mobilitätswende sei eine Frage der „Stadttransformation“. Die Oberbürgermeisterin redet von „Aufbruch“, „Ermöglichungskultur in der Stadt“ und einem – stellenweise durchaus schwierigen – „Kulturwechsel“ mit neuen Prioritäten für die Nutzung des öffentlichen Raums. „Innerstädtische Mobilität heißt auch, sich von alten Hüten zu verabschieden“, sagt sie exemplarisch über den Abriss des Parkhauses. Es bedürfe „Mut, die Stadt zurückzugewinnen“.
In Aachen geschieht dies strukturiert. Die Stadt verfolgt verschiedene Konzepte, die ineinandergreifen und die die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Sektoren veranschaulichen. Da sind etwa das städtische Klimaschutzkonzept, eine Mobilitätsstrategie, der Verkehrsentwicklungsplan oder politisch definierte Zielsetzungen zum ÖPNV-Ausbau. Ein „Meilenstein“ für den Umweltverbund und die städtebauliche Entwicklung sei außerdem der sogenannte Radentscheid 2019 gewesen, bei dem Bürger der Stadt verschiedene Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs einforderten und mit dem so eine gesellschaftliche Debatte über den Stadtverkehr stattfand.
Stadtverkehr als „multimodales Thema“
Die Mobilitätswende sei ein „multimodales Thema“, betont Keupen. Es gehe nicht isoliert um den Fahrradverkehr, den Fußverkehr oder das Automobil. Es gehe darum, wie sich Menschen in der Stadt bewegen. „Sichere Straßen sind für alle relevant.“ Zudem gehe es um den Klimaschutz und die Gestaltung des öffentlichen Raums. Aachen sei bestrebt „zitierfähige Beispiele zu schaffen“, die die Verkehrswende „erlebbar machen“.
Insgesamt gliedert sich die Arbeit an der Mobilitätswende in Aachen in „fünf Säulen“, nämlich das Radwegenetz, den ÖPNV, Fußwege und Plätze, das Mobilitätsverhalten sowie Kraftfahrzeuge. Der Instrumentenkoffer, den Keupen dafür auffächert, ist mannigfaltig. Die Maßnahmen reichen vom Umbau von Straßenzügen mit großzügigen Fahrrad- und Fußwegen und reduzierten Autostraßen bis hin zu konsequenten Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). In Sachen ÖPNV und Umweltverbund fordert Keupen ein „gutes Angebot“, das „zum Umstieg einlädt“. Derzeit plant die Stadt sogar eine neue Tram. Überdies will die Stadt mit Micro-Hubs, also zentralen Verteilstellen für Lieferservices, den innerstädtischen Lieferverkehr reduzieren.
Verkehrswende erlebbar machen
„Die Beteiligung der Menschen und das Erlebbarmachen sind essentieller Bestandteil der Mobilitätswende und Gelingensfaktor“, sagt die Oberbürgermeisterin. Entsprechend sucht die Stadt die Rückkopplung mit der Bürgerschaft. Dabei nutzt sie auch digitale Instrumente wie einen Mängelmelder oder ein sogenanntes Mobilitätsdashboard, das Busverbindungen, die aktuelle Parkhausauslastung, Sharingangebote oder den Verkehrsfluss in der Stadt aufzeigt. Mit einer „Mitmach“-App können die Bürger ihr Bewegungsprofil erfassen und ihre eigenen CO2-Emissionen errechnen – für das Einsparen von CO2 winken Belohnungen wie Rabatte, Gutscheine oder Prämien.
Gleichwohl zeigt Aachen aber auch die Grenzen kommunalen Handelns auf. Nicht umsonst ist die Stadt eine der sieben Gründungsstädte der sogenannten Tempo-30-Initiative. Mittlerweile streiten in der Initiative über 270 Städte, neuerdings auch ein Landkreis, dafür, den Verkehr vor Ort freier steuern und entschleunigen zu können.
Mehr Gestaltungsspielräume für Kommunen
Damit illustriert das Beispiel Aachen das Anliegen von Agora Verkehrswende, das Verkehrsrecht zu reformieren. Der Bund sei gefragt, denjenigen „die Bremsen abzunehmen“, die die Mobilität konkret gestalten. Es gelte damit, die Verkehrswende und den Klimaschutz gleichsam in Kommunen voranzubringen, sagte Agora-Direktor Christian Hochfeld heute bei der hybriden Diskussionsveranstaltung. Obwohl es im Koalitionsvertrag vermerkt sei, den Kommunen entsprechend mehr Gestaltungsspielraum einzuräumen, sei es „unverständlich, warum das nicht schon im ersten Jahr des Regierungshandelns angegangen ist“. Es brauche „mehr Tempo“.
Aachen zeige, dass die Kommunen dazu bereit seien und wie wirkungsvoll Städte vor Ort handeln könnten. Demgegenüber stehe, dass der Bund seine Klimaziele im Verkehr zur Senkung der CO2-Emissionen deutlich verfehle, kritisiert Hochfeld.