Seit 2017 koordiniert die Stadt Karlsruhe gemeinsam mit der Tschechischen Republik die Themenpartnerschaft „Urbane Mobilität“ (PUM) im Rahmen der „Städteagenda für die Europäische Union“. Diese Zusammenarbeit von acht Städten, zwei Regionen, fünf Staaten, zwei EU-Institutionen und sechs europäischen Dachverbänden endete gerade. Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup bilanziert. Dabei macht Mentrup in seinem Gastbeitrag für die OBM-Zeitung auf die Ergebnisse der Projektarbeit aufmerksam. Gleichzeitig beschreibt er an diesem Beispiel den Wert von sogenannten Partnerschaften zwischen Akteuren verschiedener Regierungsebenen in der EU, wie sie der Pakt von Amsterdam vorsieht. Der Karlsruher OBM plädiert dafür, sowohl die konkreten Projektergebnisse als auch das Instrument der Städteagenda für die Europäische Union nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern beide für eine europäische Strategie der Multilevel Governance zu nutzen.
Der „Pakt von Amsterdam“: Europa als Kontinent der Städte
Europa ist ein Kontinent der Städte. Das wurde spätestens mit dem „Pakt von Amsterdam“ 2016 hinsichtlich der „Städteagenda für die EU“ anerkannt. Als sichtbare Folge davon entstanden bisher 14 sogenannte Partnerschaften zwischen Akteuren der verschiedenen politischen Ebenen in der EU. Diese Partnerschaften widmen sich relevanten Schwerpunktthemen der Städteagenda. Darunter ist die Themenpartnerschaft „Urbane Mobilität“ (PUM). Diese hatte zum Ziel: integrierte Politiken für zentrale städtische Herausforderungen entwickeln und umsetzen.
Als Koordinatorin leitete die Stadt Karlsruhe zusammen mit der Tschechischen Republik dreieinhalb Jahre diesen Prozess, der ein Zukunftsbild urbaner Mobilität und konkretes Handeln zusammenführte. Mit Bielefeld und zeitweise Ulm arbeiteten weitere deutsche Städte in der PUM mit. Neben den praktischen Maßnahmen für die Verkehrsplanung, zu lesen in den demnächst publizierten „Final Outcomes“, hat die PUM eine Vision für urbane Mobilität entwickelt.
Eine Vision für urbane Mobilität, nicht nur in der EU
Wesentlich dabei sind folgende Aspekte:
- Alle Menschen in Europa bewegen sich gesünder. Sie gehen mehr zu Fuß – weil Städte dazu auch ein attraktives Umfeld bieten.
- Verkehrsmittel mit umweltschonenden Antrieben fahren auf den Straßen Europas. Das hat spürbare Folgen: bessere Luft, weniger Lärm, weniger Verkehr.
- Mobilität ist finanziell und örtlich für alle erreichbar. Und verlässlich. Denn digitale und sonstige Angebote informieren immer aktuell über den städtischen Verkehr und kommunizieren mit den Menschen – individuell und standortabhängig. Dies ist die Basis für „mobility as a service“.
- Weiterer Teil der Vision: Ein Zentrum für Innovationen entwickelt Ideen für die Zukunft der Mobilität.
Eine Projektmitarbeiterin aus der Stadtverwaltung und der Gründer von „Walk21“, eines auf Fußgängerverkehr spezialisierten, weltweit agierenden Verbandes, präsentierten die wesentlichen Ergebnisse Anfang des Jahres auf dem unter Stadtplanern renommierten CITIES Forum 2020 in Porto.
Karlsruhe als Kompetenzzentrum für nachhaltige Mobilität
Von Anfang an war ich von der Idee einer europäischen Themenpartnerschaft begeistert. Der internationale Blickwinkel ist letztlich für uns alle von zentraler Bedeutung. Für mich war daher das Treffen der politischen Repräsentanten der PUM zusammen mit dem PUM-Arbeitstreffen 2018 der Höhepunkt der Partnerschaft.

Mobilität im Fokus: Treffen bei der IT-TRANS (Quelle: Stadt Karlsruhe/KMK/Behrendt und Rausch)
Das Treffen fand auf der IT-TRANS statt, der internationalen Konferenz und Fachmesse für „intelligente Lösungen im öffentlichen Personenverkehr“. Zur wichtigsten und weltweit einzigen Fachmesse lädt die Messe Karlsruhe alle zwei Jahre zusammen mit dem PUM-Partner UITP (Union Internationale des Transports Publics) die gesamte Branche des öffentlichen Nahverkehrs ein. Bei einer weiteren internationalen Fachveranstaltung, dem Eurocities Mobility Forum, trafen sich 2019 Experten aus den Bereichen Verkehr und Stadtplanung im Karlsruher Rathaus.
Die größte Stadt am Oberrhein hat nicht ohne Grund die führende Rolle innerhalb der PUM. Bei uns befruchten sich fachliche Expertise und gelebte nachhaltige Mobilität gegenseitig: In Karlsruhe wurde die Zweisystem-Stadtbahn für eine umsteigefreie Stadt-Umland-Verbindung entwickelt, wir sind „europäische Carsharing-Hauptstadt“ und zudem dank konsequenter Förderung „Fahrradhauptstadt Deutschlands“.
Dazu kommen die Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen rund um das Thema Mobilität: Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die Hochschule für Technik und Wirtschaft haben eigene Forschungsschwerpunkte im Bereich Mobilität und beteiligen sich mit ihrer Expertise an der PUM.
Das Knowhow der Stadtverwaltung bringen das Stadtplanungsamt und die Stabsstelle für Außenbeziehungen und Strategisches Marketing (SAM) ins Projekt ein. Die beiden Dienststellen trieben, unterstützt vom Karlsruher Verkehrsverbund KVV, als Koordinatoren die PUM voran.
Karlsruhe zieht weiterhin Experten aus europäischen Städten zu Rate, wenn es um die sanfte Mobilität, also per Rad und zu Fuß, und den Umweltverbund mit dem öffentlichen Nahverkehr geht. Gleichzeitig ist Karlsruhe in Fragen Mobilität gefragt und wird von unseren Partnern weiterhin zu Rate gezogen.
Nachhaltige Mobilität: Austausch bringt Europa und Karlsruhe weiter
Für die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung war PUM bereichernd. Die inhaltlichen Erfolge und das, was über PUM für europäische Städte bleiben soll, motivierte. Denn: Wir als Stadt haben mit anderen Partnerinnen und Partnern durch PUM die Zukunft der nachhaltigen urbanen Mobilitätsplanung mitgestaltet.
Hinter dem englischen Kürzel SUMP (Sustainable Urban Mobility Plan) verstecken sich Best-Practice-Beispiele für die Zugänglichkeit zu öffentlichen Verkehrsmitteln, den Ausbau innovativer Busnetze, die Infrastruktur aktiver Mobilität und die Förderung einer entsprechenden Verhaltensänderung. Oder Zugangsregelungen für Fahrzeuge in Städten oder neue Mobilitätsdienste. Vor allem aber: Schaffung eines europäischen Rahmens zur Förderung der Innovation im Bereich der städtischen Mobilität.
Die Stadtverwaltung profitiert von der Arbeit für das europäische Projekt aber noch auf anderen Gebieten. Der intensive internationale Fachaustausch mit Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen auf allen Verwaltungsebenen, mit weltweit renommierten Unternehmen aus den Bereichen Verkehr, Mobilität und Logistik sowie internationalen Verkehrsverbänden hat Europa und Karlsruhe weitergebracht. Die Fächerstadt, Sitz des international angesehenen Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) und des Bundesverfassungsgerichts, hat durch diese Vernetzung ein noch größeres europäisches Standing bekommen.
Der Pakt von Amsterdam und die Strategie der Multilevel Governance

OBM Frank Mentrup aus Karlsruhe (Quelle: Stadt Karlsruhe/Roland Fraenkle)
Stadtentwicklung und Mobilität müssen wir immer im Dreiklang mit dem Klimaschutz denken – in der aktuellen EU-Politik fokussiert auf den European Green Deal. Karlsruhe sieht in der Übernahme von Verantwortung für die Mobilitätswende durch die Städte auch einen zentralen Baustein für den Klimaschutz. Dies findet sich im neuen Klimaaktionsplan entsprechend wieder, den der Gemeinderat vor einem halben Jahr verabschiedet hat – auch hier ist die Mobilität ein wichtiger Schwerpunkt.
Dies und der Blick auf die Partnerschaft, die Karlsruhe mitgestalten durfte, spiegeln den Geist des Pakts von Amsterdam wider. Auch als Präsident der deutschen Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) ist mir die dort festgelegte europäische Strategie der Multilevel Governance ein großes Anliegen.
Den Pakt ratifizierten am 30. Mai 2016 die für die Städtepolitik zuständigen Minister der EU-Mitgliedsländer. Er regelt die Grundsätze der Städteagenda für die Europäische Union. Ziel der Städteagenda: die stärkere und frühzeitigere Einbeziehung städtischer Interessen und Bedarfe auf EU-Ebene („better regulation“), der erleichterte Zugang zu EU-Fördermitteln, Programmen und Finanzinstrumenten („better funding“) sowie ein verbesserter Erfahrungsaustausch zwischen Städten („better knowledge exchange“). Also genau das, was die PUM und weitere Themenpartnerschaften leisten sollen.
Im Zuge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft soll das Thema „Urbane Mobilität“ mit der Verabschiedung der Neuen Leipzig Charta im November 2020 beim informellen „Ministertreffen zur Stadtentwicklung und zum territorialen Zusammenhalt“ erneut zur Sprache kommen.
Der Autor
Dr. Frank Mentrup ist Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe und Präsident der Deutschen Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE).
Weiterführende Links:
- Informationen zu den Partnerschaften der Urbanen Agenda gibt es hier (englisch).
- Informationen zur Themenpartnerschaft Urbane Mobilität gibt es hier (englisch) sowie auf der Webseite der Stadt Karlsruhe hier (deutsch).
- Der Europabericht der Stadt Karlsruhe 2016 bis 2018 ist hier zu finden.
- Informationen zur IT-TRANS gibt es hier.
- OBM Frank Mentrup spricht hier über Europa und die Rolle der Städte im OBM-Video.
Info: Der Pakt von Amsterdam und die Partnerschaften
Der Pakt von Amsterdam, die „Urbane Agenda für die EU“, wurde am 30. Mai 2016 auf einem Informellen Ministertreffen der dafür zuständigen Minister aus den EU-Mitgliedsstaaten in Amsterdam geschlossen. Er gilt zusammen mit der Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt von 2007, die Prinzipien der integrierten Stadtentwicklung für die europäische Stadt formuliert, als maßgeblich für die urbane Entwicklung in Europa.
Ein wesentliches Element der Urbanen Agenda ist der Einbezug aller staatlicher Ebenen, insbesondere der kommunalen Ebene, in die europäische Politik. Der Pakt von Amsterdam forciert damit die Multilevel Governance, also staatliches Handeln im Zusammenspiel von verschiedenen Regierungsebenen – der kommunalen bis zur supranationalen, europäischen.
Als wesentliches Instrument dafür definiert er sogenannte Partnerschaften. Darin arbeiten Akteure der verschiedenen Ebenen – aus der EU-Kommission, aus Mitgliedsstaaten, aus Regionen und Städten sowie von Verbänden – gemeinsam an einem Schwerpunktthema. Dabei soll die partnerschaftliche Arbeit neue Lösungsansätze für das jeweilige Thema hervorbringen. Dies soll insbesondere in drei Bereichen geschehen: in denen der regulatorischen Rahmenbedingungen, der Finanzierung und des Wissensaustauschs.
Im Fokus standen anfangs zwölf Schwerpunktthemen: Luftqualität, Kreislaufwirtschaft, Klimaanpassung, digitaler Wandel, Energiewende, Wohnungswesen, Integration von Migranten und Flüchtlingen, innovatives und verantwortungsbewusstes öffentliches Beschaffungswesen, Arbeitsplätze und Kompetenzen in der lokalen Wirtschaft, nachhaltige Landnutzung und naturbasierte Lösungen, urbane Mobilität sowie städtische Arbeit. 2018 kamen zwei weitere Partnerschaften hinzu. Diese behandeln die Themen Sicherheit im öffentlichen Raum sowie Kultur und kulturelles Erbe.
In der Partnerschaft zum Thema „Urbane Mobilität“ arbeiten unter Führung der Stadt Karlsruhe und der Tschechischen Republik acht Städte, zwei Regionen, fünf Staaten, zwei EU-Insitutionen und sechs Dachverbände und Organisationen zusammen. Darunter sind Bari, Bielefeld, Burgas, Gdynia, Malmö, Nijmegen, Skane Region, Torres Vedras und Wallonia Region (Städte und Regionen) sowie Zypern, Finnland, Rumänien und Slowenien (Nationalstaaten). Für die EU-Institutionen sind die Europäische Kommission und die Europäische Investitionsbank vertreten. Zu den Dachorganisationen gehören der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (Council of European Municipalities an Regions) sowie das Städtenetzwerk Eurocities.