Forscher des renommierten ifo Instituts stellen die Arbeit der Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse infrage, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde, um regionale Schwächen auszugleichen. Damit untermauern sie das Ergebnis einer Recherche der OBM-Zeitung (Ausgabe 2/18), die bereits im vergangenen Jahr ähnliche Fragen aufwarf. Im Kern geht es darum, wie sich die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen überhaupt definieren und messen lässt.
Die ifo-Forscher Marcel Thum und Joachim Ragnitz haben ihren Beitrag unter dem Titel „Zur Debatte um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse: Was soll man tun und was nicht?“ in Heft 02/2019 der Zeitschrift „ifo Dresden berichtet“ veröffentlicht. Sie bezweifeln sogar grundsätzlich das Instrument einer solchen Kommission, wie sie die Bundesregierung einsetzt. „Ausgabenwirksame Entscheidungen dieser Tragweite können in einem demokratisch verfassten Staat nicht einer Kommission überlassen bleiben, in der neben Vertretern der Exekutive auch Repräsentanten der betroffenen Regionen sowie der Zivilgesellschaft vertreten sind. Die Erfahrung lehrt, dass die Ausgabenwünsche dann ins Unermessliche wachsen“, erklärt Thum. Rücke die Politik die Herstellung regionaler „Gleichheit“ in den Vordergrund, würden Mittel gebunden, die für andere öffentliche Zielsetzungen nicht mehr zur Verfügung stünden. Ragnitz: „Der Haushaltsgesetzgeber muss letztlich darüber entscheiden, welche Leistungen der Daseinsvorsorge in welchem Umfang wo bereitgestellt werden.“
Die „Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen“ hat in Deutschland Verfassungsrang. Allerdings besteht, wie auch OBM-Recherchen zeigen, bei weitem keine Einigkeit darüber, was unter regional gleichwertigen Lebensverhältnissen zu verstehen ist. Entsprechend seien auch alle Versuche einer Messung zum Scheitern verurteilt, meinen Thum und Ragnitz. Grundsätzlich stelle die Diskussion um die Gleichwertigkeit regionaler Lebensverhältnisse die Region in den Mittelpunkt und nicht die in einer Region lebenden Bürger. Ohnehin bewerteten diese die Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge ganz unterschiedlich. Während einigen das kulturelle Angebot eines Stadttheaters besonders wichtig sei, genössen andere die Erholung in Parks oder Naturschutzgebieten. Da die Menschen sehr unterschiedliche Vorlieben hätten und die genauen Präferenzen der in einer Region lebenden Menschen nicht bekannt seien, lasse sich nur schwer ermitteln, ob die Bürger eine Minderausstattung mit bestimmten Daseinsvorsorgeleistungen tatsächlich als Defizit empfänden. „Regionale Unterschiede im Versorgungsniveau sollten zuzulassen sein, wenn dies den Präferenzen der regionalen Bevölkerung entspricht“, sagt Ragnitz.
Forscher untermauern OBM-Recherche
Zudem deuten die Recherchen der OBM-Zeitung darauf hin, dass es allein an einem Verständnis dafür mangelt, was „Gleichwertigkeit“ bedeutet. Für die einen geht es in der Debatte um die Unterstützung finanzschwacher Kommunen, anderer rücken die Kluft zwischen urbanen und ländlichen Räumen im Infrastrukturausbau in den Fokus, wieder andere meinen damit demografische Verwerfungen oder Differenzen zwischen ost- und westdeutschen Städten. Ebenso können die sozialen Belastungen eine Rolle spielen, die sich in dichtbesiedelten, sogar prosperierenden Regionen zeigen, wo aufgrund des rasanten urbanen Wachstums ein dramatischer Mangel an adäquatem Wohnraum herrscht.