Einige Städte fordern eine neue Raumkategorie: die Regiopole. Der Begriff beschreibt Oberzentren, die metropolitane Funktionen übernehmen.

Auf seiner Homepage wirbt das bayerische Städtchen Kulmbach für sich mit schmucken Fachwerkbauten, einer Maß frisch gezapftem Bier und einer Brotzeitszene in zünftiger Atmosphäre. In ihrem Wirtschaftsprofil verweist die Stadt unter anderem auf das „Ernährungscluster“, da sich hier zum Thema Ernährung auch national bedeutende Forschungsinstitutionen angesiedelt haben. Das bayerische Brauerei- und Bäckereimuseum sowie das Gewürzmuseum runden dieses Portfolio ab, heißt es auf der Webseite.

Die Hanse- und Universitätsstadt Rostock, die sich auf den Achsen der Metropolen BerlinKopenhagen und HamburgStettin mit modernen Seehäfen und Airport als „multimodaler Verkehrsknotenpunkt“ versteht, scheint mit Kulmbach nicht vergleichbar zu sein. Ohnehin ist Rostock mit über 200.000 Einwohnern fast zehnmal so groß wie die Stadt in Oberfranken. Doch beide haben eines gemeinsam: Sie fallen in die gleiche Raumkategorie. Beide gelten in den jeweiligen Landesentwicklungsprogrammen als Oberzentrum.

Unschärfen: Oberzentren weisen große Unterschiede auf

Offensichtlich umfasst der Begriff des Oberzentrums ein weites definitorisches Spektrum, innerhalb dessen auch bundeslandspezifisch unterschiedlich gewichtet wird. Doch genau diese Vielgestaltigkeit des Begriffs kann dazu führen, dass die bisherige Kategorisierung in der Raumordnung den konkreten Bedürfnissen von Städten nicht immer gerecht wird.

Dies wurde in Rostock schon vor Jahren erkannt. Die Stadt, die die größte des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern ist, sogar mehr als doppelt so viele Einwohner wie die Landeshauptstadt Schwerin zählt, fällt aus dem Raster. Sie gilt daher als Prototyp eines neuen Begriffs für die Raumordnung: der Regiopole.

Regiopole: Oberzentrum mit metropolitanen Funktionen

Ursprünglich wurde dieser Begriff für Rostock in einem Forschungsprojekt der Universität Kassel erarbeitet. Er zielt genau auf diese Lücke ab: Eine Regiopole ist eine Stadt in der Größenordnung zwischen 100.0000 und 300.000 Einwohnern, die in ihrem jeweiligen Umland herausragende zentralörtliche Funktionen wahrnimmt. Zudem liegt sie recht solitär im ländlichen Raum und gehört daher zu keiner Metropolregion.

Für ihre jeweilige Region spielen diese Oberzentren dennoch eine durchaus metropolitane Rolle und fungieren als gesellschaftlicher sowie kultureller Fixpunkt. Sie sind für ihr Umland der Motor, was Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Innovation angeht. Es zeigt sich, dass einige derartige Städte ihre Belange in der Raumordnung und in der Kategorie „Oberzentrum“ unterrepräsentiert sehen.

RegioPole-Netzwerk: Für eine neue Kategorie in der Raumordnung

Bundesweit lassen sich rund 30 solcher Regiopolen identifizieren. Neben Rostock ist die Stadt Trier ein Treiber der Idee, solche Städte miteinander zu vernetzen und so für den Regiopolegedanken auf nationaler Ebene zu sensibilisieren. 2016 gründeten Trier und Rostock das Deutsche RegioPole-Netzwerk. Dessen Geschäftsführung übernimmt die Stadt Trier.

Das RegioPole-Netzwerk ist eine strategische Allianz, die die Regiopole als eine neue Kategorie in der Raumordnung und in den Landesplanungen etablieren möchte. Neben Rostock und Trier gehören dem RegioPole-Netzwerk außerdem Siegen, Bielefeld, Paderborn und Erfurt an. Seit 2019 sind außerdem Würzburg und Koblenz Mitglieder des Netzwerks.

Förderung von Regiopolen als nationale Strukturpolitik

Die Verfechter des Regiopolegedankens beklagen unter anderem, dass die Stärkung der Metropolregionen sowie eine Zuwendung zu ländlichen Räumen etwa in Förderkulissen der Länder, des Bundes oder der EU in der Vergangenheit zu einer Vernachlässigung jener Oberzentren geführt hätten. Dabei fänden sich gerade in den Regiopolen hohe Innovations- und Wachstumspotentiale, die zugleich für die Prosperität des Umlands relevant seien.

So ließe sich der Fokus auf Regiopolen auch als Instrument der Förderung ländlicher Gebiete begreifen. Gleichzeitig könnten Regiopolen hinsichtlich des zunehmenden Wachstumsdrucks in Metropolen in einer Gesamtschau gegebenenfalls eine entlastende Funktion einnehmen. Gerade was die Debatte um eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in der Republik betrifft, könne die gezielte Bildung von Regiopolregionen also dazu beitragen, Ungleichgewichte in der Republik abzumildern.

Zudem fordert das RegioPole-Netzwerk ein verfeinertes Konzept für das Bundesgebiet, das Metropolen, Regiopolen, Oberzentren, Mittelzentren und Grundzentren zueinander in Beziehung setzt. Darin sollen die Regiopolen sowohl Schnittstellen zwischen den Metropolen und den ländlichen Räumen bilden als auch verbindende Knotenpunkte zwischen Metropolregionen sein. Entsprechend seien Verkehrswege und Infrastrukturen auszurichten, um letztlich die Vernetzung des deutschen Städtesystems insgesamt zu stärken.

Offene Fragen: Konkrete Definition einer Regiopole

Dabei fehlen allerdings noch entscheidende Grundlagen: Denn ein Manko des Regiopolegedankens ist, dass klare Kriterien und die genauen Funktionen einer Regiopole erst noch trennscharf zu definieren sind. Die Diskussion darum könnte daher sogar noch weitere Kreise ziehen. Sie könnte nämlich dazu geeignet sein, die bisher praktizierte Anwendung des zentralörtlichen Systems in der Republik zu hinterfragen und das Bewusstsein für bundesweit einheitliche, objektive Standards bei der Kategorisierung von Städten zu schärfen.

Erste Schritte dorthin sind bereits gemacht. Etwa ist mit Bundesförderung beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung seit 2019 das Forschungsprojekt „Regiopolen und Regiopolregionen für Deutschland“ aufgehängt. Der Bund fördert mit Mitteln aus dem Innen- und dem Landwirtschaftsministerium insgesamt 83 Prozent der Kosten, den Rest übernehmen die Städte des RegioPole-Netzwerks. Das Forschungsprojekt widmet sich unter anderem den Forschungsfragen nach dem infrastrukturellen Profil von Regiopolen, nach dem Verhältnis zwischen Regionpolen und ihrem Umland sowie nach einer Governancestruktur, um die interkommunale Zusammenarbeit im jeweils regionalen Kontext zu institutionalisieren.

Regiopole: Einzug in die raumplanerische Praxis

In der Raumordnung findet der Regiopolegedanke punktuell bereits Niederschlag. Das Landesraumentwicklungsprogramm Mecklenburg-Vorpommerns hat 2016 die Regiopole Rostock aufgenommen. Allerdings fehlt es auch hier an einer klaren Definition, an eindeutigen Funktionen und damit an einem gewissen Praxisbezug. In der aktuellen Fortschreibung des bayerischen Landesentwicklungsprogramms sind mit Würzburg, Regensburg und Ingolstadt erstmals sogenannte „Regionalzentren“ festgeschrieben. Doch von einer bundesweit systematischen Anwendung dieser neuen Raumkategorie kann noch keine Rede sein.

Dieser Artikel erschien im Dezember 2018 in der OBM-Zeitung (Ausgabe 4/2018). Für die Onlineveröffentlichung wurde er leicht überarbeitet und aktualisiert.

Aktuelle Beiträge