Klimaschutz durch Digitalisierung. Städte wie Antwerpen und Helsinki machen es vor: Digitale Lösungen für die Stadt erleichtern den Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel. Eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) hat Handlungsansätze für den Verkehr in ausgewählten Städten verglichen.
Die Verringerung der Emission von Treibhausgasen steht seit 30 Jahren auf der Agenda der Weltgemeinschaft. Mit einer Wende im Energie- und Verkehrssektor will Deutschland den Ausstoß klimaschädlicher Gase verringern. Ähnliche Ziele verfolgen auch andere Staaten in Europa. Doch so unterschiedlich der Energiemix und die Haltung zu den unterschiedlichen Energieerzeugungstechnologien auch sind, so unterschiedlich sind auch die Mobilitätsgewohnheiten und -konzepte. Einige Ideen und Maßnahmen könnten übertragbar sein oder zumindest Impulse für eigene Lösungen geben.
Herausforderungen im Autoland
In seiner Studie „Klimagerechte Stadt- und Mobilitätsentwicklung. Von europäischen Städten lernen“ geht das Difu vor allem auf Maßnahmen im Verkehrssektor ein. So werden zum Beispiel für den Autoverkehr vorgesehene Verkehrsflächen in Gemeinschaftsflächen für unterschiedliche Nutzungen verwandelt. Das können der Fahrradverkehr und der ÖPNV sein, aber auch Freizeitaktivitäten und die Entwicklung einer grün-blauen Infrastruktur mit Wasserflächen und Stadtgrün.
Die deutschen Kommunen haben bereits einige Maßnahmen zur Förderung der klimagerechten Mobilität ergriffen. Dazu gehören die Förderung des Radverkehrs oder die Parkraumbewirtschaftung. Die beabsichtigte Verringerung des Verkehrs und seine Verlagerung auf klimafreundliche Verkehrsmittel seien aber finanziell, personell, rechtlich und kommunikativ herausfordernd, stellen die Autoren der obengenannten Studie fest. Das geht aus Interviews mit Fachleuten aus fünf deutschen Kommunen hervor, die im Rahmen der Studie geführt wurden. Eine der befragten Kommunen nannte als Voraussetzung den politischen Willen und die Rückendeckung für Maßnahmen, die den Autoverkehr einschränken. Doch auch die kommunalen Verwaltungsstrukturen können die Umsetzung behindern, wenn z.B. die Kommune und der Landkreis unterschiedliche Zielvorstellungen haben.
Anreize und Daten für die Verlagerung
Bei der Untersuchung von zehn Fallstudien aus verschiedenen europäischen Städten haben die Autoren einige vorbildliche Ansätze analysiert und deren Übertragbarkeit auf deutsche Kommunen geprüft. Im Schweizer Kanton Basel-Stadt wurde z.B. ein Pendlerfonds betrachtet, im belgischen Antwerpen eine Plattform mit „klugen Wegen“ in die Stadt. Helsinki überlässt privaten Mobilitätsdienstleistern die Lösung auf der Basis transparenter Verkehrsdaten. Dabei zeigen die Autoren zunächst auf, wie sich die Ausgangssituation in den Städten darstellt. Damit wird ein Vergleich zur Lage in deutschen Städten möglich.
Für Basel stellen die Autoren zunächst eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung und hohe Parkgebühren fest, die den Pendlerfonds finanzieren. Das stoße in Deutschland an rechtliche Grenzen und sei nicht übertragbar, folgern die Autoren. Die Plattform aus Antwerpen setze auf bessere Informationen über die bestehenden Angebote und sei grundsätzlich auch in Deutschland einsetzbar, heißt es in der Studie. Dabei könne die Stadt auf eine ausgeprägte Fahrradkultur im flämischen Landesteil setzen.
Kluge Routen in die Stadt
Im 2010 beschlossenen Masterplan wollten die Stadt Antwerpen und die Region den Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) bis 2020 auf unter 50 Prozent reduzieren. Zwar gelang in der Innenstadt eine Verringerung auf 38 Prozent, doch mit wachsender Entfernung vom Stadtzentrum stieg der MIV-Anteil rapide. Auf dem Land erreichte der MIV bis zu 85 Prozent. 2015 wurden weitere Pläne aufgelegt: Der Mobility-Plan entwickelt eine hierarchische Streckenplanung für die verschiedenen Verkehrsmittel. Der Policy-Plan fasst die verfolgten Ziele zusammen, und der Action-Plan vereint bauliche Maßnahmen und Anreize zum Wechsel auf das Fahrrad.
Im Fokus der Studie steht dabei das 2018 gestartete Projekt „Slim naar Antwerpen“ (auf Deutsch etwa „Schlau nach Antwerpen“). Es handelt sich laut Studie um eine multifunktionale Plattform, die „Routenplanung, Verkehrserziehung und Kommunikation zwischen Stadt und Bürger*innen vereint und so zur Speerspitze der sogenannten ’soft measures‘ geworden ist“. Die Routenplanung bietet in einer Mobilitätskarte unter anderem „klügste“ und „aktivste“ Routen sowie Preise und Akkulaufzeit für Leihfahrräder.
Mobility as a Service
Helsinki möchte bis 2035 kohlenstoffneutral werden. Im „Carbon-neutral Helsinki 2035 Action Plan“ wurden dazu Maßnahmen der Vermeidung (Push) von Individualverkehr mit Verbrennungsmotor und der Förderung (Pull) von emissionsfreier Mobilität ergriffen. Dazu zählen laut Studie der Ausbau von Ladenetzen für elektrisch betriebene Fahrzeuge, die Erhöhung der Parkgebühren und die Ausweitung des Erhebungsgebiets, neue Mobilitätsdienste und die Verdichtung der Stadt- und Verkehrsplanung.
Die gemeinsamen „Mobility as a Service“-Angebote der Stadt und der Region kombinierten „Dienstleistungen öffentlicher und privater Verkehrsanbieter über ein einheitliches Portal“, schreiben die Autoren. In Helsinki bietet seit sechs Jahren die Firma MaaS Global die App „Whim“ an. Sie ermöglicht die Berechnung von Routen, den Zugriff auf Mobilitätsdienste und deren Bezahlung in einer Anwendung. Zunächst war die Nutzung nur für Einzeltickets möglich, erst das Angebot von Zeitkarten erschloss nach Einschätzung der Studienverfasser das eigentliche Potential der Anwendung. Dafür wurde das finnische Transportgesetz so geändert, dass die Betreiber im Namen der Kunden Zugang zur Programmierstelle für Jahreskarten der Verkehrsunternehmen erhielten.
Hinsichtlich der Übertragbarkeit des Konzepts weisen die Autoren der Studie auf ähnliche Anwendungen in Wien und den Niederlanden hin. Allerdings werden auch wichtige Voraussetzungen betont. So sei die finnische Gesellschaft und Verwaltung weiter digitalisiert als die deutsche. Die Gesetzgebung sei angepasst worden, auch im Hinblick auf einen intensiveren Datenaustausch zwischen den verschiedenen Anbietern. Markteintrittshürden seien gesenkt und die öffentlichen Verkehrsunternehmen beteiligt worden.
Modal Shift statt Antriebswende
Auch die weiteren Fallbeispiele, wie die autofreie Innenstadt in Ljubljana oder die Parkraumbewirtschaftung in Wien, setzen vor allem auf eine Änderung des Mobilitätsverhaltens. Das Verdrängen des Autoverkehrs und der Umstieg auf andere Verkehrsmittel stehen im Vordergrund der Bemühungen. Dagegen wird die Förderung von Autos mit elektrischem Antrieb meist nachrangig und begleitend betrieben. In ihrem Fazit empfehlen die Autoren deutschen Kommunen eine stärkere Verknüpfung von Push- und Pull-Maßnahmen, wie sie in den anderen europäischen Städten bereits erfolgreich durchgeführt wurde. Eine wichtige Voraussetzung ist jedoch auch die Anpassung des rechtlichen Rahmens in Deutschland. Hier sind Bund und Länder gefordert.