Vor drei Jahren rief Konstanz als erste deutsche Stadt den Klimanotstand aus. Nun fordert OBM Uli Burchardt mehr Anstrengung für Klimaschutz.

Am 2. Mai 2019 hat die Stadt Konstanz den Klimanotstand ausgerufen. Als erste deutsche Stadt machte sie auf diese Weise auf die dramatischen Folgen des Klimawandels aufmerksam. Nun, drei Jahre später, wendet sich Oberbürgermeister Uli Burchardt mit einem eindringlichen Appell an Bund, Land und benachbarte Kommunen. Darin fordert er unter der Überschrift „Jetzt mehr Klimaschutz wagen!“ von allen Akteuren stärkere Anstrengungen für die Klimaarbeit. Das Schreiben, das #stadtvonmorgen vorliegt, geht an Bundesministerien, die baden-württembergische Landesregierung, Parlamentarier auf Landes- und Bundesebene, den Deutschen und den Baden-württembergischen Städtetag, benachbarte Städte sowie den Verband kommunaler Unternehmen.

Burchardt: „Wir müssen schneller werden“

In dem Brief weist Burchardt auf das drängende Problem des Klimawandels hin. Um dem zu begegnen, müsse rasch und konsequent gehandelt werden. Doch im Verwaltungsapparat zwischen Bund, Ländern und Kommunen gehe vieles zu langsam – beispielsweise, was den Klimaschutz in denkmalgeschützten Gebäuden betrifft. Es bedürfe klarer Prioritäten: „Wir müssen noch schneller werden, agiler werden, uns besser vernetzen und regulatorische Hemmnisse jetzt beseitigen.“

Dabei stellt Burchardt fest, dass viele kommunale Klimaschutzstrategien ambitionierter als die des Bundes und meist auch der Länder seien. Gleichwohl hänge die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen auf lokaler Ebene maßgeblich von den ordnungsrechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab, die Bund und Länder setzen. Insofern seien der Bund und die Länder gefragt, die „essentielle Rolle für den Klimaschutz“ der Kommunen zu erkennen und zu fördern.

Rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen anpassen

Wesentliche Gestaltungskraft könnten die Kommunen beispielsweise in den Bereichen der Sanierung des Gebäudebestands, der Mobilität und der Energieversorgung entfalten. Dabei seien sie allerdings darauf angewiesen, dass der rechtliche und wirtschaftliche Rahmen im Sinne des Klimaschutzes „zügig(er) angepasst wird“, schreibt Burchardt. „Darüber hinaus benötigen wir stärkere Finanzierungsmöglichkeiten für Klimaschutzmodellkommunen, beispielsweise ein Klimadarlehen.“ Konstanz könne eine solche Modellkommune werden.

Mit Blick auf benachbarte, klimaaktive Kommunen regt Burchardt eine stärkere interkommunale Vernetzung an. Damit erhofft er sich einen intensiveren Austausch über konkrete Klimaprojekte sowie ein stärkeres Gewicht der kommunalen Klimaschutzanliegen gegenüber Bund und Land.

Rückblick: 2019 ruft Konstanz den Klimanotstand aus

Mit dem Ausrufen des Klimanotstands im Jahr 2019 hat der Konstanzer Gemeinderat „die Eindämmung der Klimakrise und ihrer schwerwiegenden Folgen als Aufgabe von höchster Priorität“ anerkannt, wie es in der damaligen Resolution heißt. Anlass für die Resolution des Gemeindesrats waren ein breites klimapolitisches Engagement der Stadtgesellschaft und Demonstrationen der Klimaschutzbewegung „Fridays für Future“. Nach Konstanz haben mehr als 60 weitere Städte den Klimanotstand ausgerufen.

Zu den Klimazielen der Stadt Konstanz gehört es, bis 2035 klimaneutral zu sein. Im November 2021 hat das Lokalparlament einstimmig eine Klimaschutzstrategie beschlossen. Im Zusammenhang mit der Resolution von 2019 steht unter anderem, dass der Gemeinderat bei jeglichen Entscheidungen deren Auswirkungen auf das Klima berücksichtigt. Formal ist dieser Aspekt in den Beschlussvorlagen verankert. Zudem ist der Oberbürgermeister dazu aufgefordert, „dem Gemeinderat und der Öffentlichkeit halbjährlich über Fortschritte und Schwierigkeiten bei der Reduktion der Emissionen Bericht zu erstatten“.

Klimanotstand: Städte nur bedingt handlungsfähig

Der Konstanzer Gemeinderat benennt jedoch bereits in seiner damaligen Beschlussfassung Grenzen und Zielkonflikte. Etwa heißt es in der Resolution, „dass ein vollständiges Einhalten der Klimaschutzziele auf kommunaler Ebene unter den derzeitigen Rahmenbedingungen noch nicht möglich ist“. Auch andere Kommunen, die Länder und der Bund seien gefragt, sich entsprechend zu engagieren. „Erst ein vollständiger Abbau weiterhin bestehender Subventionen für fossile Energieträger, eine sozial gerecht ausgestaltete CO2-Bepreisung, eine grundlegend veränderte Verkehrspolitik und eine klimaschutzkonforme Förderung des sozialen Wohnungsbaus würden hier das dringend benötigte Fundament legen.“

Unter anderem diese Vorbehalte sind auch in einigen Städten grundlegend für eine Skepsis, was das Ausrufen des Klimanotstands angeht. In der Sache zeigt sich die kommunale Familie gespalten. Nicht jede Stadt folgt dem Konstanzer Beispiel, einige entscheiden sich ausdrücklich dagegen.

Beispiel Essen: Klimaschutz ja, Klimanotstand nein

Dies war etwa 2019 in Essen der Fall. Im dortigen Stadtrat beantragten Grüne und Linke ebenfalls, den Klimanotstand auszurufen. Der Antrag setzte sich aber nicht durch. Der lokale Diskurs drehte sich auch um die Begrifflichkeit. So suggeriere der Begriff des Notstands eine Ausnahmesituation, in der sich alle Themen ausschließlich einer Priorität unterzuordnen hätten, argumentierten die kritischen Lokalpolitiker. Zudem sei er allgemein und zeige keine konkreten Maßnahmen auf. Dies habe mit planvollem Handeln wenig zu tun. Auch historisch stehe der Begriff in einem Kontext der Einschränkung von Bürgerrechten.

Einigkeit herrscht in der Essener Lokalpolitik allerdings über den grundsätzlich hohen Stellenwert des Klimaschutzes. Ohne Gegenstimme fasste der Stadtrat daher in der gleichen Sitzung, in der er den Klimanotstand ablehnte, einen alternativen Beschluss zugunsten der Klimaarbeit. Der erinnert in Teilen durchaus an die Konstanzer Resolution – heißt aber anders und war diesmal nicht von den Grünen und den Linken, sondern von den mehrheitsbildenden Parteien SPD, CDU und FDP vorgeschlagen worden.

Defizite in Klimanotstandserklärungen

Kritik an kommunalen Klimanotstandserklärungen kommt aber nicht nur aus den Städten. Wie eine Recherche dieser Redaktion 2019 (für die OBM-Zeitung) ergab, sehen sogar Organisationen wie das Klima-Bündnis diesbezügliche Defizite. Das Klima-Bündnis begleitet seine Mitgliedskommunen in Fragen des Klimaschutzes. Grundsätzlich begrüßt es die wachsende klimapolitische Sensibilität in Kommunen. Nach einer eigenen Analyse von Klimanotstandserklärungen kam es im Sommer 2019 jedoch zu dem Schluss, dass diese Deklarationen oft zu unbedarft verfasst und zu allgemein gehalten sind.

Viele blieben auf der symbolischen Ebene, und es mangele an konkreten Maßnahmen, Kriterien für die Erreichung von Zielen und Handlungslinien im Falle ihrer Nichteinhaltung. Auch Finanz- und Ressourcenbedarfe seien in Notstandserklärungen nur selten abgebildet. Ebenfalls nur „sehr selten“ träfen Klimanotstandserklärungen eine Aussage zur Klimagerechtigkeit, also wie Klimaschutzmaßnahmen schwache Bevölkerungsteile nicht benachteiligten. Ebenso käme der Aspekt der Klimaanpassung in den untersuchten Erklärungen „so gut wie gar nicht vor“. Wichtig sei, dass die Erklärungen „mit Leben gefüllt“ werden, heißt es in der Analyse des Klima-Bündnisses. „Mehr Klimaschutz wagen“ sozusagen.

a.erb@stadtvonmorgen.de

Aktuelle Beiträge