Klimaschutz und Klimaanpassung gewinnen als Handlungsfeld zunehmend an Priorität in Kommunen. Dabei gewinnt die Frage, wie Nachhaltigkeit mit sozialen Aspekten in Einklang gebracht werden kann, an Relevanz. „Inklusive Nachhaltigkeit“ ist das Streben, den Schutz des Klimas und natürlicher Ressourcen mit gesellschaftlichen Ansprüchen zu verknüpfen. Darüber spricht OBM Florian Janik im Interview. Zuletzt zeigte er bei einer internationalen Konferenz des Europarats und des Netzwerks Intercultural Cities entsprechende Ansätze aus seiner Stadt Erlangen auf.
Inklusive Nachhaltigkeit: Alle Teile der Gesellschaft erreichen
#stadtvonmorgen: Herr Dr. Janik, die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Klimaanpassung stehen ganz oben auf urbanen Agenden. Was meint nun der Begriff der „inklusiven Nachhaltigkeit“?
Florian Janik: Es geht darum, Fragen von Nachhaltigkeit so zu denken, dass sie alle Teile unserer Gesellschaft erreichen. Eine Herausforderung des Klimaschutzes ist es offensichtlich, dass wir oft Maßnahmen und Projekte von Überzeugten und für Überzeugte, die sich ohnehin mit der Klimaarbeit beschäftigen, anlegen. Die Gefahr dabei ist, dass diese Maßnahmen und Projekte außerhalb dieses Zirkels eben nicht alle erreichen oder von allen beachtet werden. Als diejenigen, die den Klimaschutz und die Klimaanpassung vorantreiben, müssen wir aber eine Achtsamkeit dafür entwickeln, dass Nachhaltigkeit in der Breite geschieht und alle Teile der Gesellschaft erreicht – „inklusiv“ eben. Also auch diejenigen, die sich bislang weniger intensiv mit der Klimakrise beschäftigen oder bezüglich des Klimaschutzes sogar eine ablehnende Haltung einnehmen.
#stadtvonmorgen: Was bedeutet das konkret?
Florian Janik: Der Gedanke der Kreislaufwirtschaft spielt dafür eine zentrale Rolle. An zwei konkreten Beispielen lässt sich die stärkere Einbeziehung der Stadtgesellschaft in die Nachhaltigkeits- und Klimaarbeit zeigen. Im Zuge der Coronakrise gab es einen besonders hohen Bedarf an PCs und Laptops. Mit der Unterstützung von Freiwilligen hat die Stadt gebrauchte Geräte aufgearbeitet, diese also dem Müllaufkommen entzogen. Eine soziale Dimension hatte das Projekt dadurch, dass die Geräte kostenfrei an bedürftige Familien abgegebenen wurden. Diese Menschen haben so den unmittelbaren Nutzen von nachhaltigem Handel erfahren. Zudem hat das Projekt insgesamt für das Thema Kreislaufwirtschaft eine höhere Aufmerksamkeit erzeugt.
Inklusive Nachhaltigkeit: Städte widmen sich zunehmend dem Thema
#stadtvonmorgen: Das zweite Beispiel …
Florian Janik: … zielt auf Erlangen als Fahrradstadt ab. Mit unserem Fahrradprojekt arbeiten wir alte Fahrräder auf und führen sie so einer neuen Verwendung zu. Damit setzen wir nicht nur einen Akzent im Sinne der Fahrradmobilität, sondern beschäftigen in diesem Segment auch Langzeitarbeitslose und bilden sie zu Fahrradmechanikern aus. Auf diesem Berufsfeld gibt es vor Ort einen Mangel, sodass die Chancen auf einen Sprung in den ersten Arbeitsmarkt gute sind. So verbindet das Fahrradprojekt Nachhaltigkeitsziele mit sozialen und gesellschaftlichen Komponenten. Inklusive Nachhaltigkeit in diesem Sinne ist ein Thema, dem sich die Städte zunehmend widmen.
#stadtvonmorgen: Erlangen hat gerade gemeinsam mit der Stadt Fürth ein vom Bund gefördertes Modellprojekt zur Sammlung von Speiseöl gestartet …
Florian Janik: Auch das ist ein gutes Beispiel. Wir geben haushaltsdeckend Sammelflaschen aus und bitten die Bürger, alte Fette, Reste von Speiseölen et cetera darin zu sammeln. Wir erhoffen uns davon einen mehrfachen Gewinn: Wir wollen den Rohstoff etwa als Kraftstoff weiternutzen. Wir wollen unseren Kanalnetzen die Fette entziehen, und wir wollen zugleich die Klärwerke davon entlasten. Inklusiv ist es deshalb, weil wir alle Haushalte ansprechen und es nur funktioniert, wenn viele – am besten alle – mitmachen.
Inklusive Nachhaltigkeit: Nicht zu lange mit der Theorie beschäftigen
#stadtvonmorgen: Sie sagen, inklusive Nachhaltigkeit gewinne als Themenfeld in Städten an Relevanz. Welches sind denn Ihre Erfahrungen: Wo stehen die Städte?
Florian Janik: Viele arbeiten daran, niemand hat aber eine fertige, umfassende Antwort. Wichtig ist die Bereitschaft, sich offensiv mit der Fragestellung auseinanderzusetzen. Am ehesten lässt sich dies – wie beschrieben – in konkreten Fällen tun. Daher sollte man sich nicht zu lange mit der Theorie beschäftigen, sondern innovative Lösungen in der Praxis umsetzen und daraus resultierende Erkenntnisse bestenfalls mit anderen Städten teilen. Insgesamt – nicht nur in Städten, sondern auch gesamtgesellschaftlich – findet die Frage, wie sich Klimaschutz und Soziales miteinander verbinden lassen, eine hohe Aufmerksamkeit. Dass man beides nicht voneinander getrennt betrachten kann, ist Konsens. Das was es konkret bedeutet, wenn man Klimaschutz und Soziales zusammendenkt, ist in der breiten Debatte noch nicht angekommen.
#stadtvonmorgen: In Ihren Beispielen spielt immer ein gewisser Marketingaspekt eine Rolle – also die Menschen von der Sinnhaftigkeit der Kreislaufwirtschaft und der Klimaarbeit zu überzeugen beziehungsweise den eigenen Nutzen davon zu erkennen. Handelt es sich bei „inklusiver Nachhaltigkeit“ im Grunde folglich um zwei Kernelemente: erstens die Verbindung sozialer Aspekte mit Nachhaltigkeitszielen und zweitens die Überzeugungsarbeit?
Florian Janik: Beides hängt miteinander zusammen. Natürlich geht es im Zusammenhang mit Klimaschutzmaßnahmen und deren Akzeptanz in der Stadtgesellschaft immer auch um Überzeugungen. Und die wiederum korrespondieren durchaus mit sozialen Merkmalen. Doch letztlich sind nicht nur Meinungsbildung und Überzeugungsarbeit wichtig, sondern vor allem konkretes Handeln.
Zwischen Gemeinwohl und individuellen Interessen
#stadtvonmorgen: Was meinen Sie damit?
Florian Janik: Insgesamt ist im Augenblick in der Gesellschaft eine hohe grundsätzliche Aufgeschlossenheit für die Klimaarbeit zu erkennen. Allerdings geht Klimaarbeit nicht ohne Veränderung, auch nicht ohne individuelle Veränderung bei der eigenen Lebensführung. Das kann Ängste davor, Gewohntes zu verlieren, hervorrufen. Zum Beispiel wissen wir alle, dass wir weniger Autos und den Umstieg auf den Umweltverbund brauchen. Doch in zu vielen Fällen wollen wir nach wie vor auf das bequemte Automobil nicht verzichten. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich bei der Windkraft: Grundsätzlich gibt es eine hohe Zustimmung zum Einsatz Erneuerbarer Energien. Trotzdem trifft fast jedes Windradprojekt lokal auf großen Widerstand. Hier besteht eine Differenz zwischen dem grundsätzlichen Wissen und dem konkreten Handeln; zwischen einer gemeinwohlorientierten Programmatik und individuellen Interessen. Daran gilt es zu arbeiten.