Die Regierungskoalition hat sich auf ein Lieferkettengesetz verständigt. Noch in dieser Legislaturperiode soll es verabschiedet werden. Mit dem Lieferkettengesetz sollen Unternehmen in die Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten entlang ihrer gesamten Lieferkette auch bei Zulieferern genommen werden. In den vergangenen Tagen mehrten sich auf der kommunalen Ebene die Rufe danach. Etwa unterzeichneten 34 Städte und Gemeinden die Resolution „Kommunen für ein starkes Lieferkettengesetz in Deutschland“. Die bayerische Stadt Neumarkt in der Oberpfalz ist dafür eine der Vorreiterstädte. Über sein Engagement für Nachhaltigkeit und das geplante Lieferkettengesetz spricht OBM Thomas Thumann.
Lieferkettengesetz: Umweltschutz sollte nachgeschärft werden
OBM: Herr Thumann, zunächst grundsätzlich: Warum Ihr Engagement für Nachhaltigkeit?
Thomas Thumann: Als ich 2005 Oberbürgermeister der Stadt Neumarkt in der Oberpfalz wurde, habe ich damit begonnen, die Verwaltung stärker nachhaltig auszurichten. Dazu gehört der faire Handel. Neumarkt wurde als erste Stadt in Bayern Fair-Trade-Stadt. Derzeit sind wir „Hauptstadt des fairen Handels“ (Foto oben; Hintergrundinfos dazu unten). Das Engagement geht in mehrere Richtungen, sowohl in die Bürgerschaft als auch in die Verwaltung. Es ist festzustellen, dass auf allen Ebenen die Sensibilität dafür gestiegen ist. Auch der Staat und die öffentliche Hand sind in der Verantwortung, etwas dafür zu tun. Die Resolution entstand aus dem Bewusstsein heraus, dass man gemeinsam mehr erreichen kann als alleine.
OBM: Jetzt hat sich die Regierungskoalition offenbar auf Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz geeinigt. Begrüßen Sie diese Einigung, oder sehen Sie noch Defizite?
Thomas Thumann: Es zeigte sich, dass eine freiwillige Selbstkontrolle der Unternehmen nicht zielführend ist. Insofern braucht es ein Gesetz, das darauf abzielt, Lieferketten fair zu gestalten. Dafür hat insbesondere Entwicklungsminister Gerd Müller leidenschaftlich gekämpft, wohingegen bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier das Bremsen großer Unternehmen erkennbar war. Nun kommt es darauf an, dass das Lieferkettengesetz wirklich „Zähne“ hat und durchsetzungsfähig ist. Dazu gehören Sanktionen, die spürbar sein müssen. Dass es im ersten Schritt nur Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Mitarbeitern, also nur relativ wenige, erfassen soll, ist bedauerlich. Dass später Unternehmen auch mit mehr als 1.000 Mitarbeiter einbezogen werden sollen, bildet dann ein breiteres Spektrum der Realität ab. Kritik an dem Kompromiss der Koalition ist dahingehend zu vernehmen, dass der Umweltschutz eine weitaus geringere Rolle spielt als ursprünglich zu erwarten war. Insofern darf der Gesetzesvorstoß im weiteren legislativen Prozess auf keinen Fall verwässert, sondern sollte im Gegenteil eher nachgeschärft werden.
Öffentliche Beschaffung: Großes Potential, große Verantwortung

Die öffentliche Hand verausgabt jährlich Milliarden. „Das ist ein großes Potential, und damit einhergeht eine große Verantwortung“, sagt OBM Thomas Thumann. (Quelle: Stadt Neumarkt in der Oberpfalz)
OBM: Wie sehen Sie dabei die Rolle der Kommunen? Warum widmen Sie sich in einer Resolution diesem nationalen beziehungsweise sogar internationalen Thema?
Thomas Thumann: Die öffentliche Hand verausgabt jährlich ein Beschaffungsvolumen von rund 350 Milliarden Euro. Auf die Kommunen fällt davon ein Großteil. Das ist ein großes Potential, und damit einhergeht eine große Verantwortung. Das reicht von der Arbeitskleidung über das Material der Stadtgärtnerei, Kopierpapier bis hin zu Baustoffen. Gemeinsam, beispielsweise in einer Resolution, kann man mehr erreichen und wird dieses Potential noch sichtbarer als alleine. Das gilt etwa auch für die Europäische Metropolregion Nürnberg. Dort bin ich fachlicher Sprecher des Forums Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. Es ist die erste Metropolregion in Deutschland, die Fair-Trade-zertifiziert ist. Zusammen haben wir vor, in einem Jahr bis zu drei Millionen Euro unseres gemeinsamen Beschaffungsvolumens zertifiziert nachhaltig auszugestalten.
OBM: Wenn Sie zurückblicken: Wie haben Sie die Stadt Neumarkt nachhaltig ausgerichtet?
Thomas Thumann: Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden diejenigen, die vor dem vom Mensch gemachten Klimawandel warnten, bisweilen belächelt. Heute ist der diesbezügliche Handlungsbedarf unstrittig. Die Stadt Neumarkt hat diesen früh erkannt, und entsprechend sind wir froh darüber, für unser Nachhaltigkeitsengagement immer mehr Mitstreiter zu gewinnen. Doch anfangs war das auch bei uns durchaus mit einem Bewusstseinswandel verbunden. Es galt, hergebrachte Handlungsweisen und Denkmuster zu überwinden. Heute ist die Nachhaltigkeitsarbeit ein amtsübergreifendes, selbstverständlich gewordenes Thema in er Verwaltung. Es ist sogar eine gewisse Euphorie dafür spürbar, wenn verschiedene Fachbereiche gemeinsam mit den Bürgern an einer Nachhaltigkeitsstrategie arbeiten oder Bürgerkonferenzen veranstalten.
Fairer Handel als kommunales Handlungsfeld
OBM: Was Vergabeprozesse betrifft, würden Sie sich hier mehr Möglichkeiten wünschen, das Thema Nachhaltigkeit als Vergabekriterium einsetzen zu können?
Thomas Thumann: Entsprechende Möglichkeiten gibt es im Vergaberecht bereits, ich denke beispielsweise an die Ausschreibung der Berufskleidung für unseren Bauhof, in die der faire Handel einbezogen wurde. Wichtig ist aber überdies, die Frage nach der fairen Lieferkette auch in Förderprogrammen abzubilden. Gerade gestalten wir einen markanten Platz in einem Stadtteilzentrum neu und rufen dabei Mittel aus der Städtebauförderung ab. Dabei hat es uns der Fördermittelgeber sogar zugestanden, einen Bodenbelag aus heimischen Steinbrüchen zu verwenden – im Gegensatz zu einem billigeren Produkt aus der Ferne, verbunden mit weiteren Transfortwegen, höheren CO2-Emissionen und fragwürdigen Arbeitsbedingungen –, und hat die damit verbundene Kostenerhöhung übernommen. Das zeigt: Nur auf den Preis zu schauen, ist zu kurz gedacht.
Hintergrund: Lieferkettengesetz soll kommen
Als einen „Durchbruch zur Stärkung der Menschenrechte“ bezeichnete Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Entwicklungsminister Gerd Müller und Wirtschaftsminister Peter Altmaier am 12. Februar die Einigung auf ein Lieferkettengesetz. Die Bundesregierung will ein solches noch in dieser Legislaturperiode verabschieden. Zuvor kritisierten diverse Verbände und Nichtregierungsorganisationen die Koalition, insbesondere den Wirtschaftsminister, und befürchteten, dass die Entscheidung über das Gesetz verschleppt würde. Auch nach der Einigung ist die Kritik zu vernehmen, dass der Kompromiss nicht weit genug gehe.
Mit dem Lieferkettengesetz sorge man für eine „menschrechtliche Verpflichtung der deutschen Wirtschaft weltweit“, so Heil. Es handele sich um „das bisher stärkste Gesetz in Europa im Kampf für Menschenrechte und gegen Ausbeutung“. Damit setze es „europäische Maßstäbe“. Es sei „ein Gesetz mit Zähnen“ und verpflichte die Unternehmen nicht nur zu Dokumentationen, sondern auch zum Handeln. „Das Verletzen von Menschenrechten und moderne Sklaverei“ dürften „kein Geschäftsmodell sein“, sagt Heil.
Das Gesetz soll Unternehmen dazu verpflichtet, sowohl in ihrem eigenen Geschäftsbereich als auch bei direkten Zulieferern, mit denen sie Vertragsbeziehungen unterhalten, Menschenrechte einzuhalten beziehungsweise menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Für mittelbare Zulieferer gilt diese Verantwortung anlassbezogen. Sie betrifft die gesamte Lieferkette auch außerhalb Deutschlands. Hilfsorganisationen und Gewerkschaften können Betroffene in Deutschland juristisch vertreten und die Rechte zivilrechtlich nach internationalem Privatrecht einklagen. Als Kontrollbehörde soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle unter anderem Zwangs- und Bußgelder „angemessen in Bezug auf den Gesamtumsatz von Unternehmen“ verhängen dürfen, so Heil. Eine Sanktion sei auch der Ausschluss von öffentlichen Auftragsvergaben für drei Jahre.
Die Initiative Lieferkettengesetz, auf die sich auf die Resolution der Kommunen bezieht, bezeichnete den Kompromiss in einem Statement nach der Pressekonferenz der drei Minister zwar als „wichtigen und längst überfälligen Schritt in die richtige Richtung“, kritisierte jedoch abgeschwächte Elemente. Unter anderem mahnt sie Verbesserungen des Rechtsschutzes von Betroffenen vor deutschen Gerichten an. „Dringenden Nachbesserungsbedarf“ sieht sie auch für die Einhaltung von Umweltstandards.
Hintergrund: Wettbewerb „Hauptstadt des Fairen Handels“
Die Vergabe des Prädikats „Hauptstadt des Fairen Handels“ ist ein Wettbewerb für Städte, Gemeinden und in diesem Jahr erstmals auch Landkreise. Die bayerische Stadt Neumarkt trägt derzeit den Titel „Hauptstadt des Fairen Handels“. Er wird alle zwei Jahre von Engagement Global mit ihrer Servicestelle Kommunen in der Einen Welt vergeben. Derzeit geht der Wettbewerb in die zehnte Runde. Bis zum 2. Juli können sich Kommunen mit ihren Projekten für Nachhaltigkeit und Fairen Handel noch darum bewerben. Vergeben wird der Titel am 23. September. Dabei stehen Preisgelder in Höhe von insgesamt 250.000 Euro zur Verfügung. Weitere Infos: https://skew.engagement-global.de/wettbewerb-hauptstadt-des-fairen-handels.html.