Die kommunalen Unternehmen sind als Stabilitätsfaktoren in der Coronakrise. Auch für tiefgreifende gesellschaftliche Transformationsprozesse erweisen sie sich als zentrale Akteure. Als operative Arme der Kommunen tragen sie zur Erreichung der Klimaziele, zur Umsetzung des European Green Deal bei. Außerdem gestalten sie die Infrastruktur für die Daseinsvorsorge, sichern die Energieversorgung, bringen die Energiewende voran und ermöglichen in vielen Regionen die Digitalisierung. Darüber spricht der Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) Michael Ebling, OBM aus Mainz.
Die Daseinsvorsorge funktioniert auch in der Krise
OBM: Herr Ebling, die Coronakrise erfasst alle Lebensbereiche. Wenn Sie auf die kommunalen Unternehmen in der Krise blicken: Welche Rolle spielen sie im Kampf gegen die Krise? Welches sind die größten Herausforderungen, und wie begegnen sie diesen?
Michael Ebling: Corona ist eine Prüfung für uns alle. Die kommunalen Unternehmen haben diese Prüfung gut bestanden. Sie haben ohne Ausnahme die kommunale Daseinsvorsorge, nämlich die Versorgung mit Strom, Wasser und Wärme sowie die Entsorgung der Abfälle und Abwässer, am Laufen gehalten. Und sie haben die entsprechenden Prozesse innerhalb kürzester Zeit angepasst und kritische Infrastrukturen abgesichert. Die Daseinsvorsorge funktioniert auch in der Krise. Insofern zeigen die kommunalen Unternehmen im Licht der Krise ihre Stärken und belegen, dass sie unverzichtbar sind.
OBM: Was meinen Sie: Spielt dafür die kommunale Verwurzelung eine Rolle, oder wären die Aufgaben auch in einer stärker privatwirtschaftlich geprägten Organisation ebenfalls so gut bewältigt worden?
Michael Ebling: An dieser Stelle möchte ich keine Gegensätze beschwören. Ich stelle aber fest, dass die kommunalen Unternehmen ihre Aufgaben in der Krise sehr gut gelöst und sich als belastbar erwiesen haben. Sicher sind ihre regionale Verwurzelung und ihre Verantwortung für die Wertschöpfung in der eigenen Region dafür zusätzlich motivierende Faktoren.
Resiliente Stadt: Strukturen müssen widerstandsfähiger werden
OBM: Welche Forderungen leiten Sie davon ab?
Michael Ebling: Was wir aus der Krise lernen ist, dass wir Strukturen widerstandsfähiger, resilienter machen müssen, Stichwort: resiliente Stadt. Das betrifft den Kampf gegen Pandemien genauso wie die Reaktionen auf den Klimawandel und auf gesellschaftliche Veränderungen oder die Digitalisierung. All diese Bereiche sind mit gravierenden Transformationsprozessen verbunden, die sich in einem überschaubaren Zeitraum abspielen. Wir müssen daran arbeiten, dass städtische und kommunale Strukturen widerstandsfähig bleiben. Denn letztlich fußen die Stabilität und die Widerstandskraft unserer Gesellschaft darauf. Davon lässt sich die Forderung ableiten, stabile Rahmenbedingen dafür zu schaffen, dass Kommunen und die kommunalen Unternehmen ihre Funktionen erfüllen können. Das bedeutet etwa konkret, dass der steuerliche Querverbund als wichtige Säule der Finanzierung insbesondere dauerdefizitärer Leistungen der Daseinsvorsorge erhalten bleibt.
Entsorgungskosten: Verursacherprinzip forcieren
OBM: Zuletzt stellten Sie mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze eine Studie hinsichtlich der Entsorgungskosten von Einwegkunststoffartikeln vor. Die Studie zielt auch im Zusammenhang mit der EU-Kunststoffrichtlinie darauf ab, die Verpackungshersteller stärker an den Entsorgungskosten zu beteiligen. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Michael Ebling: Im Grunde steht dies im Kontext der Bemühungen, weniger Abfall zu produzieren, oder dort, wo er produziert wird, die Entsorgung so zu lösen, dass nicht die Falschen dafür aufkommen müssen. Was die EU-Kunststoffrichtlinie betrifft, geht es genau darum: die Hersteller von Einwegverpackungen auch an deren Entsorgung zu beteiligen. Unsere Studie hat die Dimension hervorgebracht, um die es in Deutschland geht. Jährlich kostet die Entsorgung solcher Abfälle die Städte und Gemeinden 700 Millionen Euro. Dabei geht es um die Entsorgung von Einwegprodukten, Zigarettenkippen, To-Go-Bechern oder ähnlichem, die auf den Gebührenzahler abgewälzt wird. Wir vertreten die Position, dass die Hersteller diese Kosten mittragen sollten – und zwar vor allem zur Entlastung der Allgemeinheit.
OBM: Sie fordern auch, den im aktuellen Gesetzgebungsverfahren angesetzten Begriff zu erweitern.
Michael Ebling: Ja, die Grundfrage ist allgemein zu stellen – egal, ob es sich um Plastikeinwegprodukte handelt oder um Verpackungen wie Pizzakartons. Grundsätzlich plädieren wir für das Verursacherprinzip. Die Erfahrung zeigt: Will man Abfall reduzieren, ist es einfacher dort anzusetzen, wo er entsteht, beim Verursacher, und nicht erst bei der Entsorgung.
European Green Deal: Kommunale Unternehmen zentrale Akteure
OBM: Stichwort: EU und Klimaschutz. Mit dem European Green Deal will die EU Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Wie realistisch ist das Ziel? Und welche Rolle spielen kommunale Unternehmen dabei?
Michael Ebling: Das Thema ist ein sehr ernstes. Wir müssen die Klimaneutralität schaffen. Je früher dies gelingt, desto besser ist es. Jeder Augenblick zählt. Dass wir, wie die Klimabilanz 2020 zeigt, Zwischenziele gut erreicht haben, ist positiv. Insbesondere der Energiesektor hat wesentliche Beiträge dafür geleistet. Doch es gibt keine Atempause, der Wandel findet statt. Aspekte wie Wasserknappheit, Trockenheit oder die Erderwärmung bedrohen unseren globalen Lebensraum. Insofern halte ich eine Anhebung unser europäischen Klimaziele für richtig. Der Green Deal eröffnet große Chancen auf eine Transformation der Gesellschaft. Für Unternehmen bedeutet er aber auch große Herausforderungen. Sie sind diejenigen, die Maßnahmen für das Erreichen der Klimaziele umsetzen müssen.
OBM: Was bedeutet dies für die kommunalen Unternehmen?
Michael Ebling: Sie gestalten den Transformationsprozess auf dem Weg zur Klimaneutralität. Wir brauchen mehr erneuerbare Energien – mehr Wind an Land und mehr Sonne in den Städten, also den Ausbau der Windkraft und den der Fotovoltaik. Dies findet in den Kommunen statt. Die kommunalen Unternehmen sind also per se zentrale Akteure der Energiewende beziehungsweise im Kampf gegen den Klimawandel. Allerdings: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür müssen stimmen. Wichtig ist etwa, dass die Ausbauziele 2030 für Sonne, Wind und Co. noch vor den Bundestagswahlen erhöht werden. Wir brauchen außerdem eine stärkere Dynamik beim Windenergieausbau insgesamt. Notwendig ist dafür auch mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Artenschutzrecht. Aufgrund fehlender einheitlicher Standards können die Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes beliebig streng und einseitig zulasten der Windenergie ausgelegt werden. Außerdem brauchen wir Erleichterungen beim Repowering, dem Ersatz alter durch neue, leistungsstärkere Windenergieanlagen.
Erneuerbare Energien entscheidend für den Klimaschutz
OBM: Das heißt, der konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien als Grundlage für den Klimaschutz. Was muss darüber hinaus noch geschehen?
Michael Ebling: In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Sektorenkopplung zu forcieren – zum Beispiel, wie wir Wasserstoffstrategien mit dem ÖPNV und der Gasinfrastruktur verbinden können. In Mainz bauen wir etwa ein kommunales Heizkraftwerk dahingehend aus, dass hier Wasserstofftechnologie zum Einsatz kommt. Daran wird auch ein Industriepartner angebunden sein, der von hier aus über eine Wasserstoffleitung mit grünem Wasserstoff versorgt wird und so Teile seiner Produktion „anfeuert“. Eine solche Sektorenkopplung kann dem Thema Wasserstoff zum Durchbruch verhelfen. Darüber hinaus ist grundlegend wichtig, dass die Digitalisierung der Stromnetze vorangebracht wird.
OBM: Die Digitalisierung geht einher mit der Zielsetzung, die „Energieflüsse“ besser steuerbar zu machen. Der Energiebedarf in Zukunft wird eher steigen, hinzukommt die Dezentralität der Produktion Erneuerbarer Energien. Sind das Gegensätze? Wie sicher ist denn die Stromversorgung der Zukunft?
Michael Ebling: Die Frage nach Versorgungssicherheit ist eine, die bisweilen untergeht. Wir in Deutschland bewegen uns diesbezüglich auf einem wohl einmalig hohem Niveau. Es ist kaum daran zu denken, dass es längerfristige Ausfälle geben könnte. Doch mit dem gleichzeitigen Kernenergie- und Kohleausstieg und dem Ausbau der fluktuierenden erneuerbaren Energien müssen wir mehr über gesicherte Leistung reden. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Klimaneutralität in einem Industrieland nur gelingen kann, wenn es eine Backupstruktur von regelbaren Kraftwerken gibt für die Fälle, in denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.
Versorgungssicherheit: Debatte über Backupstruktur nötig
OBM: Wird diese Dimension der Energiewende in der öffentlichen Debatte unterschätzt?
Michael Ebling: Ich glaube, dass allgemein die Frage nach Versorgungssicherheit unterschätzt wird. Wir tun als Industrieland insgesamt zu wenig dafür. Hier brauchen wir eine intensive Debatte darüber, wie der Bau neuer Backupkapazitäten ermöglicht wird.
OBM: Eingangs haben wir darüber gesprochen, dass uns die Coronakrise dazu auffordert, stärker an die Resilienz von Städten und Infrastrukturen zu denken. Könnte eine Lehre der Krise sein, insgesamt unser Risikomanagement und unsere „Komfortzone“ zu hinterfragen?
Michael Ebling: Die Pandemie führt uns vor Augen, wie wichtig stabile Strukturen sind. Sie zeigt uns, was unser Land, was unsere Stadt am Laufen hält. Das Bewusstsein darüber können wir von der Krise lernen. Zudem lehrt sie uns die Wertschätzung für die Mitarbeiter kommunaler Unternehmen, die daran arbeiten, und die Bedeutung regionaler Steuerungsverantwortung. Am Ende sind es die Kommunen und kommunale Unternehmen, die Versorgungs- und Entsorgungssicherheit liefern.
Die Umsetzung europäischer Klimaziele findet vor Ort statt
OBM: Wir haben über die europäischen Klimaziele gesprochen. Wird aus Ihrer Sicht die Relevanz der lokalen Ebene zur Erreichung der auf der supranationalen Ebene formulierten Ziele bisweilen übersehen? In welchem Verhältnis stehen beiden Ebenen zueinander?
Michael Ebling: Wer über die großen europäischen und übrigens auch globalen Klimaziele spricht, muss sich darüber bewusst sein, dass deren Umsetzung am Ende vor Ort, also lokal, stattfindet. Seien es Projekte für die Zukunft der Mobilität, zur Ressourceneffizienz, zur Energiewende oder insgesamt zur Klimaneutralität – es gilt, vor Ort Menschen dafür zu gewinnen und zu begeistern. Ich denke etwa an Microhubs, die zeigen, dass sich ein Umsteigen auf innovative Mobilitätskonzepte lohnt, dass Verkehrswende funktionieren kann und dass jeder einen Beitrag dafür leisten kann. Solche Projekte zeigen aber auch, dass es dafür einer Motivation und einer Moderation vor Ort bedarf. Ihre Fähigkeit, dies zu bewerkstelligen, werden kommunale Unternehmen in Zukunft noch stärker ausspielen, als sie es heute schon tun.
OBM: Glauben Sie, dass diese Fähigkeit von Kommunen und kommunalen Unternehmen auf der nationalen oder supranationalen Ebene adäquat anerkannt oder wertgeschätzt wird?
Michael Ebling: Wertschätzung ist das eine. Entscheidend ist aber auch, dass die kommunale Ebene bei der Rahmensetzung immer mitgedacht wird. Wichtig ist, dass am Ende nicht nur ein Ziel steht, sondern auch Pfade der Umsetzung. Es hilft nichts, ambitionierte Klimaschutzziele zu formulieren, ohne sich über deren Realisierungsmöglichkeiten Gedanken zu machen. Insofern ist mit Blick auf die kommende Bundestagswahl zu hoffen, dass es die politische Verantwortlichen schaffen, sich nicht nur an Ambitionen zu überbieten, wann wir Klimaneutralität erreichen – das kann nicht schnell genug gehen –, sondern dass sie auch sagen, wie dies gelingen kann.