Vielleicht riecht Oberbürgermeister Uli Burchardt den Braten. Anmerken lässt er sich aber nichts. Er meint lediglich nebenbei, dass er ja nicht wisse, woher ich komme und wie lange ich schon in Konstanz wohne. Bin ich also aufgeflogen? Als Bürger, getarnt mit privater Emailadresse, habe ich mich für die „Digitale Kaffeepause“, die Burchardt am 19. November zum ersten Mal anbot, angemeldet. Natürlich wohne ich nicht in Konstanz. Ich nehme also sozusagen undercover an der „Digitalen Kaffeepause“ teil.
Dabei können die Bürger der Stadt Konstanz ihrem Oberbürgermeister Fragen stellen – coronakonform digital per Videoschalte. Eine Stunde lang nimmt sich Burchardt, stilecht mit Kaffeetasse, Zeit für das neue Format. Es ist nach anfänglichem Abtasten ein lebendiges Gespräch, im dem sowohl zentrale urbane Entwicklungsthemen der Stadt als auch persönliche Anliegen besprochen werden. #stadtvonmorgen ist dabei – mehr oder weniger inkognito.
Digitale Kaffeepause: Plaudern über „was uns gerade beschäftigt“
„Herzlich Willkommen mit frischem Kaffee“, begrüßt Burchardt die Runde. Etwas mehr als ein Dutzend Bürger haben sich zugeschaltet. Zustande gekommen sei das Format „auf Anregung der jungen Kollegen“, sagt der Oberbürgermeister. Und Mandy Krüger, eine Mitarbeiterin der städtischen Pressestelle und wohl eine jener jungen Kolleginnen, erklärt eingangs die Spielregeln. Voraussetzung zur Teilnahme an der „Digitalen Kaffeepause“ sei ein „freundlicher und respektvoller Umgang“ miteinander. Na, wenn’s weiter nichts ist. Das dürfte ich hinkriegen.
Eine Stunde lang will der OBM darüber plaudern, „was uns gerade beschäftigt“. Tags zuvor hatte der Gemeinderat über eine städtische Klimaschutzstrategie beraten. Das 175 Seiten starke Werk liegt auf seinem Schreibtisch. Es setzt Leitplanken für den Weg der Stadt zur Klimaneutralität bis 2035.
Klimaschutz, bezahlbarer Wohnraum und Coronafinanzen
Folglich spricht Burchardt über den Klimaschutz. Zusammen mit der Schaffung von neuem, bezahlbaren Wohnraum gehöre er zu den stadtstrategisch wegweisenden Themen. Erschwert werde die Arbeit daran allerdings durch die Coronakrise. „Corona hat uns große Löcher in den Haushalt gerissen“, sagt der Oberbürgermeister.
Exemplarisch verweist er auf Einbrüche im Gewerbesteueraufkommen. Auf die Stadt, die ihre Schulden zuletzt von etwa 30 auf 20 Millionen Euro abgebaut habe, kämen nun neue in Höhe von 25 Millionen Euro zu. Die Diskussion um den Haushalt werde – im Zusammenspiel mit Investitionserfordernissen etwa beim Klimaschutz – der Lokalpolitik also „noch Kopfzerbrechen bereiten“.
Urbane Transformation: Mobilität wichtiges Thema der Bürger
Die „Digitale Kaffeepause“ macht deutlich, wie sich abstrakte Themen konkret in der Lebenswelt der Menschen widerspiegeln. Dies betrifft die urbane Transformation etwa im Bereich der Verkehrswende. Fragen zur Mobilität tauchen immer wieder auf. Es geht unter anderem um abendliche Busverbindungen oder die Reichweite von E-Scootern. Ebenso ist der Radverkehr ein Thema: Fußgänger fühlten sich „terrorisiert durch Radfahrer“, bemängelt eine Bürgerin.
Natürlich dürften Fahrradfahrer „nicht wie im wilden Westen“ und „Slalom durch die Fußgänger“ fahren, sagt Burchardt dazu. Der Oberbürgermeister sichert zu, sich dem Thema annehmen zu wollen. Es gebe bereits Ideen für eine sogenannte Rücksichtskampagne. Gleichwohl verstehe sich Konstanz als „Fahrradstadt“ und wolle den Umweltverbund, also die Alternativen zum Automobil, gezielt ausbauen. Bereits jetzt würden die Verkehre in Konstanz zu 75 Prozent über den Umweltverbund abgewickelt. Burchardt stellt den Bau eines neuen Parkhauses mit eigenen Stellplätzen für Fahrräder im Umfeld des Bahnhofs in Aussicht.
An die Ampelkoalition: mehr Spielraum für Kommunen im Stadtverkehr
Grundsätzlich hofft der Oberbürgermeister auf mehr Handlungsspielraum für Kommunen im Bereich des Stadtverkehrs. Er verweist auf eine Initiative des Deutschen Städtetags, an der auch Konstanz teilnimmt. Der Städtetag fordert das Bundesverkehrsministerium dazu auf, die Weichen für mehr Entscheidungsfreiheit der Kommunen zu stellen, insbesondere hinsichtlich der Ausweisung von Tempo-30-Zonen. „Vielleicht funktioniert das mit der neuen Ampelkoalition“, meint Burchardt.
Darüber hinaus wenden sich in der „Digitalen Kaffeepause“ einzelne Bürger mit persönlichen Anliegen und pragmatischen Vorschlägen an den Oberbürgermeister. Dies betrifft etwa Fragen zu städtischen Erbpachtverträgen, die Bitte, die Öffnungszeiten der Wochenmärkte auszudehnen, oder die Anregung, die Stationen für Coronatests in den Abendstunden länger zu öffnen.
Undercover: die Frage nach Klimaanpassung und Hochwasserschutz
Undercover, getarnt als Bürger, spreche ich die Frage nach Klimaanpassung im Zusammenhang mit dem Hochwasserschutz an. Schließlich liegt Konstanz am Bodensee und am Rhein. Dieser Umstand ist nicht viel, aber immerhin eine Prise Lokalkolorit, die ich in das Gespräch einbringen kann. Doch allzu überzeugend bin ich dabei wohl nicht, schließlich hinterfragt Burchardt an dieser Stelle meine Herkunft. Davon unbenommen, sagt er hinsichtlich der Klimaanpassung und des Hochwasserschutzes: „Wir haben das voll auf dem Schirm.“
Die Stadt unternehme zahlreiche Anstrengungen, um Wetterextremen abmildernd vorzubeugen. Exemplarisch verweist Burchardt auf Entsiegelungen, Verschattungen oder Stadtgrün. Zwar gebe es „keine Garantien“ für die Absicherung gegen Schadensfälle. Doch im Zusammenhang mit möglichem Hochwasser erweise sich das örtliche Gewässer als „gutmütig“. Im Hinblick auf Starkregen übernehme die große Wasserfläche sogar eine Pufferfunktion und könne große Wassermengen absorbieren und ableiten.
„Cooles Format“: nächstes „Kaffeedate“ am 17. Dezember
Damit endet die „Digitale Kaffeepause“. Er habe sie als ein „cooles Format“ empfunden, resümiert Burchardt. Der Oberbürgermeister verabschiedet sich mit einem Impfappell. Und just heute kündigte die Verwaltung das nächste „Kaffeedate“ mit Burchardt an. Das findet am 17. Dezember statt. In diesem Sinne: Hoch die Tasse!