Die Coronakrise sorgt für einen Schub der Digitalisierung. Sie verändert dabei auch das Selbstverständnis von Städten. Fünf Zukunftsszenarien.

„Wir lernen derzeit im Zeitraffer, wie wir neue digitale Formate einsetzen können“, sagt Dieter Rombach, Chief Digital Officer der Stadt Kaiserslautern. Seien es die Einführung von HomeOffice-Lösungen, die Zusammenarbeit in einer Cloud, die tägliche Videokonferenz oder das Konzert, das via Livestream übertragen wird – die Coronakrise sorgt für gravierende Einschnitte in die Lebenspraxis und verleiht der Digitalisierung gleichzeitig einen gewaltigen Schub. In rasantem Tempo setzen nicht nur Kommunen plötzlich neue digitale Lösungen um. In der vergangenen Woche diskutierte die OBM-Zeitung dieses Phänomen in einem Webinar mit renommierten Experten. Neben Rombach nahmen daran David da Torre, Geschäftsführer der Digitalstadt Darmstadt GmbH, sowie die Rechtsexperten und Berater Nicolas Sonder und Thomas Hammer von PwC Legal teil. Auf Grundlage dieser Diskussion wagt die OBM-Redaktion einen Blick in die Zukunft der Smart City und hat fünf mögliche Entwicklungslinien für die Stadt von Morgen identifiziert.

1. Städte entwickeln sich strukturiert zur Smart City

Städte, die ihre Digitalisierung strukturiert vorantreiben, haben in der Coronakrise einen Vorsprung gegenüber denen, die dies bislang nicht oder nur ansatzweise getan haben. Denn die vorhandene Struktur macht sie agiler – sowohl, was den raschen Einsatz neuer digitaler Lösungen als Antwort auf die Krise betrifft, als auch, was die Zusammenarbeit von verschiedenen Verwaltungsressorts angeht. Denn meist agieren die Digitalisierungseinheiten in Verwaltungen im Querschnitt unterschiedlicher Fachbereiche. Das heißt, sie wirken vernetzend. Die gegenseitige Abstimmung findet in geübten Prozessen statt – diese kooperative Haltung begünstigt ein koordiniertes Handeln in Extremsituationen wie der Coronakrise. Die Umsetzung einer fachbereichsübergreifenden Digitalisierungsstrategie macht Städte also in vielerlei Hinsicht agiler und robuster. Diese Erkenntnis führt dazu, dass Städte ihre Entwicklung zur Smart City in Zukunft weiter forcieren.

2. Kommunen werden Vorreiter für digitale Arbeitsmodelle

Die Coronakrise und der Shutdown auch von Verwaltungseinheiten löst für viele Bereiche die Notwendigkeit aus, Alternativen zu finden. Dies betrifft vor allem die Arbeitswelten. HomeOffice- und Cloudlösungen sind angesichts der Kontaktverbote plötzlich genauso selbstverständlich wie Videokonferenzen. Diese in der Krise gemachten Erfahrungen werden zukünftig Arbeitsmodelle flexibilisieren. Dies gilt auch und vor allem für Kommunen und deren Tochtergesellschaften wie Stadtwerke, die in der Krise zum Erhalt der öffentlichen Daseinsvorsorge geradezu dazu gezwungen sind, flexibel und digital zu agieren. Zugleich sind Kommunen als Teil der öffentlichen Hand besonders gefordert, hohe Ansprüche etwa an des Datenschutzes vorbildlich walten zu lassen. In dieser Drucksituation können Städte nach der Krise ihre Vorreiterrolle, was den Einzug digitaler Lösungen in die Arbeitswelten betrifft, weiter ausbauen und im Ringen um Fachkräfte die gemachten Erfahrungen in Bezug auf flexible Arbeitsmodelle in die Waagschale werfen.

3. In Städten löst sich der Widerspruch zwischen Lokalem und Digitalem

Das Internet als globales Netzwerk kennt keine nationalen Grenzen und erst recht keine regionalen. Die Coronakrise zeigt aber zugleich einen verstärkten Trend zu regional spezifischen Plattformen und Webservices, oft getrieben von Städten. Das betrifft etwa den Kulturlivestream in Kaiserslautern, mit dem lokalen Kulturschaffenden ein Forum und den Bürgern der Zugang zu Kultur geboten wird. Das gilt auch für das „Digitale Schaufenster“ in Darmstadt, das es dem regionalen Einzelhandel und der Gastronomie erlauben soll, ihre Angebote darzustellen. Diese Beispiele zeigen, wie das Digitale die lokale Lebenswelt durchdringt und wie diese dadurch wiederum im Netz stärker sichtbar wird – zwar weltweit abrufbar, aber mit klar regionaler Ausrichtung. So löst sich der Widerspruch zwischen dem Lokalen und der globalen digitalen Welt zusehends auf. Städte schaffen nicht zuletzt bedingt durch die Coronakrise verstärkt solche Plattformen. Die klassische Stadtentwicklung in der realen Welt findet damit ein Pendant in der digitalen.

4. Die Kooperation von Regionen nimmt zu

Städte, die digitale Vorreiter sind, profitieren in der Coronakrise vom Wissensvorsprung gegenüber anderen. Sie sind agiler bei der Anwendung digitaler Lösungen, mit denen sie auf die Auswirkungen, die die Coronakrise mit sich bringt, reagieren können. Der Nutzen der Digitalisierung wird offensichtlich. Es kann durchaus auch als eine Frage der Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen erscheinen, wie weit Städte in Sachen Digitalisierung fortgeschritten sind. Umso mehr werden Städte, die noch hintanstehen, nun digitale Lösungen für ihre Verwaltungen anstreben. Doch nicht jede Kommune in der Fläche verfügt über die Kapazitäten, rasch eine eigene Infrastruktur für die Digitalisierung aufzubauen. Und nicht jede Stadt wird eigene Lösungen neu für sich erfinden müssen, die in anderen Städten bereits vorhanden sind. Dies wird den interkommunalen Austausch bezüglich innovativer Smart-City-Anwendungen befördern. Solche Kooperationen werden nicht nur die Digitalisierung aus den urbanen Zentren in die Fläche bringen, sondern auch für Stadt-Umland-Beziehungen sowie überregionale Kooperationsstrukturen neue Fundamente legen.

5. Die Relevanz von Städten sowie ihre Handlungsgrenzen wachsen gleichzeitig

Wie schon bei der Flüchtlingskrise zeigt die Coronakrise die hohe Relevanz der Kommunen im Verhältnis von Stadt, Land und Bund auf der operativen Ebene. Die Städte sind Problemlöser vor Ort. Dass sie es sind, die gerade in Krisenzeiten die Maßnahmen des Bundes umsetzen und modellhaft lokale Erfahrungsschätze aufbauen, stärkt ihre Rolle im föderalen System. Insofern wird die Coronakrise den Anliegen der Kommunen im Dreiklang „Stadt, Land, Bund“ mehr Gehör verschaffen – auch gegenüber dem Bund. Andererseits offenbart gerade die Krise Defizite des Systems, die in der föderalen Vielgestaltigkeit begründet sind. Einerseits werden die Anliegen der Städte also an Gewicht gewinnen. Gleichzeitig werden die Städte aber auch dazu angehalten sein, sich in gemeinsamen Positionen zu verorten.

Mehr Infos zum Thema im Webinar

Das Webinar „Wie Städte mit digitalen Lösungen dem Coronavirus begegnen – und worauf es bei der Digitalisierung nach der Krise ankommt“ ist hier abrufbar. Es wurde veranstaltet von den Fachzeitschriften „OBM – Zeitung für Oberbürgermeister/innen“ und „Der Neue Kämmerer“ sowie PwC Legal. Ein Interview mit Nicolas Sonder ist hier zu finden.

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