Die OBM-Zeitung fragt die Bundesregierung, was sich die Städte für ihre Zukunft von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft erwarten können.

Mehr Klimaschutz, eine griffige Digitalstrategie für Europa und Klarheit bezüglich inner- und außereuropäischer Grenzfragen: Die deutschen Städte haben mannigfaltige Anliegen an die europäische Spitzenpolitik und an die bis zum Jahreswechsel andauernde deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Beim EU-Ratsgipfel in Brüssel wurden zuletzt umfangreiche Hilfsmaßnahmen gegen die Coronakrise vereinbart. Doch die europapolitische Agenda der deutschen Städte ist noch größer. Die OBM-Zeitung fragt bei der Bundesregierung nach, womit die deutschen Städte in der Zeit ihrer Ratspräsidentschaft rechnen können. Hier sind die Antworten aus den jeweils zuständigen Ministerien.

1. Digitalisierung in Europa: „Berlin Declaration“ mit Grundwerten

Die Digitalisierung ist ein zentrales Thema öffentlicher Stellen, auch der Kommunen, Stichwort Smart City. Welche Weichenstellungen sind während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu erwarten, was die Digitalisierung betrifft?

Im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft möchte die Bundesregierung den digitalen Transformationsprozess in Europa voranbringen. Dies soll „auf Basis demokratischer Grundwerte und ethischer Prinzipien“ geschehen, wie das Innenministerium mitteilt. Gleichzeitig gelte es, sowohl die Zivilgesellschaft einzubeziehen als auch deren digitale Kompetenzen zu stärken. Weitere zentrale Aspekte für die Digitalisierung seien die Fragen nach digitaler Souveränität, nationaler und internationaler Interoperabilität, menschenzentrierter und gemeinwohlorientierter künstlicher Intelligenz sowie IT-Sicherheit. Auf Initiative des Innenministeriums werden diese Themen im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter Federführung Deutschlands in Form einer mitgliedstaatlichen Erklärung, der „Berlin Declaration“, verhandelt.

2. „Neue Leipzig Charta“ als Wegweiser: Resilienz der Städte stärken

Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird eine Neufassung der „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“, die 2007 bereits unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft verabschiedet wurde, erwartet. Mit welchen markanten Neuerungen ist zu rechnen?

Die „Neue Leipzig Charta“ versteht sich als „Rahmenwerk integrierter, resilienter und gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung“. Überarbeitet wurde sie „gemeinschaftlich in einem nationalen und europäischen Dialogprozess“, wie das Bundesinnenministerium mitteilt. Dabei schlagen sich Themen nieder, deren Bedeutung in den vergangenen Jahren zugenommen hat – wie der Klimawandel, die Digitalisierung oder die wachsende soziale Spaltung in Städten. Gleichzeitig liegt ein Fokus auf Resilienz: Die Charta ruft dazu auf, die Städte widerstandsfähiger zu machen, um für Krisen wie die Coronapandemie oder den Klimawandel besser gerüstet zu sein. „Zentrales Anliegen der Charta ist es, die Handlungsfähigkeit der Städte zu stärken, um mit diesen Herausforderungen umgehen zu können“, heißt es aus dem Innenministerium. Dazu gehörten institutionelle, rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen auf nationaler und europäischer Ebene, starke nationale Stadtentwicklungspolitiken sowie europäische Förderprogramme für integrierte Stadtentwicklung. Die Charta sei ein „Wegweiser zur Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen in der Stadtentwicklung“. Im „europäischen Schulterschluss“ entfalte sie eine „Leitfunktion und strategische Unterstützung“ für die Kommunen.

3. Migration und Flüchtlinge: „Zentrale Zukunftsfragen“

Städte, in denen die Folgen der Migration zu bewältigen sind, mahnen eine europäisch synchronisierte Flüchtlings- und Grenzpolitik an. Welche diesbezüglichen Akzente setzt die Bundesregierung angesichts der deutschen EU-Ratspräsidentschaft?

Das Innenministerium möchte im Zeitraum der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der Migrationsdebatte Impulse für neue Lösungsansätze geben. „Die Steuerung der Migration und der Umgang mit Flüchtlingen sind zentrale Zukunftsfragen, für die die EU überzeugende Antworten finden muss“, teilt eine Ministeriumssprecherin mit. „Eine Neuausrichtung des gemeinsamen europäischen Asylsystems ist für das Innenministerium dabei essentiell.“ Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nehme der angekündigte Migrationspakt der Europäischen Kommission daher eine wesentliche Rolle ein. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die diesbezüglichen Vorschläge der Kommission spätestens im September vorliegen.

4. Kampf gegen Klimawandel: Was ist konkret zu erwarten?

Viele Städte streiten für Nachhaltigkeit, manche haben den „Klimanotstand“ ausgerufen. Von der EU fordern sie auch hinsichtlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein stärkeres Engagement für den Klimaschutz – auch mit kommunalem Bezug. Welche Akzente setzt die Bundesregierung dafür?

Das Bundesumweltministerium teilt auf Anfrage mit, dass es „die deutschen Kommunen mit einer Reihe an Förderprogrammen, um auf den Klimawandel zu reagieren und um insbesondere eine umwelt- und klimafreundliche Infrastruktur zu schaffen“, unterstütze. Dies gelte auch im Kontext von Coronahilfen. Konkret auf Maßnahmen oder Zielsetzungen im europapolitischen Zusammenhang geht es nicht ein.

5. Gegen die Spaltung: „Konferenz zur Zukunft Europas“

Ein Erstarken des Nationalismus in manchen Ländern sowie Spaltungstendenzen in Europa bewegen die OBM besonders, da diese Trends auch in den Stadtgesellschaften vor Ort destabilisierend wirken. Wie lässt sich Europa stärken?

Gerade das Engagement in der Coronakrise dokumentiere eine Tatkraft und Handlungsfähigkeit auf europäischer Ebene. „Damit nehmen wir auch den Nationalisten und Spaltern den Wind aus den Segeln, die behaupten, unsere Zukunft liege nicht in Europa, sondern im Kleinklein der Nationalstaaten“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Dennoch gebe es durchaus noch Defizite beim Thema Bürgernähe und bei der Darstellung der Vorteile europäischer Lösungen. Daher habe Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, angekündigt, eine „Konferenz zur Zukunft Europas“ zu initiieren. In diesem Format sollen europaweit die Bürger Wünsche und Vorschläge für Europa einbringen können. Diese Eingaben sollen sich konkret in Entscheidungsprozessen in Brüssel und in den Mitgliedsstaaten wiederfinden. „Nur wenn die EU-Politik einen spürbaren Mehrwert auch auf lokaler und regionaler Ebene schafft, kann sie die Menschen auf Dauer überzeugen.“

6. Städtediplomatie: Kommunale Ebene als Treiber für Nachhaltigkeit

Kommunen zeigen Flagge für Europa: hier Pforzheim zum Europatag 2020. (Quelle: Stadt Pforzheim)

Kommunen zeigen Flagge für Europa: hier Pforzheim zum Europatag 2020. (Quelle: Stadt Pforzheim)

Einige Städte regen an, Städteverbindungen zu stärken und eine solche „Städtediplomatie“ auch aus Sicht der internationalen Politik stärker zu nutzen, um Kommunikationskanäle und Plattformen des praktischen Erfahrungsaustauschs zu fördern. Gibt es dafür aus EU-Sicht konkrete Konzepte?

Unter dem Motto „Gemeinsam für die Agenda 2030. Kommunen als Vorreiter einer globalen nachhaltigen Entwicklung“ findet im November 2020 im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Berlin eine internationale Fachkonferenz statt. Sie ordnet sich ein in das vielfältige Engagement des Projekts „Global nachhaltige Kommune“. Das Projekt „Global nachhaltige Kommune“ stärkt die kommunale Ebene als Treiber für Nachhaltigkeit. Unter anderem vernetzt es europäische und nichteuropäische Städte miteinander. Internationale Fachkonferenzen mit Kommunen wie die im November sollen eine Austauschplattform zur Umsetzung der Agenda 2030 schaffen. Im Fokus stehen die 17 Sustainable Development Goals, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, und dabei besonders das elfte Ziel nachhaltiger Städte und Siedlungen. Über die Veranstaltung von Fachkonferenzen hinaus unterstützt das Projekt „Global nachhaltige Kommune“ deutsche Kommunen grundsätzlich dabei, sich für eine globale nachhaltige Entwicklung einzusetzen und eigene Nachhaltigkeitsstrategien vor Ort umzusetzen. Es wird von der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderten zentralen Servicestelle für kommunales entwicklungspolitisches Engagement organisiert, der „Servicestelle Kommunen in der Einen Welt“ von „Engagement Global“. Das BMZ verweist darauf, dass das Projekt „Global nachhaltige Kommune“ im EU-Papier „Towards a Sustainable Europa by 2030“ vom Januar 2019, das Nachhaltigkeitsprojekte reflektiert, als ein positives Beispiel für die Umsetzung des elften globalen Nachhaltigkeitsziels genannt werde. Mittlerweile gebe es sogar internationale Anfragen, etwa aus Österreich, den Niederlanden und Italien, das Projekt – angepasst an die nationalen Gegebenheiten – in den eigenen Ländern durchzuführen. Darüber hinaus unterstütze die EU mit der 2018 eingeführten Finanzierungslinie „Partnership for sustainable cities“ auch finanziell den Austausch zwischen Städten.

7. Grenzkontrollen in Coronakrise: „Schmerzliche Einschränkungen“

Während der Coronakrise wurden innerhalb Europas wieder Grenzen gezogen. Insbesondere in Grenzregionen führte dies zu Belastungen, und es entstand der Eindruck, dass die Situation dem Gedanken eines geeinten Europas zuwiderliefe. Was tut die Bundesregierung im Sinne der europäischen Integration, um solche Situationen zukünftig zu vermeiden?

Das Innenministerium räumt ein, dass die Grenzkontrollen teilweise zu „schmerzlichen Einschränkungen und Beschwernissen geführt haben“. Sie seien zur „Durchbrechung von Infektionsketten jedoch dringend erforderlich“ gewesen. Im Augenblick seien temporäre Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der EU aber kein „Gegenstand der Überlegungen“ mehr. Demgegenüber stünden die Vorkehrungen für Reisende aus Risikogebieten im Fokus der Erörterung mit den Ländern. Eine Sprecherin des Innenministeriums legt Wert auf die Betonung, dass es ein „wichtiges Anliegen“ des Ministeriums sei, „die zentralen Errungenschaften der Europäischen Union und die guten und vertrauensvollen Beziehungen zu den Nachbarstaaten zu erhalten“. Ziel sei, gemeinsam mit den Ländern den Infektionsschutz zu gewährleisten und diesen mit der grenzüberschreitenden, europäischen Zusammenarbeit „bestmöglich in Einklang zu bringen“.

Oberbürgermeister zur Deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Hier spricht OBM Dirk Hilbert aus Dresden.

Hier spricht OBM Dominik Sauerteig aus Coburg.

Hier spricht OBM Manuel Just aus Weinheim.

Hier spricht OBM Michael Ebling aus Mainz.

Hier spricht OBM Ashok Sridharan aus Bonn.

Hier spricht OBM Toni Vetrano aus Kehl.

Hier spricht OBM Octavian Ursu aus Görlitz.

Hier spricht OBM Peter Kurz aus Mannheim.

Hier resümiert Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, den Ausgang des EU-Ratsgipfels.

Hier gibt es einen Beitrag zum „Zehn-Punkte-Papier“ des Deutschen Städtetags bezüglich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Hier geht es zur Themenseite „Deutsche EU-Ratspräsidentschaft“.

FOTOS Wie Städte Flagge zeigen für Europa: Das Foto oben zeigt den Start in die Europawoche 2019 in Augsburg. Mit dem Europatag im Mai startete die Stadt in ein vielfältiges Eventprogramm. Gleichzeitig veranstaltete das Augsburger Europabüro eine Kampagne zur Europawahl. Auch in diesem Jahr setzten viele Städte zum Europatag am 9. Mai ein Zeichen für die europäische Integration. Sogar entgegen den Kontaktbeschränkungen der Coronakrise: Beispielsweise sangen die Menschen in der Europastadt Karlsruhe die Europahymne von ihren Balkonen und aus Fenstern. In Pforzheim (Foto Mitte) fand ein digitales Programm zur Europawoche 2020 statt.

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