Über die gemeinsamen Perspektiven und die Unterschiede bei der Digitalisierung von Stadt und Land: Landrat Berek, OBM Weigel und OBM Pötzsch im Interview.

Das Fichtelgebirge wird smart: Unter den 13 Modellregionen, die in der ersten Staffel des Bundesförderprogramms „Smart Cities made in Germany“ mit ihrem Konzept Berücksichtigung finden, ist Wunsiedel im Fichtelgebirge der einzige Landkreis. Ohnehin setzt der bayerische Landkreis auf Digitalisierung, und die Teilnahme am Förderprogramm gibt dem Projekt „Smartes Fichtelgebirge“ einen zusätzlichen Schub. Die gesamte Kreisentwicklung steht nun im Zeichen der Digitalisierung. Wie die interkommunale Kooperation innerhalb des Landkreises läuft und worin die Unterschiede der Digitalisierung zwischen ländlichen Räumen und urbanen Metropolen liegen, erklären Peter Berek, Ulrich Pötzsch und Oliver Weigel im OBM-Interview. Berek ist Landrat von Wunsiedel, Pötzsch ist Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Selb, und Weigel ist Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Marktredwitz.

Unterschiede bei der Digitalisierung im ländlichen und urbanen Raum

OBM: Herr Berek, Herr Pötzsch, Herr Weigel, Wunsiedel im Fichtelgebirge ist im Bundesprogramm „Smart Cities made in Germany“ gegenüber urbanen Räumen und Städten der einzige Landkreis. Wo sehen Sie die Unterschiede zwischen ländlichen Räumen und der Smart City in Metropolen, was die Rahmenbedingungen für die Digitalisierung betrifft?

Peter Berek: Ein großer Unterschied liegt darin, dass in den urbanen Zentren vieles unpersönlicher zugeht. In den ländlichen Räumen kennt man sich eher. Es liegt auf der Hand: Damit einhergehen Unterschiede im Städtebau, in der Siedlungs-, Versorgungsstruktur oder im Bereich der Mobilität. Diese schaffen unterschiedliche Anforderungen an die Digitalisierung. Ein Beispiel: Im Landkreis Wunsiedel suchen wir nicht händeringend nach digitalen Lösungen zur Verkehrssteuerung, für intelligente Ampelschaltungen oder zur Leitung von Verkehrsflüssen, um Stau- und Smogpotentiale zu entschärfen. Wir haben ganz andere Probleme zu lösen. Stattdessen suchen wir im Digitalen eher nach Lösungen, um Distanzen zu überwinden. Wie können wir digitale Anwendungen einsetzen, um die Grundversorgung der Menschen im ländlichen Raum sicherzustellen, Stichwort Telemedizin? Das sind Fragen, die uns betreffen.

Oliver Weigel: Sowohl in den Metropolen als auch in den ländlichen Räumen gibt es das selbe Bedürfnis nach digitaler Infrastruktur. Unterschiede liegen allerdings in den Notwendigkeiten, wofür diese eingesetzt wird. Im ländlichen Raum spielen Distanzen eine wichtige Rolle. Dabei geht es nicht nur darum, die Distanzen mit digitalen Anwendungen zu überbrücken, sondern auch darum, überhaupt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dies gelingen kann. Ich denke an eine lückenlose Breitbandversorgung mit höhen Übertragungsgeschwindigkeiten oder an eine Mobilfunkabdeckung, die auch peripher gelegene Ortsteile erreicht.

Die Problemstellung, Distanzen digital zu überwinden

Ulrich Pötzsch: Auch hierin spiegelt sich das Thema „Distanzen“ wider: In ländlichen Räumen müssen Kommunikationsanbieter über längere Strecken ihren Kunden das gleiche digitale Infrastrukturangebot unterbreiten wie sie es in der Großstadt tun – in dem Wissen, dass es hier aufgrund der geringeren Bevölkerungsdichte möglicherweise schwerer ist, so viele Abnehmer finden wie in der Metropole. Doch gerade in den ländlichen Gebieten liegen noch Raumpotentiale, beispielsweise für Gründer oder Jungunternehmer. Die infrastrukturelle Erschließung kann dazu beitragen, diese Potentiale zu heben und die Region noch attraktiver für Ansiedlungen zu machen.

OBM: Die digitale Infrastruktur wird also einerseits zu einem Wirtschaftsfaktor, um für Unternehmen die Vorzüge des ländlichen Standorts mit der digitalen Anbindung an die Zentren zu verbinden? Und andererseits kann sie, indem sie den ländlichen Standort attraktiviert, auch den Wachstumsdruck in urbanen Zentren entschärfen?

Peter Berek: Durchaus. Aus Sicht des Landkreises möchte ich zwei Beispiele anfügen, was die Problemstellung, Distanzen zu überwinden, im Zusammenhang mit der Digitalisierung betrifft. Mit digitalen Lösungen könnten sich beispielsweise die Bedarfe an Mobilität bündeln und dadurch entsprechende Dienstleistungen wirtschaftlich realisieren lassen – etwa bei der Frage, wie Lehrlinge ohne Führerschein zu ihren Ausbildungstrieben gelangen. Zweitens zeigt gerade die Coronakrise die unglaublich vielfältigen Möglichkeiten, die digitale Arbeitswelten bieten. Das mobile und dezentrale Arbeiten ermöglicht es uns als Verwaltung, aber auch den Betrieben im Landkreis, Mitarbeiter über weitere Distanzen hinweg zu rekrutieren. Arbeitsmodelle lassen sich so flexibel zwischen Pendeln und Homeoffice gestalten. Das funktioniert aber nur, wenn wir dazu bereit sind, neue, digitale Wege zu gehen. Und, um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Infrastruktur ist natürlich die Voraussetzung dafür. Diese zu schaffen, geht nur gemeinsam.

Kirchturmdenken als Stärke der Region

Nutzt die Digitalisierung zur Kreisentwicklung: Landrat Peter Berek. (Quelle: Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge)

Nutzt die Digitalisierung zur Kreisentwicklung: Landrat Peter Berek. (Quelle: Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge)

OBM: Aber steht der gemeinsamen Herausforderung nicht bisweilen das Kirchturmdenken in einzelnen Kommunen im Weg?

Peter Berek: Ich möchte den Begriff Kirchturmdenken neu definieren und umkehren: Bei uns ist es gerade entscheidend, dass jeder um seinen Kirchturm herum denkt und auf seine Nachbarn schaut. Dass wir uns als Lokalpolitiker im ländlichen Raum vor Ort kümmern, ist gerade eine Stärke unserer Region. Hier lebt man seine Stadt und Gemeinde. Gleichzeitig lebt man die interkommunale Zusammenarbeit mit den Nachbarn im Landkreis längst an vielen Stellen. Diese wollen wir nun weiterknüpfen um das Thema Digitalisierung. Am Ende kommt es darauf an, dass wir die Dinge mit einem Mehrwert für die Bürger optimieren. Darin liegt die große Chance der Digitalisierung, und diese wird von allen Kommunen erkannt.

Oliver Weigel: Dies gilt nicht nur für das Verhältnis zwischen dem Landkreis und den Gemeinden, sondern auch für das der Gemeinden untereinander. Ein Beispiel aus der Praxis: Die Stadt Marktredwitz übernimmt Aufgaben des Standesamtes für einige andere, benachbarte Kommunen im Landkreis. Im Zuge der Digitalisierung lassen sich in dieser bereits bestehenden interkommunalen Zusammenarbeit die Arbeitsabläufe effizienter gestalten. Daraus ergeben Vorteile für die Bürger.

Ulrich Pötzsch: Ohne Digitalisierung keine Zukunft für Kommunen. Diese Aussage gilt sowohl für urbane als auch für ländliche Räume. Damit hängt interkommunale Kooperation zusammen. Vor allem für den ländlichen Raum gilt, dass die Umsetzung der Digitalisierung nur miteinander geht.

OBM: Apropos interkommunale Kooperation: Der Landkreis ist Teil der Metropolregion Nürnberg. Gibt es in diesem Kontext, gerade mit Blick auf Ihre Rolle als einziger Landkreis in der ersten Phase des Bundesförderprogramms, ein besonderes Zusammenspiel bei der Digitalisierung? Wie sehr finden die digitalen Anstrengungen des Landkreises eine Beachtung in der Metropolregion?

Peter Berek: Die Metropolregion Nürnberg schaut schon auf uns und tut dies künftig sicher noch genauer. Denn natürlich hat ein Ballungsraum ein hohes Interesse daran, die peripher gelegenen Räume zu erreichen und an sich zu binden. Das kann mit digitalen Lösungen noch besser gelingen. Was wir als ländlicher Räum für die Metropolregion Nürnberg leisten, findet sich etwa in den Bereichen Naherholung und Tourismus. Aber auch im Bereich Wirtschaft: Wir beheimaten einige Unternehmen mit starken Verbindungen in die Metropole.

Digitalisierung gelingt nur miteinander

„Ohne Digitalisierung keine Zukunft für Kommunen“, sagt OBM Ulrich Pötzsch aus Selb (Quelle: Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge/Florian Miedl)

„Ohne Digitalisierung keine Zukunft für Kommunen“, sagt OBM Ulrich Pötzsch aus Selb (Quelle: Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge/Florian Miedl)

OBM: Beim Digitalisierungsprojekt „Smartes Fichtelgebirge“ wollen Sie die Bürger und alle Kommunen – die Städte und Gemeinden – des Landkreises mitnehmen. Wie ist denn die Aufgabenteilung zwischen Landkreis und Kommunen?

Peter Berek: Der Landkreis steht ja nicht über den Städten und Gemeinden, sondern nimmt andere Aufgaben wahr. Er versteht sich wie sie als eine Kommune in der Partnerschaft. Die Aufgabenverteilung ist so, dass wir Themenfelder definieren. Jedes wird durch einen politischen Sprecher – den Landrat, einen Oberbürgermeister oder einen Bürgermeister – besetzt. Auf diese Weise genießen das Gesamtprojekt und die einzelnen Themen auch in den jeweiligen politischen Zirkeln eine hohe politische Priorität und Verankerung.

OBM: Welche Perspektiven ergeben sich aus der Digitalisierungskooperation mit dem Landkreis denn für die Städte?

Oliver Weigel: Sie gelingt nur miteinander. Das Landratsamt übernimmt dafür eine Bündelungsfunktion, etwa bei der Antragsstellung für 17 Städte und Gemeinden. Wichtig ist die Einigkeit nicht nur der Oberbürgermeister, der Bürgermeister, des Landrats und der Verwaltungen, sondern auch die deutliche Überzeugung in den politischen Gremien wie dem Kreistag, der einstimmig für die Projekt votierte. Auf dieser breiten Basis erhoffen wir uns nicht nur, dass wir die Digitalisierung in unseren Städten und Gemeinden voranbringen, sondern dass unser Pilotprojekt auch für andere in Deutschland vorbildlich sein kann.

Peter Berek: Das erfahren wir auch in der Rückkopplung mit unserem Partner Telekom, der über einen unheimlich großen Erfahrungsschatz bei der Digitalisierung von Städten verfügt. Ich glaube, für die digitale Profilierung kleinteiliger Regionen können wir zusätzliche Pionierarbeit leisten.

Nötig: Unterstützung vom Bund, Infrastrukturausbau, Flexibilität

„Unser Pilotprojekt kann auch für andere Kommunen in Deutschland vorbildlich sein“, sagt OBM Oliver Weigel aus Marktredwitz. (Quelle: Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge)

„Unser Pilotprojekt kann auch für andere Kommunen in Deutschland vorbildlich sein“, sagt OBM Oliver Weigel aus Marktredwitz. (Quelle: Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge)

OBM: Wo drückt Ihnen denn der Schuh in Sachen Digitalisierung, und welche Forderungen zum Beispiel an den Bund lassen sich davon ableiten?

Oliver Weigel: Aus Sicht der Städte und gerade für kleinere Dörfer und Gemeinden ist es unabdingbar, dass die Menschen Zugang zu schnellem Internet haben. Dieser Aufgabe stellen wir uns mit Nachdruck.

Ulrich Pötzsch: Ich wünsche mir vom Bund eine geringere Bürokratie in Förderkulissen und eine höhere finanzielle Unterstützung bei Investitionen in die Digitalisierung. Erstens bedeutet die Teilnahme an Förderprogrammen für einzelne Kommunen oftmals einen sehr hohen Aufwand. Hier ist meine Anregung, die Verfahren schlanker zu gestalten. Zweitens ist der kommunale Anteil an Bundesförderungen oft nicht zu unterschätzen und kann einzelne Kommunen, deren Projekte eigentlich förderungswürdig wären, vor finanzielle Herausforderungen stellen. Davon sind wir im Landkreis Wunsiedel, an dem noch immer aus der Vergangenheit resultierende Konsolidierungsanstrengungen haften, grundsätzlich nicht ausgenommen.

Peter Berek: Ich möchte dazu ergänzen, was wir beim Förderprogramm „Smart Cities made in Germany“ etwas Befreiendes erleben – nämlich, dass wir auch die Freiheit haben, auszuprobieren und zu experimentieren. Das führt gerade bei einem Entwicklungsthema wie der Digitalisierung zu Progression. Solche Freiheiten zuzulassen, sollte in Förderprogrammen eine stärkere Berücksichtigung finden.

Das Projekt „Smartes Fichtelgebirge“

Das Projekt „Smartes Fichtelgebirge“ ist Teil des Bundesförderprogramms „Smart Cities made in Germany“. Das Bundesprogramm ist ausgestattet mit 750 Millionen Euro für rund 50 Modellprojekte in vier Projektstaffeln. In der ersten Phase ist Wunsiedel im Fichtelgebirge mit seinem Konzept unter 13 Modellregionen der einzige Landkreis. Für seine Digitalisierungsprojekte steht dem Kreis im Rahmen der Förderung ein Budget in Höhe von 15 Millionen Euro zur Verfügung. Die Förderquote beträgt 90 Prozent. Die Projektzeit erstreckt sich auf eine zweijährige Strategie- und eine fünfjährige Umsetzungsphase.

Dafür möchte der Landkreis mit seinen Städten und Gemeinden die Leitlinien eines Kreisentwicklungskonzepts im Zeichen der Digitalisierung erarbeiten. So ist das Digitalisierungsvorhaben allen strategisch wichtigen Handlungsfeldern der Kommune – vom Ehrenamt über Wirtschaftsförderung, Energie und Klimaschutz bis hin zu Sozialem, Tourismus und Kultur – immanent. Basis dafür ist eine breite Beteiligung der Stadtgesellschaft, die die „Bürger als Stakeholder“ versteht und die deren Bedarfe und Lösungsideen ermitteln soll. Die Partizipation läuft auch über digitale Plattformen.

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