Die Stadt Dortmund möchte in ihrer Verwaltung pionierhaft verstärkt Freie Software einsetzen. Um dies vorzubereiten, arbeitet sie mit der Initiative Do-FOSS zusammen. Darüber spricht OBM mit Do-FOSS-Geschäftsführer Christian Nähle.
OBM: Herr Nähle, Do-FOSS analysiert gemeinsam mit der Stadt Dortmund, ob, wo und wie die Stadt verstärkt Freie Software einsetzen kann. Warum? Welches sind die Vorteile von Freier Software für Kommunen?
Christian Nähle: Im Grunde geht es zunächst um die Reduzierung der Abhängigkeit von einem einzigen Hersteller. Und es geht damit um die digitale Souveränität der Bürger. Beispielsweise zielt das Egovernmentgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen darauf ab, dass öffentliche Stellen offene und standardisierte Dateiformate nutzen. Die Bürger sollen in der Lage sein, um amtliche Dokumente lesen zu können, die Endgeräte und die Software ihrer Wahl einzusetzen. Diese Wahlfreiheit ist aber nicht gegeben, wenn ein Dateiformat genutzt wird, das sich nur mit einem Programm eines bestimmten Herstellers wie gedacht öffnen lässt.
„Daten sind ein hohes Gut“

Arbeitet mit der Stadt Dortmund am Einsatz von Freier Software in der Verwaltung: Christian Nähle von Do-FOSS. (Quelle: privat)
OBM: Was zeichnet Freie Software denn aus?
Christian Nähle: Wesentlich für Freie Software ist, dass der Quellcode bekannt ist. Denn nur wer den Quellcode eines Programmes einsehen kann, hat die Möglichkeit, die Funktionsweise dieses Programmes zu verstehen. Nur die Software, deren Quellcode frei ist, also deren Funktionsweise transparent und nachvollziehbar ist, wird den hohen Ansprüchen an das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gerecht. Die Snowden-Enthüllungen zeigen, wie real die Gefahr ist, dass Software nicht nur das tut, „was sie soll“, sondern auch dazu beiträgt, einen gläsernen Bürger zu erzeugen. Gerade in der digitalen Zeit sind Daten ein hohes Gut, und Datensouveränität beziehungsweise digitale Souveränität lassen sich nur gewährleisten, wenn man den Quellcode der Programme, die man nutzt, kennt. Öffentliche Stellen sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen.
OBM: Spielt der Aspekt der Kosteneinsparung beim Einsatz von Freier Software eine Rolle?
Christian Nähle: Wir haben unser Vorgehen von finanziellen Abwägungen gelöst. Natürlich wird ein Umbruch immer mit einer Investition verbunden sein. Doch wir gehen davon aus, dass sich diese für den Einsatz Freier Software in überschaubarer Zeit amortisiert. Konkret sagen können wir dies aber nicht. Denn ein Problem, das wir in der öffentlichen Debatte haben, ist, dass Lizenzgebühren für Software kaum diskutiert werden können. Das hängt damit zusammen, dass darüber wegen Betriebsgeheimnissen nur in nichtöffentlichen Ratssitzungen entschieden wird.
„Die technische Entwicklung ist rasanter als die Debatte darüber“
OBM: Was spricht denn dagegen, Freie Software einzusetzen? Zum Beispiel ein höherer Aufwand bei deren Implementierung und an den Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Anwendungen?
Christian Nähle: Eine fertige Lösung am Markt einzukaufen, diese eventuell zu konfigurieren und zu verwalten, ist immer der einfachere Weg. Und dieser Weg kann funktionieren. Die Frage ist aber zuerst, in welchem Werterahmen wir uns bewegen. Bequemlichkeit ist aber kein Kriterium im Staatsaufbau oder im öffentlichen Dienst. Über die Jahre hat sich die digitale Infrastruktur entwickelt, Dinge wurden vernetzt. Wir sehen, dass die technische Entwicklung an vielen Stellen rasanter voranschreitet als die gesellschaftliche Debatte darüber. Vieles ist gewachsen, und es ist nicht einfach, Bestehendes neu zu denken. Insofern ist es ein bemerkenswerter Schritt der Stadt Dortmund, sich mit Freier Software zu beschäftigen. Zunächst erfassen wir den Status Quo, was den kommunalen Softwareeinsatz betrifft, und werden dann sehen, welchen Weg die Stadt für ihre digitale Zukunft einschlagen möchte. Langfristig, vielleicht im interkommunalen Verbund, können sich neue Lösungen ergeben, für die wir jetzt von Dortmund aus eine Anstrengung unternehmen.
OBM: Sie sprechen die interkommunale Zusammenarbeit an. Welche Perspektiven ergeben sich hieraus für Freie Software?
Christian Nähle: Ich glaube, das Potential ist riesig. Angenommen, zwei benachbarte Städte brauchen eine Software zur Verwaltung eines Fachbereichs. Derzeit kaufen beide parallel ihre eigene Software – vielleicht unterschiedliche Lösungen, vielleicht sogar dieselben. Würden sie ihre Bedürfnisse aber miteinander verzahnen, vielleicht ein passgenaues, eigenes Programm dafür entwickeln, ließen sich Synergieeffekte davon ableiten. Zudem könnten sie im Zusammenschluss ihre Position gegenüber den Softwareherstellern stärken.
„Unsere eigenen Daten vor Ort schützen und kontrollieren“
OBM: Bislang beschäftigen sich relativ wenige Städte mit Freier Software. Die Stadt München stellte einmal darauf um, kehrte zuletzt aber zurück zu Microsoft. Wieso soll es Dortmund anders ergehen?
Christian Nähle: Es geht auch um eine Haltung. Unsere Bürgerinitiative kommt von demokratischen Idealen. Wir empfinden es als bedauerlich, dass München das Thema offenbar unter anderen Aspekten politisch für sich diskutiert hat. Doch die beschriebene Problematik wie die der Herstellerabhängigkeit bleibt dort weiterhin bestehen. Der Bürger kann nur souverän sein, wenn es auch der Staat ist. Und wir sehen eine Dominanz großer Softwareunternehmen, mit denen die Städte nicht auf Augenhöhe sind. Viele dieser Konzerne befinden sich in den USA. Zuletzt hat sich das transatlantische Verhältnis zur allgemeinen Überraschung verändert, und es stellt sich die Frage, ob wir in Deutschland und Europa dauerhaft technologisch an die USA gebunden sein wollen. Um einer gewissen Erpressbarkeit vorzubeugen, gilt es, dass wir unsere eigenen Daten vor Ort schützen und kontrollieren können. Das verstehen wir unter digitaler Souveränität. Die Lösung dafür kann technologisch nur aus dem Bereich der Freien Software kommen. Denn welcher Hersteller sonst könnte mit einem eigenen Produkt beispielsweise einen Branchenriesen wie Microsoft Office herausfordern?
OBM: Doch ist es nicht legitim, wenn ein Softwareunternehmen eine Software entwickelt, dass es deren „Geheimnis“ bestmöglich schützt? Warum sollte es eine Software entwickeln, wenn es letztlich nichts davon hat, weil diese frei ist?
Christian Nähle: Die monetäre Frage schränkt die Sichtweise ein. Beispielsweise basiert das ganze Internet auf öffentlichen Standards. Mit Geheimhaltung können keine Partnerschaften auf Augenhöhe entstehen – schon gar nicht zwischen Softwareunternehmen und Kommunen. Darüber müssen sich die Städte im Klaren sein. Letztlich stellt sich gemäß der Kampagne „Public Money, Public Code“ auch die Frage, warum mit Steuergeld finanzierte Software nicht als Freie Software verfügbar sein soll. Es gibt schließlich Geschäftsmodelle, die auf Quellcodes mit freier Lizenz basieren, beispielsweise durch Supportleistungen.
Do-FOSS
Do-FOSS steht für „Free and Open Source Software“. Das „Do“ bezieht sich dabei auf Dortmund. Die zivilgesellschaftliche Bürgerinitiative besteht aus rund zehn Aktivisten, die sich für die Verbreitung und den Einsatz von Freier Software einsetzen. Dabei sind sie nach eigenen Angaben mit verschiedenen Organisationen partnerschaftlich verbunden oder vernetzt, beispielsweise mit der Free Software Foundation Europe.