Wie sieht die Innenstadt von morgen aus? In der Diskussion um den Wandel städtischer Zentren liefert eine neue Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) einen Debattenbeitrag. Dabei beschreibt sie die Innenstadt als Nukleus urbaner Transformation. Ihre Perspektive läge darin, gesellschaftliche Progression zu antizipieren und diesbezüglich neuen Nutzungen Raum zu geben. Dies zeigt die Studie exemplarisch unter anderem an der Rolle, die Innenstädte zukünftig für den Umbau der Wirtschaft zu zirkulären Wertschöpfungsketten, der Circular Economy, spielen könnten. Die Studie mit dem Titel „Frischer Wind in die Innenstädte – Handlungsspielräume zur Transformation nutzen“ von Julia Diringer, Ricarda Pätzold, Jan Hendrik Trapp und Sandra Wagner-Endres ist als kostenloser Download auf der Difu-Webseite erhältlich.
Die „alltägliche Innenstadt“ als Zielbild
Die Wissenschaftler setzen auf dem gängigen Befund auf, dass Städte einer tiefgreifenden Umwälzung unterworfen sind. Diese hat durch die Coronakrise zusätzlich an Dynamik gewonnen. Während klassische Funktionen wie Handel oder Gastronomie in vielen Zentren an Bedeutung verlieren und somit Leerstände entstehen, befürchten Kommunen ein Ausbluten ihrer Innenstädte, ringen um deren Vitalität und suchen für sie nach neuen Nutzungen.
Die Studie plädiert dafür, dass sich Stadtgestalter vom tradierten Bild städtischer Zentren mit Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen, Altstadtkern und Gastronomiezeilen lösen. Es brauche ein neues Verständnis des Zentrums als Ort der Interaktion, des Arbeitens und Wohnens, der Kultur und der Freizeitgestaltung, von Produktion, Handwerk, Dienstleistung, Gesundheitswirtschaft und Bildung – kurz: des Lebens. Dafür schlagen die Wissenschaftler das Zielbild der „alltäglichen Innenstadt“ vor. Damit meinen sie einen Ort, der ganz selbstverständlich zentrale Funktionen bündelt und damit ein gesellschaftlicher Fixpunkt ist.
Die Innenstadt als Spielort des gesellschaftlichen Wandels
In diesem Sinn beschreiben sie die Innenstadt als ein verbindendes und identitätsstiftendes Element einer heterogenen Stadtgesellschaft. Darin liege auch ihre Zukunftsfähigkeit: Ein städtisches Zentrum sei keine überkommene Idee, sondern die räumliche Konzentration von Funktionen bleibe ein attraktives Konzept für urbanes Leben. Dabei gelte: So vielseitig und im Umbruch begriffen die Stadtgesellschaft ist, so ist es auch ihre Innenstadt.
Daher dürften Transformation und Wandel nicht als Bedrohung begriffen werden, sondern als Wesensmerkmal von Urbanität, meinen die Wissenschaftler. Die durchaus mit Umbrüchen versehene Entwicklung eines urbanen Zentrums sei eine fortwährende Gestaltungsaufgabe. Insofern sei gerade die Innenstadt dazu prädestiniert, der Spielort des sozialen, ökonomischen und ökologischen Wandels zu sein. An kaum einer anderen Stelle manifestiere sich gesellschaftliche Progression baulich, räumlich und sozial so markant wie im Zentrum einer Stadt.
Sechs Transformationsbausteine für die Innenstadt
Für die Gestaltung der Innenstadt identifizieren die Wissenschaftler diesem Gedanken folgend sechs sogenannte Transformationsbausteine oder Schwerpunkte, nämlich Klimaanpassung, Klimaschutz, Mobilitätswende, soziale Kohäsion, Gemeinwohlorientierung und zirkuläre Wirtschaft. Aus diesen Sektoren kämen nicht nur neue Anforderungen an die Stadtgestaltung – wie der Umbau des Verkehrssystems oder eine klimaneutrale Ausrichtung des Gebäudebestands und der Energieversorgung –, sondern diese Themen verliehen der Innenstadt auch neue Zukunftsperspektiven. Denn die Innenstadt könne mit ihren zentralen Funktionen als „Schaufenster der zukunftsorientierten Transformation“ begriffen werden, meinen die Wissenschaftler.
Circular Economy als Thema der Innenstadtentwicklung
Was sehr theoretisch daherkommt, lässt sich am Beispiel des Transformationsbausteins zirkuläre Wirtschaft, Circular Economy, veranschaulichen. Global besteht im Kontext der UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) ein Streben danach, das Wirtschaftssystem nachhaltiger zu gestalten. Dazu gehört der Umbau vom linearen Wirtschaftssystem, in dem der Ressourcenverbrauch mit dem ökonomischen Wachstum steigt, zu einem weitgehend zirkulären, in dem der Ressourcenverbrauch vom ökonomischen Wachstum entkoppelt ist, der sogenannten Kreislaufwirtschaft. Dieser Wandel des Wirtschaftssystems hat nicht zuletzt Effekte auf Handel und Gewerbe, auf Kommunen – und auf Innenstädte.
Während beispielsweise hergebrachte Modelle des Einzelhandels von Verkauf und Konsum angesichts des Onlinehandels zumindest in ihrer stationären Ausprägung an Relevanz verlieren, liegen Ladenkonzepte, die auf das Reparieren und Wiederverwenden, also den zirkulären Ansatz, setzen, im Trend. Dazu gehören etwa Second-Hand-Kleiderläden, sogenannte Repair Cafes oder die Weiterverwendung von Baustoffen.
Neue Nutzungen erproben und sichtbar machen
Gerade in verdichteten, urbanen Zentren finden sich Ziel- und Kundengruppen für entsprechende Konzepte. Die Innenstadt könne daher als Standort neuer Unternehmen, die sich dem Thema widmen, ihre bewährte Zentralität in die Waagschale werfen und so neue Nutzungen für sich gewinnen, skizzieren die Wissenschaftler in der Studie.
Auf diese Weise könne die Innenstadt zur Plattform werden, um modellhafte Lösungen für ökologische Herausforderungen im Sinne der zirkulären Wirtschaft zu erproben und sichtbar zu machen. In ihr ließe sich der Raum für neue Nutzungskonzepte mit den gesellschaftlichen Transformationsthemen verknüpfen.
Es braucht eine Debatte um das Bild der Innenstadt
Spiegelbildlich gelte dies auch für andere Sektoren und Transformationsaufgaben. Hier könnten die Innenstädte ebenfalls Vorreitern Raum geben, etwa in den Bereichen der Energieproduktion, der Mobilität oder der Klimaanpassung. Schlagworte wie Urban Mining (das Herausfiltern von Rohstoffen aus „verbrauchten“ Produkten), Urban Gardening (das Gärtnern in urban verdichteten Räumen) oder Urban Farming (urbane Landwirtschaft wie der Umbau ehemaliger Parkplätze zu Anbauflächen) zeigen die Mannigfaltigkeit neuer, mit der Transformation verbundener Möglichkeiten auf.
Den Kommunen bescheinigen die Difu-Wissenschaftler diesbezügliche „eine hohe Veränderungsbereitschaft“. Aktuelle Krisen sorgten zusätzlich für neue Handlungsnotwendigkeiten und begünstigten so als „Kipppunkte“ transformative Prozesse auch im Kontext der Innenstadtentwicklung. Gleichwohl entbinde dies nicht von der Notwendigkeit einer Debatte um das zukünftige Bild der City. Es brauche jeweils speziell vor Ort sowie grundsätzlich eine strategisch angelegte „Auseinandersetzung mit der Frage, welche Rolle eine zeitgenössische Innenstadt im Zusammenspiel mit den Stadt- und Ortsteilzentren ausfüllen kann und soll“.