„Die Energiekrise darf nicht zu einer Zerreißprobe für den gesellschaftlichen Zusammenhalt werden.“ In diesem Sinne fordert der Deutsche Städtetag von der Bundespolitik einen „Schulterschluss und eine klare Kommunikation“. Doch nicht nur die Bundesebene ist gefragt – in den Städten muss dieses Gebot ebenfalls gelten. Und die Gefahr, dass die sorgenvolle Stimmung mit populistischen Argumenten zusätzlich befeuert wird, kommt nicht nur von den politischen Rändern. Auch innerhalb des demokratischen Diskurses gilt es, sich ihrer zu erwehren. Dazu gehört, dass Politiker nicht mit unausgegorenen Vorschlägen vorpreschen und damit in der Bevölkerung möglicherweise nicht einlösbare Erwartungen wecken.
Feldmann kündigt Moratorium für Gas- und Stromsperren an
Dies scheint bei Peter Feldmann, dem Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, der Fall zu sein. In einer Pressemeldung vom 23. September kündigte er „für die kommende Sitzung des Magistrats einen entsprechenden Beschluss“ an, mit dem der kommunal geprägte Energieversorger Mainova dazu angehalten werden soll, angesichts der Energiekrise bis Ende März 2023 Strom- und Gassperren auszusetzen. „Niemand darf in Frankfurt am Main seine Wohnung aufgrund der gestiegenen Energiepreise nicht heizen können oder verlieren“, so der Oberbürgermeister und Mainova-Aufsichtsratsboss. Ein Moratorium für Strom- und Gassperren solle außerdem „den gestiegenen Nebenkosten sowie den gestiegenen Lebensmittelpreisen Rechnung tragen“, verkündete Feldmann in der städtischen Pressemeldung.
Offene Fragen: ein unausgegorener Schnellschuss?
Was wie eine soziale Wohltat daherkommt, irritiert allerdings bei genauerer Betrachtung und wirkt wie ein unausgegorener Schnellschuss. Denn ein konkretes Umsetzungskonzept für seinen Vorstoß, der offenbar selbst lokal relevante Akteure überraschte, liefert Feldmann nicht. Auf Nachfrage von #stadtvonmorgen teilt ein Sprecher des Oberbürgermeisters dazu heute lediglich mit, dass das Thema in „der Fragestunde der Stadtverordnetenversammlung am kommenden Donnerstag“ besprochen werde und es „der Respekt vor den Stadtverordneten“ gebiete, zunächst diesen eine Antwort zukommen zu lassen. Erst im Anschluss an die Fragestunde könne er daher der Presse Auskunft erteilen.
So sind knapp vier Wochen nach der vollmundigen Ankündigung eines Moratoriums grundlegende konzeptionelle Fragen noch immer offen. Darunter die, ob die Stadt dem Energieversorger Liquiditätsbrücken für die Zeit des Moratoriums baut und ob die Kommune gegebenenfalls Sicherheiten für Ausfälle bereitstellt – wenn ja, in welcher Höhe. Zwischenzeitlich tagte der Frankfurter Magistrat bereits zwei Mal. Zwar stand das Moratorium dort jeweils auf der Tagesordnung – doch selbst in den Sitzungen des Magistrats wurde darüber nach Informationen von #stadtvonmorgen bislang noch nicht eingehend beraten. Auf all dies antwortet der Sprecher des Oberbürgermeisters mit dem hinhaltenden Verweis auf die kommende Stadtverordnetenversammlung.
Es braucht Verbindlichkeit in der Krise
Umso mehr wachsen die Zweifel an Feldmanns Wortmeldung vom 23. September. Sei sie auch gut gemeint gewesen, droht sie nun dennoch in den Geruch zu geraten, dass der Oberbürgermeister sie mit Blick auf den Bürgerentscheid über seine Abwahl am 6. November getätigt haben könnte, um mit einem populären Vorschlag in einer für ihn selbst krisenhaften Lage Zustimmung zu seiner Politik zu ergattern. Manches spricht dafür. Auch eine Bitte um Stellungnahme zum in der Lokalpolitik kursierenden Vorwurf der „Stimmungsmache“ ist Teil der #stadtvonmorgen-Nachfrage, auf die der Sprecher des Oberbürgermeisters mit dem Hinweis auf die nächste Stadtverordnetenversammlung reagiert.
Wie auch immer, vorhalten lassen muss sich Feldmann zumindest, dass er seit seiner öffentlichen Verlautbarung im September bezüglich eines Moratoriums für Gas- und Stromsperren noch immer die wesentliche Frage, wie ein solches überhaupt ausgestaltet sein könnte, unbeantwortet lässt. Wer sich mit seiner Idee beschäftigt, tappt im Trüben. Vielleicht liefert die kommende Stadtverordnetenversammlung ja Erhellendes. Doch angesichts der teils existentiellen Sorgen über die hohen Energiepreise, die derzeit manchen umtreiben, beweist der Lokalpolitiker aus der Kanzlerpartei SPD hier mangelndes Fingerspitzengefühl. Eine verbindliche, belastbare und „klare Kommunikation“ in der Krise, wie sie der Städtetag einfordert, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in staatliche Instanzen zu erhalten, sieht anders aus.