„Deutschland hat ein massives Problem mit Hass und Gewalt“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier heute in Zwickau. Dort traf er Oberbürgermeisterin Pia Findeiß sowie zahlreiche Kommunalpolitiker zu der Diskussionsveranstaltung „Gemeinsam gegen Hass und Gewalt – Kommunalpolitiker nicht allein lassen“. Steinmeier rief zu einem gemeinsamen Engagement gegen Hass und Gewalt auf. Er wolle sich persönlich dafür einsetzen. Zuletzt hatten auch diverse OBM und Vertreter kommunaler Spitzenverbände wie der Leipziger OBM Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetags, über die bedrohliche Lage berichtet und Maßnahmen dagegen gefordert.
Der Besuch Steinmeiers in Zwickau kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem das Thema Hass und Hetze verstärkt auf die politische Agenda rückt. Steinmeier erinnerte unter anderem an das wohl rassistisch motivierte Attentat von Hanau. Die prekäre Lage zeige sich zwar kaum in den Kriminalstatistiken, offenbare sich aber „mit Vorfällen, die uns alarmieren müssen“, so Steinmeier.
Davon betroffen seien oft kommunale Amts- und Mandatsträger, die im Alltag „vor der eigenen Haustür, in der eigenen Bürgersprechstunde“ mit Hass, Hetze und teils auch Gewalt konfrontiert seien. Steinmeier: „Das Spektrum dabei reicht von Verunglimpfungen per E-Mail bis hin zu dem, was in die Hände des Verfassungsschutzes gehört. Die Angriffe sind mal ideologisch, mal einfach von rasender Wut getrieben. Und sie betreffen Vertreter aller Parteien, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, Menschen mit und ohne religiöse Überzeugung, Menschen im Osten wie im Westen unseres Landes.“
„Gefährliches Klima der Empörung und Enthemmung“
So unterschiedlich die Phänomene im Einzelnen seien – „sie gedeihen in demselben gefährlichen Klima, das die Rathäuser und Parlamente genauso wie die Schulhöfe und Internetforen erreicht hat“, so der Bundespräsident. Es sei „ein Klima der Empörung und Enthemmung, ein Klima der Herabsetzung und Hetze“. Das dürfe die Gesellschaft nicht länger hinnehmen. „Niemand darf mehr sagen: Das betrifft mich nicht.“
Dieses Klima bedrohe das Wesen der Demokratie, das auf lokaler Ebene von der Bürgernähe der Amts- und Mandatsträger – die, so Steinmeier, „wenn es hart auf hart kommt, ganz alleine auf dem Bürgersteig stehen“ – lebe. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Kommunalpolitiker in unserem Land zu Fußabtretern der Frustrierten werden.“ Die demokratische Gesellschaft sei angewiesen auf „Menschen, die bereit sind, Verantwortung vor Ort zu tragen“.
Allerdings gehe „nur ein kleiner Teil dieses ganzen Panoramas in polizeiliche Statistiken ein“. Denn vieles werde überhaupt nicht zur Anzeige gebracht – auch, weil oft überhaupt kein gesetzlicher Tatbestand greife. Dies frustriere viele Kommunalpolitiker und sorge dafür, dass sie überhaupt nicht mehr für ein Amt kandidierten. Diese Abkehr höhle das demokratische System aus.
„Die Demokratie muss sich wehren können“
„Die Herausforderung, vor der wir hier stehen, bewältigen wir nur mit einer breiten Allianz, mit öffentlicher Unterstützung, gemeinsam“, so Steinmeier. „Die Demokratie muss sich wehren können gegen ihre Feinde, und sie muss Wehrhaftigkeit zeigen.“
Dabei sieht der Bundespräsident positive Trends. In den Medien sei eine wachsende Sensibilität für die Thematik spürbar. Zudem diskutiere der Bundestag gerade den Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“. Darin spiele ein stärkerer Schutz für Kommunalpolitiker eine Rolle. Auch gegen digitale Hetze wolle die Bundesregierung schärfer vorgehen. Das Bundeskriminalamt baue eine zentrale Meldestelle für Hasspostings auf. Und in immer mehr Ländern würden spezialisierte Staatsanwaltschaften oder andere Anlaufstellen eingerichtet.
Darüber hinaus fordert Steinmeier zivilgesellschaftliches Engagement, Initiativen zur Prävention sowie zur politischen Bildung. „Demokratie ist kein Selbstläufer. Die zivilisierte Debatte, das friedliche Zusammenleben insgesamt in einer freien, pluralistischen Gesellschaft – all das muss gelernt, ja regelrecht trainiert werden.“ Dazu gehöre, dass Menschen miteinander „ins Gespräch kommen und feststellen, dass es mehr als die eigene Wahrheit gibt, dass man Argumente und Emotionen unterscheiden sollte und dass ein Kompromiss nicht Scheitern bedeutet, sondern Zukunft für beide Seiten“.