Das „Memorandum Urbane Resilienz“ zeigt „Wege zur robusten, adaptiven und zukunftsfähigen Stadt“. Darüber spricht Stadtforscher Detlef Kurth.

Beim 14. Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik wurde das „Memorandum Urbane Resilienz – Wege zur robusten, adaptiven und zukunftsfähigen Stadt“ vorgestellt. Es wurde von einem unabhängigen Expertenbeirat erarbeitet. Herausgegeben wird es vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat. Der Stadtforscher Detlef Kurth, Inhaber des Lehrstuhls für Stadtplanung an der Technischen Universität Kaiserslautern, ist Sprecher der Arbeitsgruppe. Im Interview erklärt er, was Resilienz für die Stadtentwicklung eigentlich bedeutet, und wie sich Städte resilient, also widerstandsfähig gegen Krisen, aufstellen können.

Resilienz: Risikomanagement als Teil der Stadtentwicklung

Detlef Kurth (Quelle: privat)

Detlef Kurth (Quelle: privat)

OBM: Herr Prof. Kurth, „Resilienz“ ist angesichts der Coronakrise ein regelrechtes Trendwort geworden. Es geht vor allem um die Resilienz, also um die Widerstandsfähigkeit von Städten gegen Krisen, in diesem Fall gegen eine Pandemie. Doch unter dem abstrakten Begriff lassen sich mannigfaltige Deutungen und Krisenfälle zusammenfassen, und längst vor Corona war die Frage nach urbaner Resilienz Thema der Stadtforschung. Was verstehen Sie unter Resilienz?

Detlef Kurth: Urbane Resilienz meint im eigentlichen Wortsinn ein Zurückfedern in den ursprünglichen Zustand nach einem krisenhaften Ereignis. Wichtig für das erweiterte Verständnis des Begriffs ist, dass wir nicht nur Zurückfedern, sondern uns auch an neue Gegebenheiten anpassen und präventiv auf Risiken vorbereiten. Es geht um Transformation und den entsprechenden Gestaltungswillen. In diesem Sinne spricht sich das Memorandum dafür aus, das Risikomanagement und die Risikovorsorge stärker in der Stadtentwicklungspolitik zu berücksichtigen.

OBM: In Ihrem Memorandum geben Sie zehn Thesen oder Handlungsempfehlungen dafür an, wie Städte ihre Resilienz stärken können. Davon lassen sich auch Forderungen an die Politik ableiten. Welches davon ist Ihre zentrale?

Detlef Kurth: Eine der Hauptforderungen ist es, dass das Risikomanagement überhaupt im Kontext der Stadtentwicklungspolitik stattfindet. Bislang wird es etwa im Sinne des Katastrophenschutzes eher separat gedacht. Doch es sollte in die Stadtentwicklungsplanung integriert werden. Dies umfasst außerdem Themen wie Gesundheit, Digitalisierung oder Klimawandel. Überall sollten Kommunen eine entsprechende Risikovorsorge betreiben – auch präventiv. Damit einher geht die Forderung nach ausreichend Ressourcen und Kapazitäten.

Beispiel Klimaanpassung: Stadtstrukturen präventiv ausrichten

OBM: Was zeichnet eine resiliente Stadt denn aus?

Detlef Kurth: Sie ist erstens gut vorbereitet auf mögliche Krisen und Katastrophen. Der präventive Gedanke zeigt sich besonders am Beispiel des Klimawandels. Wer wartet, verschenkt wichtige Zeit. Städte müssen sich rüsten gegen Extremwetterereignisse wie Hitze oder Regen, um im Katastrophenfall noch größeren Schäden vorzubeugen. Zweitens geht es um Anpassung und eine Veränderung der Stadtstruktur, etwa anhand eines Klimaanpassungskonzepts. Hierfür sind beispielsweise Aspekte wie Nachverdichtung oder eine partielle Stadtbegrünung abzuwägen. Drittens sind für eine resiliente Stadt die Stadtstrukturen so zu transformieren, dass sie nicht im Status quo verharren, sondern sich immer zukunftsfähiger entwickeln. Darüber, wie dies geschehen kann, kann es durchaus unterschiedliche Auffassungen geben.

OBM: Inwiefern?

Detlef Kurth: Unser Memorandum steht im Geiste der „Neuen Leipzig-Charta: die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl“ von 2020. Es möchte deren Leitplanken für die europäische Stadtentwicklung – nicht zuletzt angesichts der Coronakrise – um den Blickwinkel der Resilienz erweitern. Nun geht die Neue Leipzig-Charta aus Gründen der Nachhaltigkeit von einer verdichteten und kompakten Stadt der kurzen Wege aus. Aus Sicht der Resilienz und der Risikovorsorge könnte man jedoch eine gegenteilige Auffassung vertreten und sagen, es brauche doch gerade mehr Platz, mehr Ressourcen zur Vorsorge und mehr Potentialflächen. Wir lösen diesen scheinbaren Widerspruch auf, indem wir sagen: Es gilt, beides gleichzeitig zu verfolgen. Wir brauchen weiterhin grundsätzlich die Nachverdichtung und Innenentwicklung, um Flächen zu sparen. Es muss aber im öffentlichen Raum auch ausreichend Freiräume geben, zur Steigerung der urbanen Lebensqualität, für die Klimaanpassung und um mehr Aufenthaltsbereiche im Fall von Pandemien zu schaffen. Außerdem müssen Kommunen in Katastrophenfällen auch auf Reserveflächen zugreifen können. Hier kann es in konkreten Einzelfällen durchaus zu Zielkonflikten und Debatten kommen.

Internationaler Austausch kommt dem Risikomanagement zugute

OBM: Die Coronakrise führt also nicht zum Postulat der „Entdichtung“ urbaner Räume zugunsten von Resilienz?

Detlef Kurth: Nein. Die Erfahrungen, die wir mit Corona machen, widersprechen nicht dem grundsätzlichen Ziel einer kompakten Stadt. Im Gegenteil sehen wir hier sogar einige der Vorzüge, die Quartiersstrukturen im Sinne urbaner Resilienz mit sich bringen – von der Nachbarschaftshilfe bis zur lokalen Nahversorgung. Die Einschätzung, das Leben in einer Stadt sei unhygienischer und dadurch gefährlicher als das auf dem Land, können wir im Hinblick auf diese Pandemie nicht teilen. Dazu lohnt der internationale Vergleich: Es gibt Beispiele von großen, hochverdichteten Metropolen wie Hongkong, die viel geringer von der Pandemie betroffen sind als wesentlich dünner besiedelte Räume. Dem Virus ist es egal, ob es sich in der Stadt oder im ländlichen Raum verbreitet. Außerdem: Bei allen globalen Herausforderungen, auch der des Klimawandels, braucht es ohnehin einen stärker international ausgerichteten Blick. Das Virus ist global, und folglich sollte die Risikostrategie ebenfalls global und international greifen. Allgemein sind interkommunale Kooperationen wichtige Elemente des Erfahrungsaustauschs für das Risikomanagement.

OBM: Wenn wir über den Klimawandel sprechen: Was bedeutet Resilienz für Städte?

Detlef Kurth: Dass sie Klimaanpassung betreiben, also sich transformieren. Städte, Kommunen und ihre Beteiligungsgesellschaften wie Stadtwerke sind die wesentlichen Gestalter der Energiewende hin zu Erneuerbaren Energien. Sie sind diejenigen, die die Infrastruktur für mehr Elektromobilität in ihren Quartieren schaffen und die Verkehrsentwicklung – Stichwort: weg vom Auto, hin zum Umweltverbund – gestalten. Viele Städte arbeiten bereits intensiv an der CO2-Reduktion. Und viele passen ihre Strukturen möglichen Extremwetterereignissen an, die der Klimawandel mit sich bringt. Sie bereiten sich auf extreme Hitze und Überschwemmungen vor. Schlagworte dafür sind: die Grüne Stadt, die Blaue Stadt, die Graue Stadt und die Weiße Stadt.

Resiliente Strukturen: Grüne Stadt, Blaue Stadt, Graue Stadt, Weiße Stadt

OBM: Das bedeutet?

Detlef Kurth: Grüne Stadt bedeutet eine gezielte Förderung des innerstädtischen Grüns, der urbanen Pflanzenwelt, um dadurch sowohl lokale Effekte auf das Klima und die Biodiversität zu erzielen als auch präventiv den Folgen extremer Wetterereignisse vorzubeugen. Die Blaue Stadt bezieht sich auf Gewässer in der Stadt beispielsweise zur Regulierung des Kleinklimas und zur Abkühlung. Die Graue Stadt meint Verschattung zum Schutz gegen Hitze. Und der Begriff der Weißen Stadt bezieht sich auf den Albedo- oder Rückstrahlungseffekt. Es geht darum, Reflexionsflächen zu schaffen, die eine zu starke Sonneneinstrahlung abmildern.

OBM: Das Memorandum beschreibt Resilienz als Querschnittsaufgabe. Nun haben wir vorwiegend über Krisen wie eine Pandemie und über den Klimawandel gesprochen. Allerdings lässt die Digitalisierung Fragen, wie stabil zunehmend systemrelevante digitale Infrastrukturen sind oder wie souverän die Städte mit Bürgerdaten umgehen können, ebenfalls mehr und mehr zu Bedrohungsszenarien für die Stadtgesellschaft werden. Was bedeutet Resilienz für die Smart City?

Detlef Kurth: Dem nachzugehen, war nicht der Hauptschwerpunkt des Memorandums. Doch es stimmt: Die Digitalisierung führt in Kommunen zu gravierenden Umbrüchen, zu einer Transformation vieler Prozesse. Allein dafür bedarf es flexibler Governancestrukturen, die Krisenfestigkeit grundsätzlich begünstigen. Und mit der Digitalisierung gehen neue Infrastrukturrisiken einher. Es geht darum, eine sichere digitale Datenbasis zu schaffen, die alle Lebensbereiche erfasst. Das autonome Fahren ist ein Beispiel für den Wandel und die Perspektiven, die sich daraus ergeben. Datenhoheit und Datenschutz angesichts monopolartig agierender Softwareunternehmen bis hin zur Versorgung mit Internet auch im ländlichen Raum sind neue Themen, denen sich Kommunen stellen. All diese Infrastrukturaufgaben sind risikobehaftet. Die Kommunen tun also gut daran, sich diesen Risiken präventiv zu widmen. Nur so können sie ihre Handlungsspielräume – auch in kritischen Situationen – sichern. Die Risikoabwehr hinsichtlich der Infrastrukturstabilität hat sich in den vergangenen Jahren um das Feld der digitalen Infrastruktur erweitert.

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