In der Immobilienentwicklung gewinnen die Aspekte Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – kurz: ESG (Environmental, Social, Governance) – an Bedeutung. Dies hat auch Effekte auf Projekte der Stadt- und Quartiersentwicklung von Kommunen. Dafür und für die Chancen, die sich für die gesellschaftliche Transformation daraus ergeben, bedarf es eines Bewusstseins in der Branche und in den Kommunen.
Umdenken in der Gesellschaft: Investoren suchen nachhaltige Projekte
Simon Hübner ist Vorstandsmitglied beim Immobilienentwickler GBI und dort zuständig für Wohnungsbau. Täglich erlebt er, wie die Relevanz sozialer und nachhaltiger Projektentwicklung steigt. Die Unternehmensgruppe GBI, getragen von der gemeinnützigen Moses-Mendelssohn-Stiftung, integriert traditionell die Gemeinwohlorientierung in ihr Handeln. Unter anderem widmet sie sich dem geförderten Wohnungsbau. Beispielsweise hat GBI mit den sogenannten Smartments student ein spezielles Format für studentisches Wohnen geschaffen.
Verstärkt würden Investoren nach Projekten, die Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, suchen, berichtet Hübner. Dabei zähle nicht immer ausschließlich die Rendite. Natürlich sei die Wirtschaftlichkeit Voraussetzung für eine Investition. Doch darüber hinaus gewinne die Gemeinwohlorientierung als Wert an Gewicht in Investitionsentscheidungen. Es wachse die Sensibilität dafür, worin und bei wem man Geld anlege. Es steige das Interesse daran, die eigenen Portfolien sozial und nachhaltig auszurichten. Dies korrespondiere mit einer gesellschaftlichen Haltung und habe Auswirkungen auf die bauliche Entwicklung in urbanen Räumen.
Dass sich in der Finanz- und Immobilienwirtschaft das Augenmerk verstärkt auf Aspekte der Nachhaltigkeit und der sozialen sowie ökologischen Verantwortung richtet, erkennt Hübner als einen langfristigen Trend. Durch globale Themen wie die Klima- oder die Coronakrise gewinne dieser zusätzlich an Dynamik. Dazu trügen außerdem Ziele und Vorgaben der EU wie der European Green Deal zur Klimaneutralität oder die sogenannte Finanztaxonomie, die ein nachhaltiges Wirtschaften fördert, bei.
Wohnungsnot und Klimawandel als Handlungsfelder
Vor diesem Hintergrund träfen in Deutschland beispielsweise Projekte des geförderten Wohnungsbaus auf ein zunehmendes Interesse bei Investoren, erklärt Hübner. Viele Städte leiden unter Wohnungsnot, versuchen der Knappheit entgegenzuwirken und preisgünstigen Wohnraum zu schaffen. Sie brauchen dafür an vielen Stellen die private Immobilienwirtschaft. Kapitalgeber, die sich in entsprechende Projekte einbringen, können mit ihrem Engagement gesellschaftlich und sozial wirken.
Ähnliches gelte für ökologische Nachhaltigkeit. Städte, die sich zukunftsorientiert aufstellen, stemmen sich gegen den Klimawandel und ergreifen diesbezüglich bauliche Maßnahmen. Die Klimaanpassung ist ein maßgeblicher Faktor für die Stadtentwicklung. Darauf ausgerichtete Bauvorhaben auch im Wohnungsmarkt, die sich Kriterien der Nachhaltigkeit verschreiben, haben also eine hohe Relevanz für die jeweilige Stadtgesellschaft sowie für den globalen Kampf gegen die Klimakrise. Daher passen sie gut ins Profil einer am Gemeinwohl orientierten Investition.
CO2-Neutralität und bezahlbarer Wohnraum: ein Widerspruch?
Die Schaffung CO2-neutraler Quartiere sei ein wesentliches Entwicklungsthema für die Stadt von morgen, sagt der GBI-Vorstand. Immerhin sei laut Studien der Gebäudesektor mit bis zu 30 Prozent am CO2-Ausstoß beteiligt. Dabei spricht Hübner allerdings von einer „Gratwanderung“: „Es darf keine Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen geben. Das CO2-neutrale Wohnen muss für den üblichen Nutzermix bezahlbar bleiben.“ Nur so finde der Kampf gegen den Klimawandel Akzeptanz in der breiten Bevölkerung, und nur so führe er nicht zu sozialen Disparitäten.
Den Nachhaltigkeitszielen abträglich sei es, „wenn Stadt und Immobilienentwickler die Kosten für den Klimaschutz komplett auf die Mieter verlagern“, so Hübner. Das dürfe nicht sein und passe nicht mit der steigenden Wohnungsnot sowie der hohen Nachfrage nach preisgünstigem Wohnraum in Städten zusammen. Hinsichtlich der Finanzierung könne sich ein „Spannungsfeld“ zwischen ökologisch nachhaltigen, meist teureren Bauweisen und sozialen Aspekten ergeben. Es müssten Modelle gefunden werden, die einerseits die Wirtschaftlichkeit von Immobilienprojekten gewährleisten und die andererseits Kriterien der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit miteinander in Einklang bringen.
Streben nach CO2-Neutralität muss sich in Bauvorgaben zeigen

Simon Hübner (Quelle: GBI Holding/Glasgow Fotografie)
Als Beispiel für einen solchen Ansatz verweist Hübner auf den jüngsten Kabinettsbeschluss der Bundesregierung, nach dem die Kosten für den CO2-Preis auf Öl und Gas hälftig zwischen Mietern und Vermietern aufgeteilt werden sollen. Das sei angemessen und fair. Jetzt sei abzuwarten, wie der Gesetzgebungsprozess verlaufe. „Man darf es bei dem Beschluss zur Finanzierung nicht bewenden lassen. Dadurch wird eine Immobilie auch nicht nachhaltiger“, sagt Hübner.
Wichtig sei, Öl und Gas überhaupt nicht mehr zu verwenden, sondern umzuschwenken beispielsweise auf Erdwärme oder andere fortschrittliche, energieeffiziente Heizsysteme. Zudem müssten Anreize geschaffen werden, Immobilienbestände umzubauen. Hübner: „Wenn die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung also maßgeblich dafür verwendet werden, Um- oder Neubauten ohne Gas und Öl zu fördern, wird die Sache erst rund.“
Doch wie sehr der Umstieg auf innovative und klimaschonendere Bauprojekte manchmal an die Quadratur des Kreises erinnert und an Bauvorgaben scheitern kann, zeigt ein Beispiel in Würzburg (Foto oben). Aufgrund bestehender Brandschutzvorschriften musste dort ein nachhaltiger Holzrohbau später komplett in umweltbelastender Trockenbauweise verkleidet werden. Dies konterkariert das ökologische Ziel, verteuert den Bau und behindert so den nötigen Umschwung auf neue, nachhaltigere Baumaterialien wie Holz.
Das Streben nach ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit dürfe nicht Bauvorschriften scheitern, sondern müsse sich darin widerspiegeln, fordert Hübner. Wie es besser gehe, zeige ein Blick zu europäischen Nachbarn: Insbesondere Österreich und Schweiz seien diesbezüglich Vorbilder.
Impulsgeber vor Ort: Handlungsspielräume der Kommunen
Kommunen haben hierzulande auf die Gesetzgebung nur begrenzten Einfluss, sie sind Landes- und Bundesgesetzen unterworfen. Handlungsspielräume hätten sie dennoch als Impulsgeber vor Ort, sagt Hübner. Dies betrifft etwa Quartierskonzepte und lokale Gestaltungsvorgaben, in denen soziale Aspekte oder Themen der ökologischen Nachhaltigkeit wie Elektromobilität, Holzbau oder Fotovoltaik wirtschaftlich realisierbar verankert sind. Ebenso könnten Kommunen eigene Förderprogramme auflegen oder nachhaltige Verhaltensweisen materiell unterstützen, indem sie in Quartieren die Infrastruktur dafür schaffen, etwa mit Elektroladesäulen.
Wie intensiv eine Kommune Aspekte der Nachhaltigkeit in ihre Stadtentwicklung einbeziehe, hänge oft mit den handelnden Personen und deren Prioritätensetzung zusammen. Mancherorts sei das Thema Nachhaltigkeit längst verinnerlicht, anderswo bestünde noch eine gewisse Unsicherheit, meint Hübner.
Dafür könne die Größe der Kommune durchaus eine Rolle spielen: Gerade in größeren Städten komme es häufiger vor, dass komplett neue Quartiere erschlossen würden. Und im Kontext einer Neuquartierserschließung falle es im Vergleich zu gewachsenen, bestehenden Quartieren oftmals eben leichter, Nachhaltigkeitsziele zu definieren und die Strukturen danach auszurichten. Insofern bestehe in solchen Fällen erfahrungsgemäß eine größere Offenheit oder schlicht die Gelegenheit, neue, nachhaltige Konzepte umzusetzen, erklärt der GBI-Vorstand.
Eine höhere Priorität für Umbauten und Umnutzungen
Doch Hübner denkt nicht nur an den Neubau – gerade dem Umbau im Bestand komme im Sinne der Nachhaltigkeit eine wesentliche Bedeutung zu. Für den Bau der bestehenden Gebäude sei nämlich schon CO2 emittiert worden. Eine Umnutzung beziehungsweise ein Umbau anstelle eines Abrisses und eines Neubaus verbessere also deren CO2-Bilanz und steigere damit die Nachhaltigkeit.
„Man sollte sich mehr Gedanken über Umbauten und Umnutzungen machen“, betont Hübner. Dies sagt er auch vor dem Hintergrund, dass viele Innenstädte ohnehin einen Transformationsprozess und Funktionswandel durchlaufen. Es gelte, „den Bestand in die Zukunft führen“. Dies sei „noch nicht überall weit genug oben auf der Prioritätenliste“.