Einst florierte in Pirmasens die Schuhindustrie. Deren Einbruch sorgte für gravierende Verwerfungen in der Stadt. Pirmasens hat etwa ein Drittel der Bevölkerung verloren und zählt zu den höchstverschuldeten Kommunen der Republik. Was ihre demografische Entwicklung angeht, findet die Stadt derzeit allerdings zu Stabilität zurück. Als Zeichen einer gewissen Trendwende geht damit ein steigender Bedarf an Wohnraum einher – nicht nur im niedrigen und mittleren Preissegment, sondern insbesondere auch im höherwertigen Bereich. Daher setzt die Stadt gezielt auf Investitionen in höherwertigen Wohnraum. Ihr diesbezügliches Engagement verbindet sie mit der Innenstadtentwicklung: In ehemalige, über die City verteilte Schuhfabriken ziehen nun neue Nutzungen ein. Die alten Industriegebäude werden in Komplexe für Wohnen und Arbeiten transformiert. Darüber spricht Oberbürgermeister Markus Zwick mit #stadtvonomorgen.
Verfügbarer Wohnraum in einer schrumpfenden Stadt
#stadtvonmorgen: Pirmasens will sich als Wohnstandort entwickeln. Dabei setzt die Stadt gezielt auf attraktiven, höherwertigen Wohnraum. In welchem Kontext stehen die diesbezüglichen Vorhaben?
Markus Zwick: Pirmasens ist eine Stadt, die derzeit wieder einen demografischen Aufschwung verzeichnet. Mit dem Niedergang der Schuhproduktion und dem Abzug des amerikanischen Militärs nach Ende des Kalten Kriegs durchlebte die Stadt seit den 1990er Jahren eine sehr schwierige Zeit mit großen Transformationsaufgaben und sozialen Verwerfungen. Viele junge Menschen sind weggezogen, und Pirmasens ist stark geschrumpft. Die Stadt hat etwa ein Drittel ihrer Bevölkerung verloren – heute hat sie rund 40.000 Einwohner. Insofern ist die Infrastruktur, auf deren Qualitätserhalt wir stets geachtet haben, grundsätzlich auf eine größere Anzahl Menschen ausgelegt. Nun erleben wir eine kleine Renaissance. Die größten prognostizierten Bevölkerungseinbrüche sind nicht eingetreten. Im Gegenteil befindet sich die Bevölkerungszahl auf einem stabilen Niveau – mal wachsend, mal leicht rückgängig. Das hat auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung und neuen, attraktiven Arbeitsplätzen in der Region zu tun. Es interessieren sich wieder mehr – auch junge – Menschen für ein Leben in der Stadt.
#stadtvonmorgen: Sie sprechen von einer Renaissance – welches sind Faktoren dafür?
Markus Zwick: Meines Erachtens gibt es – neben der genannten positiven Entwicklung des Wirtschaftsstandorts – verschiedene Faktoren dafür, warum Städte wie Pirmasens zunehmend attraktiv werden. Das hängt zu einem großen Teil damit zusammen, dass hier Wohnraum verfügbar ist. Durch das demografische Schrumpfen verfügt die Stadt über Raumpotentiale. Immobilien und Wohnraum können in vielen Fällen deutlich günstiger gemietet oder gekauft werden als dies in dichten Ballungsräumen der Fall ist – sogar, wenn Modernisierungskosten anfallen. Letztlich können sich die Menschen für ihr Geld mehr leisten, was die Immobilie betrifft. Die Lebenserhaltungskosten sind vergleichsweise günstig, und ist die urbane Infrastruktur in Pirmasens ist intakt. Dies alles korrespondiert mit dem allgemeinen Trend des Zuzugs aus ländlicheren Gebieten in städtische. Darüber hinaus bieten Stadt und Region eine hohe Lebens- und Freizeitqualität, nicht zuletzt hinsichtlich ihrer natürlichen Lage im Pfälzerwald. Daraus ergeben sich für Pirmasens neue Chancen, die Einwohnerzahl weiterhin zu stabilisieren. Dazu gehört, dass wir die Innenstadt zusätzlich beleben wollen und dabei auch das Thema Wohnen im Zentrum in den Blick nehmen.
Die Erkenntnis, dass sich Investitionen in Wohnraum lohnen

OBM Markus Zwick (Quelle: Stadt Pirmasens/Gregor Theis)
#stadtvonmorgen: In diesem Zusammenhang setzen Sie auf höherwertigen Wohnraum. Demgegenüber ist in vielen Städten die Wohnraumsituation doch gerade umgekehrt dadurch gekennzeichnet, dass im mittleren und niedrigen Preissegment Angebote fehlen und große Investitionsbedarfe bestehen. Wie ist es in Pirmasens, was das Engagement zum einen für bezahlbaren und zum anderen für höherwertigen Wohnraum angeht: Was braucht die Stadt denn nun?
Markus Zwick: Die Stadt braucht grundsätzlich beides. Wenn wir über Investitionen in höherwertigen Wohnraum sprechen, dann geht es auch um die Erkenntnis, dass diese sich in Pirmasens lohnen. Das war angesichts der demografischen Entwicklung, des tiefgreifenden Strukturwandels der Region und der damit verbundenen Leerstandsproblematik keineswegs jederzeit selbstverständlich. Insofern gibt es diesbezüglich gewissermaßen einen Mangel. Doch immer mehr neue Beispiele belegen, dass es einen großen Bedarf an höherwertigem Wohnraum gibt und sich dieser gut vermarkten und vermieten lässt. Dies eröffnet neue Perspektiven für Investoren – und damit ergeben sich für die Stadt neue Chancen für Modernisierungen und die Transformation des urbanen Raums. Ein Erfolgsbeispiel ist etwa die Revitalisierung der ehemaligen Schuhfabrik Welter und Brück. Der einstige Fabrikkomplex bietet nun attraktiven Wohnraum an erstklassiger Hanglage.
#stadtvonmorgen: … und was das Segment des bezahlbaren Wohnraums angeht?
Markus Zwick: Auch Modernisierungen im Bereich des mittleren und niedrigeren Preissegments sind erforderlich. Hier verzeichnen wir ebenfalls Investitionen. Denn wie im Bereich des höherwertigen Wohnraums übersteigt hier die Nachfrage das Angebot. In diesem Segment sind Investitionen also nicht nur nötig, sondern sie rentieren sich auch.
Revitalisierung alter Fabriken beflügelt Aufschwung der Stadt
#stadtvonmorgen: Sie haben auf eine alte Schuhfabrik hingewiesen. In Pirmasens gibt es mehrere solcher, teils zerfallener Objekte. Welche besonderen Herausforderungen für die Stadtentwicklung stellen sich denn bei der Revitalisierung brachliegender Industriekomplexe mitten in der City im Zusammenhang mit dem Ziel, neuen Wohnraum zu schaffen?
Markus Zwick: Als Industriestadt hat Pirmasens eine Besonderheit: Die Schuhindustrie war in die Stadt integriert; Wohnen und Arbeiten waren eng miteinander verzahnt. Viele der ehemaligen Schuhfabriken sind über die Kernstadt verteilt und mischen sich teils mit Wohngebieten. Insofern stellen sich der Stadt angesichts des Niedergangs der Schuhindustrie ganz besondere Transformationsaufgaben im Zentrum. Allerdings bergen diese zugleich neue Chancen. Denn die alten Fabriken eignen sich nicht nur hervorragend dafür, neuen Wohnraum zu realisieren, sondern auch dafür, Mischnutzungen zwischen Wohnen und Arbeiten zu ermöglichen. Letzteres wird zusätzlich durch die Digitalisierung und moderne Arbeitsmodelle begünstigt. Über Jahre waren die alten, über die Stadt verteilten Industriegebäude ein Teil unseres Leerstandproblems. Nun kann ihre Revitalisierung dazu beitragen, den spürbaren Aufschwung der Stadt zu beflügeln, dafür neuen Wohnraum und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Beispiel für eine gewerbliche Mischnutzung ist die ehemalige Fabrik Neuffer, aus der nun ein modernes Business und Medical Center geworden ist. In den goldenen Zeiten der Schuhindustrie arbeiteten in dem Gebäude einst 1.200 bis 1.400 Menschen. Heute verzeichnet das Haus eine tägliche Fluktuation in der gleichen Größenordnung. Aus dem ungenutzten Leerstand ist also Neues entstanden, das der bisherigen Kapazität des Raums und seiner Frequenz entspricht. Es gibt eine Reihe bereits realisierter Revitalisierungen, die auf diese Weise die Stadt im Transformationsprozess beleben und die Menschen zurückholen in die zentrale Innenstadt.
#stadtvonmorgen: Sie sprechen vom „Zurückholen in die Innenstadt“. Welche Rolle spielt die Frage der Innenentwicklung, also die Verdichtung des Zentrums anstelle der Ausweisung neuer Baugebiete an den Stadträndern, für Pirmasens?
Markus Zwick: Ich glaube, das ist die Zukunft und kein vorübergehender Trend: Die Menschen wollen kurze Wege. Das hat mit der Erfüllung des täglichen Bedarfs zu tun, mit Erreichbarkeit, aber auch mit Mobilität und dem wachsenden Bewusstsein für den eigenen sogenannten CO2-Fußabdruck. Die Menschen kehren zurück in die Städte. Und gerade kleinere oder mittlere Städte wie Pirmasens können dabei die Vorteile ihrer naturnahen Lage und ihres gleichzeitig urbanen Charakters ausspielen. Sie weisen die Vorteile einer städtischen Infrastruktur auf, ohne „überlaufen“ zu sein wie Ballungszentren. Das heißt allerdings nicht, dass es in Pirmasens keine Neubauprojekte gäbe – die gibt es, übrigens auch auf Arealen, auf denen verlassene Gebäude zurückgebaut wurden. Aus Sicht der Stadtentwicklung geht es beim Stichwort Innenentwicklung nicht nur um das urbane Leben im Zentrum, sondern auch um Flächeneffizienz und die Reduktion des Flächenverbrauchs.
Die Stadt als Impulsgeber für Investitionen in Wohnraum
#stadtvonmorgen: Was Investitionen in höherwertigen Wohnraum betrifft, sprechen Sie vorwiegend von privatwirtschaftlichem Engagement. Doch wie bringt sich die Stadt konkret ein, welche Instrumente nutzt sie?
Markus Zwick: Die Stadt kann nicht jede Investition selbst vornehmen, sie kann aber steuernd wirken. Wir tun dies erstens mit unserem Stadtentwicklungskonzept, das Leitplanken setzt. Dies bezieht sich etwa auf zentrale Achsen in der Innenstadt, die wir städtebaulich entwickeln. Dazu gehören Investitionen in den öffentlichen Raum und in markante städtische Gebäude. Diese dienen nicht nur der Attraktivitätssteigerung, sondern lösen auch Nachahmeffekte aus. Flankierend können wir – zweitens – Sanierungs- und Modernisierungsvorhaben lokal fördern. Dies tun wir etwa, indem wir ein Sanierungsgebiet ausgewiesen und dafür eine Sanierungssatzung beschlossen haben. Daraus ergeben sich steuerbegünstigende Effekte im Falle von Sanierungsvorhaben. So setzen wir Anreize, alte Bausubstanz aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Drittens nutzen wir die Instrumente, die uns Bund und Länder an die Hand geben, ein Beispiel dafür ist das Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“. Als befruchtend für die weitere Attraktivierung der City hat sich – viertens – ebenfalls erweisen, bereits laufende Entwicklungsprozesse hervorzuheben und damit zu dokumentieren, dass sich Investitionen lohnen. Vorbilder rufen zur Nachahmung auf. Unter diesem Blickwinkel ist Stadtentwicklung immer auch ein Imagethema.
Neue Arbeitsmodelle sprechen für Städte wie Pirmasens
#stadtvonmorgen: Pirmasens liegt vergleichsweise solitär als Mittelzentrum in einem dünn besiedelten Umland. Richtet sich die Strategie, in Pirmasens höherwertigen Wohnraum zu entwickeln, also insbesondere an die „eigene“ Bevölkerung? Oder zielt sie auch auf eine Wechselwirkung mit Ballungsräumen, deren Wohnungsmärkte weitaus überhitzter sind, ab? Und wie wollen Sie in diesem Fall die Anbindung an die Ballungsräume schaffen?
Markus Zwick: Derzeit erleben wir eine Veränderung von Arbeitswelten. Die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung und von Homeofficemodellen spielen Städten wie Pirmasens in die Karten. Diese sorgen für eine gewisse Unabhängigkeit von Arbeitsstätten. Daraus ergibt sich für Arbeitnehmer, dass sie Wege zu ihren Arbeitsstätten zumindest reduzieren und so die Vorteile von Städten wie Pirmasens mit niedrigeren Lebenserhaltungskosten, moderaten Immobilienpreisen und urbaner Lebensqualität besser für sich nutzen können. Tatsächlich verzeichnen wir dieses Phänomen. Das zeigt sich etwa an dem Trend, dass Menschen, die gut bezahlte Jobs in benachbarten Städten wie Landau, Ludwigshafen, Mannheim oder Karlsruhe haben, bewusst nach Pirmasens ziehen. Dabei finden viele, die eigentlich „nur“ wegen des Wohnens nach Pirmasens gekommen sind, oft auch später in der Region eine berufliche Heimat. Was die Verkehrsinfrastruktur angeht, gibt es durchaus Einschränkungen. Während die Stadt nach Westen ins Saarland über die Autobahn gut angebunden ist, ist die Bundesstraße nach Osten Richtung Rhein eher ein Hemmschuh. Umso mehr kommen Pirmasens die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung und eine sehr gute Internetversorgung zupass.