Der Film „We are all Detroit“ widmet sich der Transformation: An den Beispielen Bochum und Detroit stellt er urbane Zukunftsfragen.

Der Dokumentarfilm „We are all Detroit – Vom Bleiben und Verschwinden“ zeigt den Niedergang der Automobilindustrie und die urbane Transformation in Bochum und Detroit. Er läuft ab dem 12. Mai im Kino. #stadtvonmorgen hat ihn vorab angesehen.

Auf der einen Seite steht das große Versprechen von wirtschaftlicher Prosperität, neuen Arbeitsplätzen und einer blühenden Landschaft. Das Gelände, auf dem der Automobilhersteller Opel früher einmal 20.000 Mitarbeiter in Bochum beschäftigte, stehe heute für „Wandel und technologischen Fortschritt, für die große Chance, Wirtschaftsstruktur sehr geballt und konzentriert neu entwickeln zu können“, sagt Oberbürgermeister Thomas Eiskirch. Dabei ist Opel längst Geschichte. Auf Mark 51°7, wie sie die Industriebrache heute nennen, wächst Neues – laut Eiskirch ein „Schmelztiegel der Wissensarbeit in der Ermöglicherstadt Bochum“.

Doch auf der anderen Seite stehen die Menschen. Jene, die ein Leben lang bei Opel arbeiteten. Und jene, die nach dem Abzug des Unternehmens für sich eine neue Lebensperspektive suchen mussten. Diese sehen nun, dass große Bagger die einstmals imposanten Werkshallen niederreißen. Wie passen große politische Ambitionen wie die Pläne Eiskirchs zu solchen Bildern des Zerfalls und zur Lebensrealität dieser Menschen? Und was bedeutet die urbane Transformation für ihre Schicksale?

Ehemalige, leere Werkshalle im Bochumer Opelwerk: Filmszene aus "We are all Detroit". (Quelle: RealFiction Filmverleih)

Neue DHL-Halle auf dem ehemaligen Bochumer Opelgelände: Filmszene aus „We are all Detroit“. (Quelle: RealFiction Filmverleih)

„We are all Detroit“: Film über urbane Transformation

Damit beschäftigt sich der Dokumentarfilm „We are all Detroit – Vom Bleiben und Verschwinden“. Die Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken lenken darin den Fokus auf das Bochumer Opelgelände, von dem sich der Automobilhersteller 2014 zurückzog. Sie fragen: Was bleibt dort? Was wird? Und: Wie wandelt sich Stadt?

Dabei zeigt der Film Parallelen zwischen Bochum und Detroit. Die amerikanische Stadt ist ebenfalls vom Niedergang der Autoindustrie gebeutelt. Der Umbruch spielt sich in Detroit sogar weitaus gravierender ab als in Bochum und fällt um ein Vielfaches dramatischer aus, was seine sozialen Folgen angeht. Der Film „We are all Detroit“ hat am 4. Mai in Bochum Premiere. Am 12. Mai startet er bundesweit.

In Bochum und Detroit stellen sich Zukunftsfragen

Am Beispiel niedergegangener Automobilfabriken in Bochum und Detroit berichten Franke und Loeken vom Kreislauf aus Aufbruchstimmung, Stillstand, Zerfall und Neubeginn; vom Vergehen und vom Werden. Es ist die Stetigkeit des Wandels, die der Dokumentarfilm thematisiert, und, wie Menschen sich darin orientieren.

In diesem Kontext stellt er die kritischen Zukunftsfragen der Gegenwart. Es geht um neue Arbeitsmodelle und, welche Rolle Roboter, Maschinen und Menschen darin übernehmen. Um den Übergang vom industriellen Zeitalter hin zu Hightech und Digitalisierung. Darum, was globale Konzerne und kapitalistisch organisierte Industrien mit den Menschen und ihren Städten anstellen. Um Umbrüche, um Disruption und um die Suche nach neuer Identität. Um die Transformation und die Wiederbelebung von Stadt – und zwar so, dass alle, nicht nur die Reichen, am urbanen Leben teilhaben. Aus Sicht der Kommune stellt sich die Frage: Welche Leitplanken muss eine gemeinwohlorientierte Politik setzen?

Skeptischer Blick in eine ungewisse Zukunft: Protagonisten des Films "We are all Detroit". (Quelle: RealFiction Filmverleih)

Skeptischer Blick in eine ungewisse Zukunft: Protagonisten des Films „We are all Detroit“. (Quelle: RealFiction Filmverleih)

Das Menschliche im großen Ganzen

Konkret jedoch erzählt der Film die Geschichten von Menschen. Das ist sowohl seine Stärke als auch seine Schwäche. Stärke deshalb, weil er die großen Themen herunterbricht und sie in ihrer menschlichen Ausprägung zeigt. Er schert sich nicht um offizielle Verlautbarungen oder die Visionen der Politik. Und er beschäftigt sich nicht nur abstrakt mit den globalen Megatrends. Sondern er zeigt sie vor Ort. Er schenkt ihnen Gehör: den Städten, den Menschen.

Schwäche deshalb, weil sich der Film hinsichtlich seines Hauptthemas, der Transformation, stellenweise zu sehr Biografisch-Nebensächlichem widmet – wie der Drogenabhängigkeit des Sohns einer Kellnerin, die in einem Lokal arbeitet, das seine besten Zeiten in der Hochzeit der Automobilindustrie hatte. Dadurch gelingt der Schwung vom Einzelnen, vom Mikrokosmos zurück zum übergeordneten und verbindenden „großen Ganzen“ nicht immer. Auch überlagern so individuelle Randthemen die Auseinandersetzung mit den Strukturen der beiden Standorte Bochum und Detroit: Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo liegen Unterschiede, welches sind Handlungsstrategien, die Transformationsaufgaben der Städte betreffend?

Daran schließt sich die Frage nach dem Filmtitel an: Wofür steht dieses „Detroit“ eigentlich in „We are all Detroit“, „Wir sind alle Detroit“? Unerwähnt bleibt im Film, dass in Bochum bereits 2014 eine für die Dialektik zwischen Bochum und Detroit maßgebliche Kunstaktion lief. In Reaktion auf die bevorstehende Schließung des Opelwerks stand diese unter dem markanten Titel „This is not Detroit“, „Das ist nicht Detroit“. Die Kunstaktion verwendete in der öffentlichen Debatte „Detroit“ also als Chiffre für einen perspektivlosen industriellen Niedergang und grenzte sich aus Sicht des Standorts Bochum explizit davon ab. Dass die Filmemacher den Code „Detroit“ nun offenbar mit anderem Inhalt füllen, bleibt erklärungsbedürftig.

"Ruinenporno": Der Film "We are all Detroit" zeigt die Ästhetik zerfallender Industriebauten. (Quelle: RealFiction Filmverleih)

„Ruinenporno“: Der Film „We are all Detroit“ zeigt die Ästhetik zerfallender Industriebauten. (Quelle: RealFiction Filmverleih)

„Ruinenporno“: die Ästhetik des Zerfalls

Von diesen Unschärfen abgesehen, punktet der Film – auch bedingt durch die Akkordeonmusik von Maciej Śledziecki, die mit stakkatoartig wummernden Abrissmaschinen in einen Dialog zu treten scheint, – mit einer dichten Atmosphäre. Es sind vor allem die ausdrucksstarken Bilder zeitloser Tristesse und martialischer Ästhetik, die die tiefgreifende Dimension urbaner Transformationsprozesse vermitteln. „Ruinenporno“ heißt es dazu an einer Stelle des Films.

Beim „Ruinenporno“ handelt es sich um die Faszination einst mächtiger Fabrikbauten und großzügiger Bürotrakte – früher prosperierend, heute leer und zerfallend. Episch und symbolträchtig ist etwa die Aufnahme der Fassade des einstigen Bochumer Opelwerks zu Beginn der Abrissarbeiten: Dort, wo das Firmenlogo längst abmontiert ist, zeichnen sich die vier Buchstaben O, P, E und L nach wie vor in der Patina der Gebäudehülle wie ein um Erinnerung ringendes, aber unweigerlich verblassendes Überbleibsel der Vergangenheit ab.

Bochum und Detroit: „Es wird anders“

Beschäftigte einst 20.000 Menschen in Bochum: das Opelwerk; hier eine Filmszene aus "We are all Detroit". (Quelle: RealFiction Filmverleih)

Beschäftigte einst 20.000 Menschen in Bochum: das Opelwerk; hier eine Filmszene aus „We are all Detroit“. (Quelle: RealFiction Filmverleih)

„Nothing can be eternal“, „Nichts ist für die Ewigkeit“, sagt einer der Protagonisten im Film. Eines haben alle, die vom Strukturwandel betroffen sind und in der Dokumentation zu Wort kommen, gemeinsam: Sie machen weiter, trotz aller Widrigkeiten, jeder auf seine Art. Keiner bleibt stehen.

Gleiches gilt für Mark 51°7, die Opelfläche in Bochum. Am Ende des Films fliegt die Kamera über das rund 70 Hektar große Areal. Dort hat sich DHL bereits mit einem Logistikzentrum angesiedelt, das täglich etwa 50.000 Pakete verarbeitet und 600 Menschen beschäftigt. Während in dem kastenförmigen, gelben DHL-Bau schon emsiger Betrieb herrscht, reißen zeitgleich große Bagger nebenan die letzten der einstmals so imposanten Werkshallen ein. Sie bereiten das Gelände für die politisch versprochenen Neuansiedlungen, für das Neuerblühen der Industriebrache vor. Die Kamera entfernt sich langsam und rückt die Szenerie in die Weite. „Es wird anders. Aber Veränderung ist weder gut noch schlecht, sie ist anders, und wir werden uns dran gewöhnen“, ist ein weiteres Zitat aus dem Film.

Info

Weitere Infos zum Film und den Trailer gibt es im Internet auf der Seite des RealFiction Filmverleihs hier.

#stadtvonmorgen berichtete zuletzt über die Transformation des Bochumer Opelgeländes hier.

a.erb@stadtvonmorgen.de

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