Gestörte Lieferketten, höhere Zinsen und steigende Preise für Energie und Material: Welche Effekte haben die Auswirkungen aktueller Krisen auf die Stadtentwicklung? Wie verändern sich die Rahmenbedingungen für Projektentwickler, die sich mit dem Städtebau beschäftigen? Und was können Kommunen tun, um die Realisierung städtebaulich und sozialräumlich wichtiger Projekte etwa zur Schaffung neuen Wohnraums in schwierigen Zeiten zu flankieren? Das erklärt Simon Hübner aus Sicht der Immobilienbranche. Hübner ist Vorstandsmitglied beim Projektentwickler GBI und dort für Wohnungsbau zuständig.
Viele Herausforderungen treffen geballt zusammen
#stadtvonmorgen: Energiekrise, steigende Baupreise, gestörte Lieferketten, ein Mangel an Fachkräften im Handwerk. Herr Hübner, welche Effekte haben die aktuellen Krisen auf Projektentwickler im Städtebau, wie verändern sich Rahmenbedingungen?
Simon Hübner: Ich glaube, dass wir uns insgesamt in einer sehr herausfordernden, aber auch interessanten Zeit für die Immobilienbranche befinden. Grundsätzlich lebt jede Branche in Zyklen. Wir erleben aktuell diesbezüglich nicht unbedingt neue Herausforderungen, sondern das geballte Zusammentreffen besonders vieler dieser Themen. Beispielsweise bereiten wir uns schon seit 2019 perspektivisch auf steigende Finanzierungszinsen in der Betrachtung unserer Kalkulation und der Betrachtung der Investorenseite vor. Insofern ist die Zinsentwicklung keine grundsätzliche Überraschung, höchstens in der Schnelligkeit der Entwicklung. Auch die Schwierigkeiten bei der Lieferung von Material kennen wir bereits seit der Coronakrise. Im Kontext der steigenden Inflation gewinnen diese Themen allerdings eine neue Dynamik. Zusätzlich kommen mit dem Ukrainekonflikt geopolitische Verwerfungen hinzu. In einer Gesamtschau kann man also durchaus besorgt sein. Doch in jeder Krise liegen auch Chancen für eine Branche.
#stadtvonmorgen: Was meinen Sie damit konkret?
Simon Hübner: Die Chance liegt darin, dass die Akteure der Branche Hergebrachtes hinterfragen, sich an die neue Situation anpassen und dadurch resilienter, robuster werden. Ich denke beispielsweise an die Diskussion des Modells der Generalunternehmerschaft. Da wir bei GBI ohnehin bei Vergaben in der Regel auf Einzellosvergabe setzen, haben wir gerade in der aktuell angespannten Situation an vielen Stellen einen größeren Handlungsspielraum. Das macht es uns einfacher, flexibel und schnell auf die Entwicklung von Preisen und Verfügbarkeiten zu reagieren. Wir können Leistungen immer dann vergeben und abrufen, wenn wir sie tatsächlich benötigen. Demgegenüber setzt die Auftragsvergabe an einen Generalunternehmer zum Pauschalpreis eine längerfristige Planung mit genauer Kalkulation von Preisen voraus. Das würde uns in eine gewisse Abhängigkeit führen und gerade in einer Zeit mit vielen Unsicherheitsfaktoren die Risikoeinschätzung erschweren. Ich glaube, die Branche wird entsprechend umdenken. Viele Geschäftsmodelle passen sich den Gegebenheiten an.
Flexibilität und Zusammenwirken aller Beteiligten entscheidend
#stadtvonmorgen: Wie reagieren Sie auf die Verwerfungen?
Simon Hübner: Im Augenblick ist ein noch stärkeres Zusammenwirken aller Beteiligten gefragt. Es geht nur gemeinsam mit Handwerkern, Planern, Investoren, Auftraggebern und auch den verantwortlichen Stellen in kommunalen Verwaltungen. Es gilt, auf immer neue Herausforderungen flexible Lösungen zu finden, sodass das Geschehen auf aktiven Baustellen von aktuellen Verwerfungen möglichst unbeeinträchtigt bleibt. Wenn dafür zum Beispiel der Hersteller und die Farbe einer Fliese kurzfristig geändert werden müssen, weil das ursprünglich ausgesuchte Modell im Augenblick eben nicht mehr oder nur zu horrenden Preisen verfügbar ist, dann braucht es die Flexibilität, darüber schnell und pragmatisch zu entscheiden. Zudem gilt es, stets Optimierungspotentiale zu erschließen. Unter diesen Prämissen sehen wir uns am Markt unter schwierigen Bedingungen gut aufgestellt. Gleichwohl haben wir die Zinsentwicklung im Auge.
#stadtvonmorgen: Inwiefern?
Simon Hübner: Der Zinsanstieg bedeutet, dass sich die Bewertung der einzelnen Anlageform verschiebt. Die Investition in ein Immobilienprojekt ist in der Regel eine vergleichsweise wertstabile, sichere und risikoarme Möglichkeit, Kapital anzulegen. Wenn aber diese Renditen sinken, weil sich Baukosten und damit Verkaufspreise erhöhen, und gleichzeitig die Zinsen steigen, dann gewinnt im Vergleich die Rendite manch anderer risikoarmer Anlagemöglichkeit an Attraktivität. Andererseits müssen wir aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wir uns zuletzt auf einem historisch niedrigen Zinsniveau bewegt haben. Ein moderater Zinsanstieg ist im Grunde also lediglich ein „Back to normal“.
Verlässlichkeit in der Politik und in Förderkulissen
#stadtvonmorgen: Was bedeutet diese Gemengelage nun für den Städtebau?
Simon Hübner: Städtebauprojekte haben in der Regel eine deutlich längere Vorlaufzeit. Quartiersentwicklungen, die ja eine besondere Spezialität der GBI sind, beanspruchen von der Idee bis zur Fertigstellung nicht selten einen Zeithorizont von 10 oder manchmal sogar 15 Jahren. Hier sind die Risiken also anders zu bewerten als bei der Umsetzung „baureifer“ Projekte. Die Langfristigkeit birgt größere Unwägbarkeiten. Hinzu kommt eine gewisse Unsicherheit, was die politische Lage und die Situation bei den öffentlichen Zuschüssen betrifft.
#stadtvonmorgen: Wie meinen Sie das?
Simon Hübner: Immer, wenn ohnehin viel Unsicherheit im Markt ist, braucht es eine umso verlässlichere Politik. Hier muss ich sagen, dass das Thema „KfW“ zu Jahresbeginn, als der Bund die Förderung energieeffizienter Neubauten über die KfW-Bank abrupt stoppte, sehr wehgetan hat. In Folge ist zu erleben, wie manche Grundstückseigentümer eine abwartende Haltung einnehmen und so teils wichtige Neubauvorhaben zurückstehen. Positiv hingegen ist, dass die Ministerien offenbar intensiv gearbeitet haben, um ein neues Fördermodell zu entwickeln. Es wäre ein wichtiges Signal der Politik, wenn Projektentwickler auch weiterhin mit entsprechenden Zuschüssen für Neubau und Sanierung rechnen könnten. Dies würde einem Segment, in dem die Margen ohnehin nicht hoch sind, – dem geförderten und seniorengerechten Wohnen – Sicherheit und Verlässlichkeit bringen. Übrigens hat in Baden-Württemberg die L-Bank mit zusätzlicher finanzieller Unterstützung den Wegfall der KfW-Förderung zumindest temporär kompensiert. Das ist ein starkes Zeichen in den Markt.
Bauanträge: Bearbeitungszeit als wichtiger Faktor
#stadtvonmorgen: Wie können Kommunen die Rahmenbedingungen denn so gestalten, dass es für Projektentwickler hinsichtlich der Schaffung bezahlbaren Wohnraums weiter attraktiv ist, sich zu engagieren? Welche Instrumente können Kommunen dafür einsetzen?
Simon Hübner: Auch hier ist derzeit Flexibilität entscheidend. Grundsätzlich erleben wir gerade bei Projekten des geförderten und seniorengerechten Wohnens oder Bauvorhaben, die im Zusammenhang mit der Schaffung einer sozialen Infrastruktur – etwa von Kitas – stehen, ein großes Interesse vieler Kommunen. Das geht oft mit einer genauso großen Bereitschaft, solche Projekte zu unterstützen und bei der Umsetzung zu kooperieren, einher. In der aktuellen Zeit kann dies beispielsweise Flexibilität bei Zahlungsfristen bedeuten. Genauso wichtig ist Verlässlichkeit, etwa hinsichtlich der Bearbeitung von Bauanträgen. Es gilt, die mit vielen Städten ohnehin sehr intensiv gepflegte Partnerschaft zu forcieren: Mehr Partnerschaft, mehr Flexibilität, mehr Verlässlichkeit. Ein Beispiel dafür ist, dass wir in einer Stadt nach dem beschriebenen Wegfall der KfW-Förderung mit einem zusätzlichen kommunalen Zuschuss kalkulieren konnten. In einem anderen Beispiel hat eine Stadt geholfen, Landesmittel zu akquirieren. Außerdem wurden Förderquoten erhöht, um das Vorhaben wirtschaftlich realisierbar zu halten.
#stadtvonmorgen: Sie haben das Stichwort Bauanträge und deren Bearbeitungszeit angesprochen. Was meinen Sie damit? Wir wirkt sich die Bearbeitungszeit für die Genehmigung eines Bauantrags auf ein Projekt aus?
Simon Hübner: Sie ist ein wesentlicher Faktor – gerade in einer ansonsten unsicheren Marktsituation. Je länger das Verfahren dauert, desto teurer und damit risikobehafteter wird das Gesamtprojekt, beispielsweise hinsichtlich der Finanzierungszinsen oder der Eigenkapitalverzinsung. Einige Monate bedeuten durchaus mehrere 100.000 Euro Unterschied. Hier können Verwaltungen also unterstützend wirken. Dabei geht es zum einen um die konkrete Bearbeitungszeit, zum anderen aber auch um die grundsätzliche Information, wie lange die Bearbeitung überhaupt dauert. Denn wir erleben hier wie an vielen Stellen eine Trendwende. Bislang war der Trend zu verzeichnen, dass Investoren immer früher in ein Projekt eingestiegen sind, teils sogar schon in der konzeptionellen Phase. Nun ist allerdings festzustellen, dass sich der Einstieg von Kapitalgebern immer stärker verzögert. Denn auch sie wollen offenbar so lange wie möglich in ihrer Investitionsentscheidung flexibel bleiben. Je belastbarer und verlässlicher die Informationsbasis des jeweiligen Vorhabens also ist, desto besser sind die Argumente dafür gegenüber Investoren. Was die Zeiteinschätzung und die damit verbundene Risikobewertung betrifft, sind die Prozesse rund um die Baugenehmigung also enorm wichtig. Dies gilt genauso für den Dialog mit Handwerksfirmen oder die Materialbeschaffung. Je früher Planungssicherheit herrscht, desto besser ist die Ausgangsposition, um sich Leistungen oder Material zu sichern und zu stabilen Preisen kalkulieren zu können.
Gesamtkonzepte, die alle Perspektiven berücksichtigen
#stadtvonmorgen: Lohnt sich angesichts der aktuellen Kostensituation das Bauen im Bereich des geförderten Wohnens überhaupt noch? Funktioniert geförderter Wohnraum noch?
Simon Hübner: Ja, das Konzept funktioniert selbstverständlich noch. Wenngleich die Rahmenbedingungen dafür schwieriger werden. Ich sage es noch einmal: Umso wichtiger ist die Verlässlichkeit der Politik, was die Förderung betrifft. Denn ohne Förderung funktionieren Projekte mit solch deutlich vergünstigtem Wohnraum nicht. Das gilt für Projektentwickler wie für Endinvestoren. Investoren mögen im Bereich des geförderten Wohnens auch niedrigere Renditen in Kauf nehmen. Dafür spielen bei ihren Investitionsentscheidungen beispielsweise ESG-Ziele oder die zu erwartete Vollbelegung der geförderten Immobilie und die damit verbundene Stetigkeit eine Rolle. Gleichwohl erwarten sie eine Rendite, und das Projekt muss wirtschaftlich tragfähig sein. Um ambitionierte wohnraumpolitische Ziele zu erreichen, braucht es privates Kapital. Es braucht das Engagement von Projektentwicklern und von Endinvestoren, welche die Gebäude langfristig im Bestand halten und bewirtschaften. Dies gilt sowohl für das geförderte Wohnen als auch für das preisgünstige Seniorenwohnen, dessen Relevanz angesichts der sogenannten Babyboomer-Generation absehbar zusätzlich steigt. Es ist erstaunlich, dass es trotz der angespannten Situation und sich des längst absehbaren Engpasses bislang keine gezielte Förderung für Seniorenwohnen gibt.
#stadtvonmorgen: Was erwarten Sie sich von neuen Förderkulissen?
Simon Hübner: Grundsätzlich ist, was die Förderbedingungen betrifft, zu hoffen, dass die Bundespolitik für auskömmliche Bausteine sorgt. Einerseits ist es richtig, auch von der Entwicklerbranche den Fokus auf „bezahlbaren“, altersgerechten und energetisch nachhaltigen Wohnraum einzufordern. Gleichwohl ist es auch wichtig, nach dem Motto „fordern und fördern“, dies zu unterstützen. Es ist ein schmaler Grat: Das Fordern darf nicht zum Hemmschuh werden, der steigende Kosten und damit steigende Mieten verursacht oder einzelne Projekte unrealisierbar macht. Letztlich geht es um Gesamtkonzepte, die alle Perspektiven berücksichtigen: der Investoren, der Projektentwickler, der Vermieter, der Mieter und der Städte. Jeder muss seinen Beitrag dazu leisten, dass wohnraumpolitische Ziele erreicht werden können. Es geht nur gemeinsam. Dafür braucht es auch die Bereitschaft zur offenen und transparenten Diskussion.