„Es geht jetzt ums Überleben.“ Frans Timmermans spart nicht mit drastischen und pathetischen Formulierungen. Es gehe um die „Menschheit“, sagte der Vizepräsident und für Klimaschutz zuständige Kommissar der Europäischen Kommission am 18. Juni bei einer Veranstaltung in Aachen. „Unsere Kinder werden Kriege führen um Wasser.“ Seine gute Nachricht: „Wir können das noch verhindern.“
Kampf gegen den Klimawandel als globale Aufgabe
Die Europäische Kommission hat den sogenannten European Green Deal aufgelegt. Damit möchte sie Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. „Es geht nicht nur um Klimaneutralität, sondern auch darum, im Einklang mit der Natur zu leben“, sagt Timmermans. Das sei nicht nur ein hohes „grünes“ Ziel, sondern auch handfeste Realpolitik. Denn wer sich freier von natürlichen, endlichen Ressourcen macht, agiere im globalen Wettbewerb unabhängiger. Die Green-Deal-Strategie der EU habe eine wichtige geopolitische Komponente, so Timmermans.
Der European Green Deal zielt auf eine tiefgreifende Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft ab. Er zeigt auf, wie die Gesellschaften Europas morgen leben und wirtschaften könnten, nämlich CO2-neutral. Dabei spielen Kommunen und Städte eine entscheidende Rolle. Vor Ort entscheidet es sich, ob der Kampf für CO2-Neutralität und Klimaschutz erfolgreich ist. Nicht umsonst erwähnen die 17 Sustainable Development Goals (SDGs), die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, ausdrücklich die lokale Sphäre als wichtige Handlungsebene. Ähnliches gilt für die europäischen Klimaziele.
Die kommunale Ebene als Umsetzer globaler Klimaziele
Denn Kommunen und Städte sind es, die vor Ort die Mobilität und die Verkehrswende organisieren. Sie gestalten den Öffentlichen Personennahverkehr, bauen Radwege und schaffen Alternativangebote zum Automobil. Sie treiben die Energiewende voran, entwickeln entsprechende Infrastrukturen und unterstützen etwa die emissionsarme Elektromobilität. Sie können städtebaulich Anreize und Rahmenbedingungen für nachhaltiges Bauen setzen. Sie sind Multiplikatoren in die Stadtgesellschaft und können die lokale Wirtschaft in die Erreichung von Klimazielen einbinden.
Wie dies in Rückkopplung mit der europäischen Politik geschieht, zeigt die sogenannte Mannheim Message. Am 1. Oktober 2020 sendeten die Städte des europäischen Nachhaltigkeitsnetzwerks ICLEI Europe diese Botschaft an die EU. Die „Mannheim Message“ formuliert die Bereitschaft der unterzeichnenden Städte, Verantwortung für die Umsetzung des European Green Deals und für die gesellschaftliche Transformation zu übernehmen.
Als Instrument dafür regt die „Mannheim Message“ lokale Green Deals an. Mit solchen freiwilligen, aber verbindlichen Verträgen können Städte ihre Klimaziele definieren – und in deren Erreichung die örtliche Wirtschaft sowie Akteure ihrer Stadtgesellschaft einbeziehen. Gleichzeitig fordert die „Mannheim Message“ von der europäischen Ebene die Unterstützung lokaler Initiativen im Sinne einer Multilevel-Governance ein. Die verantwortungsvolle Rolle der Kommunen bei der Bearbeitung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel müsse in wichtigen Entscheidungsprozessen der EU stärker berücksichtigt werden.
Beispiel für die Klimadebatte: Lokalpolitik in Kaiserslautern
Ortswechsel. Eine gute Stunde mit der S-Bahn entfernt von Mannheim liegt die 100.000-Einwohner-Stadt Kaiserslautern. Ein Blick auf die dortige Stadtpolitik zeigt die Breite der gesellschaftlichen Debatte um lokale Klimamaßnahmen und, wie groß das Spannungsfeld zwischen den unterschiedlichsten Interessen daran bisweilen ist. Genauso breit ist das Spektrum der Positionen im Stadtrat der pfälzischen Kommune: Es reicht von einer progressiven, ambitionierten Klimapolitik bis zu einer diesbezüglichen Ablehnung.
Tobias Wiesemann spricht von „dicken Brettern“, die zu bohren seien. Als Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Kaiserslauterer Stadtrat gehört er naturgemäß zu den Treibern, was lokale Anstrengungen für den Klimaschutz und die urbane Klimaanpassung angeht.
Dabei macht er die Bedeutungsdimensionen klar, die damit verbunden sind: Der Begriff des Klimaschutzes beschreibt die globale Dimension von lokalen Klimaschutzmaßnahmen und CO2-Einsparung, den Kampf gegen den Klimawandel eben. Der Begriff der Klimaanpassung bezieht sich auf lokale Maßnahmen gegen dessen Folgen, etwa die bauliche Vorsorge gegen Starkregen oder eine intensivere Stadtbegrünung, um Hitze- und Trockenperioden abzumildern.
Lokale Klimapolitik: Grüne als Treiber, Linke als Mahner
Um den teils mühevollen politischen Diskurs zu illustrieren, erinnert Wiesemann exemplarisch an eine kontroverse Debatte im Lokalparlament, als es darum ging, in der Innenstadt zugunsten der Ausweisung eines Fahrradstreifens acht Parkplätze zu reduzieren. „Da prallen Welten aufeinander“, sagt er. „Da gab es große Widerstände zu überwinden.“
Die Stadt Kaiserslautern hat – wie viele anderen Kommunen – ein Mobilitäts- und ein Klimaschutzkonzept verabschiedet. Diese sehen den Umbau des Verkehrssystems zu einer nachhaltigeren Mobilität und bis 2050 die Klimaneutralität der Stadt vor. „Diese Papiere lesen sich gut, sind aus unserer Sicht aber noch nicht ambitioniert genug, was die Zeitschiene betrifft“, kritisiert Elke Theisinger-Hinkel von der Links-Fraktion. „Leider ist in einer so hoch verschuldeten Stadt wie Kaiserslautern schnell mit den fehlenden Finanzen argumentiert.“
Dabei macht Theisinger-Hinkel eine Ambivalenz im lokalen Handeln fest: „Wir haben in Kaiserslautern sehr wohl im Stadtrat wie auch in der Verwaltung eine hohe Akzeptanz für die Wichtigkeit des Themas und auch den Willen, Maßnahmen dazu umzusetzen“, sagt sie. Aber: „Die Verantwortlichen reagieren ähnlich wie der Pawlowsche Hund mit klassischer Konditionierung, wenn ein Investor auftritt und verspricht, Geld in die Kassen der Stadt zu bringen. Dann sind alle anderen Ziele nicht mehr ganz so wichtig“, bemängelt die Linkspolitikerin.
FWG, FDP und SPD: „Zielkonflikte“ und Querschnittsthema
„Klimaschutz und Klimaanpassung sind Querschnittsaufgaben und berühren fast jedes Thema“, erklärt die Lokalpolitikerin Gabriele Wollenweber von den Freien Wählern (FWG). Dabei komme es zu „Zielkonflikten, die wir ebenfalls bedenken müssen und bei denen es keine einfachen Lösungen gibt, sondern Kompromisse notwendig werden“. Sie räumt dem „nachhaltigen Klimaschutz“ eine „ganz hohe Priorität“ ein. Gleichzeitig müssten dabei soziale und ökologische Komponenten mitgedacht werden. „Die Herausforderung ist, den Klimaschutz so umzusetzen, dass wir dabei niemanden überfordern.“
Ähnlich argumentiert Brigitta Röthig-Wentz für die FDP. Kaiserslautern befinde sich in einer Transformation, die durch verschiedenste Faktoren – etwa den der alternden Gesellschaft, den des Klimawandels, den der Digitalisierung oder den des geänderten Einkaufsverhaltens und des innerstädtischen Wandels – bestimmt sei. All diese Aspekte stellten Anforderungen an die Stadtpolitik, die zu gewichten seien.
Für die SPD-Fraktion setzt die Stadtpolitikern Petra Rödler das lokale Engagement für Klimaschutz und die -anpassung durchaus in Bezug zu globalen Trends und fordert im Sinne einer verantwortungsvollen Politik dazu auf, „jetzt“ zu handeln.
CDU: Keine globale Verantwortung lokaler Politik
Dagegen möchte der CDU-Stadtrat Manfred Schulz der Kaiserslauterer Politik eine „globale Verantwortung“ ausdrücklich nicht zuschreiben, da „der Klimawandel bekanntlich nicht auf das Stadtgebiet beschränkt ist“. Für Internationales sei die Bundespolitik zuständig, meint Schulz.
Gleichwohl sei auf lokaler Ebene der Aspekt der Klimaanpassung – etwa der des Starkregenschutzes – äußerst relevant. „Im Rahmen des lokal Möglichen und Sinnvollen sollte alles getan werden, dass auch die Stadt ihren Beitrag leistet, um die klimapolitischen Ziele zu erreichen“, sagt Schulz.
Der Stadtrat hatte darum gerungen, den Klimanotstand ausgerufen, sich aber mehrheitlich dagegen entschieden. Dabei ging es in der lokalen Debatte insbesondere um den Begriff des Notstands. „Lippenbekenntnisse mit populistischen Überschriften werden dem wichtigen Thema des Umwelt- und Klimaschutzes nicht gerecht“, meint Schulz.
Der Klimawandel sei eine „echte Bedrohung der Menschheit“. Es bedürfe allerdings „kollektiver Aktionen der Menschheit und nicht eines Sammelsuriums von Klimanotstandsbeschlüssen und Einzelmaßnahmen in allen möglichen Gemeinderäten“, meint der CDU-Politiker. Es sei „unangebracht, wenn eine einzelne Kommune ihren Bürgern konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz vorschreiben möchte“. Hinsichtlich einer Solarinstallationspflicht beispielsweise befürchte seine Fraktion einen „Missbrauch von demokratischer Macht“.
AfD: „Politisch gelenkter Lobbyismus“, „Instrument der Zukunftsangst“
Die AfD-Fraktion nimmt im Stadtrat von allen die skeptischste Position bezüglich des Klimawandels ein. Der Klimawandel sei „weder menschengemacht“ noch könne er „von Menschen verhindert werden“, teilt ein Fraktionssprecher auf Nachfrage mit. Politische Interessensgruppen, insbesondere die Grünen, versuchten, „das Instrument der Zukunftsangst“ zu nutzen, damit die Bevölkerung „über Öko- und CO2-Steuern mehr oder weniger bereitwillig Abgaben leistet, über deren Verwendung niemals entsprechende Transparenz gewahrt werden wird“.
Klimaabgaben und -maßnahmen seien demnach „einzig und allein der Interessenpolitik und dem politisch gelenkten Lobbyismus geschuldet“. Ohnehin könne ein „panischer Aktivismus in Deutschland und in Europa“ an einem „völlig normalen Wandel von einer Kalt- zu einer Warmzeit“ nichts ändern. Zudem finde der Verbrauch von fossilen Energiestoffen überwiegend „in den bevölkerungsreichsten Nationen China und Indien sowie in vielen Schwellenländern“ statt, heißt es von der AfD. „Was eine Stadt von der Bedeutung Kaiserslauterns daran ändern sollte, ist uns nicht wissenschaftlich erklärbar.“
Lokale Verantwortung für globale Herausforderungen
Zur Frage der lokalen Verantwortung für globale Themen sagt der Grüne Wiesemann: „Das globale Geschehen entscheidet sich natürlich nicht nur in Kaiserslautern, aber es entscheidet es sich eben auch in Kaiserslautern – es entscheidet sich an jedem Punkt der Erde.“ Verantwortung beginne vor Ort. Selbst wenn das eigene Engagement nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ sei, gelte: „Steter Tropfen füllt das Meer.“