„Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben kommunale Partnerschaften dazu beigetragen, ein gespaltenes Europa zu einen.“ So ordnete Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze heute bei einer virtuellen Konferenz die Bedeutung von Städtepartnerschaften ein. Genauso seien kommunale Partnerschaften aktuell für die Unterstützung der Ukraine relevant. Bei der internationalen Wiederaufbaukonferenz in Lugano, an der am Montag und Dienstag rund 40 Nationen teilnahmen, sei eben dies zum Ausdruck gekommen: Die Stärkung der kommunalen Ebene sei eine wichtige „Grundlage für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes“. Daher ruft Schulze die deutschen Kommunen dazu auf, Partnerschaften mit ukrainischen einzugehen.
Wiederaufbau und EU-Annäherung der Ukraine
Über kommunale Kooperationen könne erstens beim Wiederaufbau der Ukraine gezielt geholfen werden. Zweitens könne der Verwaltungsaustausch über Städtepartnerschaften die EU-Annäherung des Landes flankieren. Dies war der Tenor bei einer die virtuelle Konferenz begleitenden Presserunde. Diese Einschätzungen teilte bei der späteren Konferenz aus europäischer Sicht auch die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley.
Seit Kriegsbeginn zeige sich ein starkes Engagement deutscher Kommunen in der Ukrainehilfe, so Schulze. Die Hilfsbereitschaft sei „unmittelbar und substantiell“. Zahlreiche Hilfstransporte seien gestartet, Spenden seien gesammelt worden. Städtepartnerschaften könnten „schnelle Hilfe in akuten Notsituationen geben“, weil im unmittelbaren Dialog Hilfsbedarfe rasch zutage träten und diese direkt gedeckt werden könnten.
„Wiederaufbau beginnt schon jetzt“
Diese Stärke der interkommunalen Zusammenarbeit müsse beim Wiederaufbau der Ukraine zum Tragen kommen. Bereits jetzt gelte es, damit anzufangen, wenn der Krieg auch noch andauere. Schulze: „Die erste Phase des Wiederaufbaus beginnt schon jetzt.“
Zum einen gehe es darum, Nöte zu lindern – beispielsweise vor Ort zerstörte Infrastrukturen zu reparieren oder Unterkünfte für Binnenflüchtlinge zu errichten. Zum anderen müssten die Strukturen geschaffen werden, um einen langfristigen Wiederaufbau des Landes zu sichern. In diesem Sinne wolle das Entwicklungsministerium kommunale Partnerschaften unterstützen.
Verwaltungsaustausch für die EU-Annäherung
Überdies berichtete Oberbürgermeister Peter Kurz aus Mannheim bei der Pressekonferenz über die seit einigen Jahren stattfindende Zusammenarbeit zwischen seiner Stadt und der ukrainischen Stadt Czernowitz. Dabei gehe es unter anderem um den Reformprozess, in dem sich die Ukraine befindet. Die Städte Mannheim und Czernowitz tauschten sich über Dezentralisierung, Partizipation und kommunale Selbstverwaltung aus. Ziele man darauf ab, die Verwaltungsstrukturen in der Ukraine an europäische Standards anzunähern, könne ein solcher Erfahrungsaustausch auf kommunaler Ebene „hilfreich sein“, so Kurz. Das Land strebt einen EU-Beitritt an.
In der vergangenen Woche hatten Mannheim und Czernowitz eine offizielle Städtepartnerschaft begründet. In der aktuellen Situation seien horizontale Beziehungen zwischen den Kommunen „wichtiger denn je“, sagte Czernowitz Bürgermeister Roman Klitschuk beim heutigen Pressegespräch. Dies gelte sowohl für die akute Hilfe und den Wiederaufbau der Städte als auch für die Integration der Ukraine in den europäischen Kontext. Der Austausch auf kommunaler Verwaltungsebene schaffe dafür wichtige Grundlagen.
Weitere fünf Millionen Euro für Partnerschaftsarbeit
Organisiert wurde das „Internationale kommunale Vernetzungstreffen zur Unterstützung der Ukraine“ von der gemeinnützigen Entwicklungshilfeorganisation Engagement Global und deren Servicestelle Kommunen in der Einen Welt im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Den virtuellen Kongress besuchten rund 500 Teilnehmer aus Kommunen. Sie stammten aus der Ukraine und Deutschland sowie aus Österreich, Frankreich und Polen.
Das Vernetzungstreffen basiert auf dem deutsch-ukrainischen Partnerschaftsnetzwerk, das sich ab 2014 im Kontext von Engagement Global formierte. Darin sind derzeit laut Schulze 80 deutsch-ukrainische Städtepartnerschaften registriert. Seit Kriegsausbruch im Februar hätten zusätzlich 41 Städte ihr Interesse für neue Partnerschaften angemeldet, so die Ministerin. Ursprünglich habe das Entwicklungsministerium den Impuls für das Partnerschaftsnetzwerk gegeben, um die Dezentralisierungsreformen und den Aufbau lokaler Verwaltungsstrukturen in der Ukraine zu flankieren. Heute stellte Schulze in Aussicht, weitere fünf Millionen Euro an Bundesmitteln für die Partnerschaftsarbeit zur Verfügung stellen zu wollen.
Klitschko regt Projektpatenschaften an
Bei der Konferenz unterstrich Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, den Wunsch der Ukraine, als „demokratischer, moderner, europäischer Stadt“ ein „Teil der europäischen Familie“ sein zu können. Die Unterstützung aus europäischen Kommunen, etwa Kiews Partnerstädten München und Leipzig, mit Hilfsgütern, Rettungswagen oder medizinischer Ausstattung sei angesichts des brutalen russischen Angriffskriegs essentiell und teils lebensrettend. Dies betreffe nicht nur Kiew, sondern auch alle anderen ukrainischen Städte. Dabei regte Klitschko Projektpatenschaften an, mit denen europäische Kommunen bestimmte Vorhaben vor Ort in der Ukraine – beispielsweise den Wiederaufbau eines Krankenhauses – gezielt unterstützen und sich so effizient engagieren könnten.
Vor einer „Abstumpfung“ warnte Oberbürgermeister Martin Horn aus Freiburg. Das Engagement deutscher Städte für ukrainische Partnerkommunen dürfe nicht abreißen. „Wir dürfen uns nicht an diesen Krieg gewöhnen“, so Horn bei der Konferenz. Vielmehr müsse alles dafür getan werden, die „Infrastruktur in der Ukraine so zu stabilisieren, dass kein dauerhafter Braindrain stattfindet“. Jeder könne dazu einen Beitrag leisten: die Kommunen, der Bund und die Europäische Union. Freiburg unterhält seit 30 Jahren eine Partnerschaft mit der ukrainischen Stadt Lviv und ist auf kommunaler Ebene ebenfalls intensiv für die Ukrainehilfe aktiv.
Ein weiteres Beispiel für kommunales Engagement gibt die Stadt Dortmund. Gerade am Montag kam eine umfassende Hilfslieferung aus Dortmund im polnischen Chelm an. Von dort wird das Material an die südukrainische Stadt Mykolajiw verteilt (Foto oben). Der Konvoi beinhaltet nach Angaben der Stadt zehn Nutzfahrzeuge, zwei Feuerwehrfahrzeuge sowie weitere Güter für die Aufrechterhaltung der zivilen Infrastruktur und der medizinischen Versorgung. Der Kontakt zwischen Dortmund und Mykolajiw kam über die unter anderem von der Stadt Sindelfingen initiierte Plattform „Cities4Cities“ zustande. Die digitale Plattform vernetzt Hilfsbedarfe und -angebote miteinander. Die so geleistete pragmatische Hilfe veranschauliche die Agilität von Kommunen bei der Bewältigung globaler Krisen und internationaler Herausforderungen, sagte Sindelfingens Oberbürgermeister Bernd Vöhringer heute bei der Konferenz.