Städtetagpräsident Markus Lewe über Ukrainekonflikt, Flüchtlingsaufnahme, Städtepartnerschaften und Versorgungssicherheit bei Erdgas.

Für die Versorgungssicherheit in Sachen Erdgas sei eine bundesweite „Energiestrategie“ dringend nötig. Dafür bedürfe es einer engen Abstimmung zwischen Bund, Länder und Kommunen. Letzteres gelte genauso hinsichtlich ankommender Flüchtlinge aus der Ukraine. Derweil könnten Städtepartnerschaften dazu genutzt werden, Signale des Friedens nach Russland zu senden. Dies sagte Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetags, soeben bei einer Pressekonferenz im Zusammenhang mit dem Ukrainekonflikt. Dabei sprach er als Oberbürgermeister der Stadt Münster. Die Fragen von #stadtvonmorgen beantwortete er wechselweise auch in seiner Rolle als Städtetagpräsident.

„Energiestrategie“ von Bund, Ländern und Kommunen

Der Krieg in der Ukraine und die zunehmende Konfrontation Russlands mit den westlichen Staaten offenbare die Brisanz der Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gaslieferungen. Um die Energieversorgung zu sichern, brauche es eine Strategie. Die müsse von Bund, Ländern und Kommunen erarbeitet werden, so Lewe. Die Städte und ihre Stadtwerke müssten darin als die wesentlich handelnden Akteure eine „massive“ Rolle spielen.

„Wir stellen heute schon fest, dass Energiepreise drastisch steigen“, sagt Lewe. Dies betreffe insbesondere ostdeutsche Kommunen, die oftmals kurzfristigere Lieferverträge für Energie abgeschlossen hätten. Dort zeichneten sich Preissteigerungen von teils bis zu 400 Prozent ab. Dem gegenzusteuern, sei nicht nur eine soziale Frage. Immer stärker rücke der Aspekt der Transformation der Infrastruktur in den Vordergrund – im Sinne sowohl des Klimaschutzes als auch der geostrategischen Unabhängigkeit von Russland. Die Stadt Münster ist davon ebenfalls betroffen: Bei der Produktion von Fernwärme nutzt sie russisches Gas.

Flüchtlingsaufnahme: „Kommunen benötigen Informationen“

Derweil zeige sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine europaweit eine starke Solidarität. Damit diese vor Ort reibungslos vonstattengehen könne, sei eine Kommunikation zwischen Bund, Ländern und Kommunen entscheidend. Derzeit liefen auf den Ebenen der Länder und des Bundes Gespräche zwischen den Kommunen und den Innenministerien. Zwar sei es „nicht ganz einfach“, zum aktuellen Zeitpunkt die Fluchtbewegungen abzuschätzen, räumt Lewe ein. Doch um ihre Aufnahmekapazitäten planen zu können, „benötigen die Kommunen zeitnah und umfassend Informationen über Zahlen“.

Außerdem seien die Kommunen absehbar „erheblichen zusätzlichen finanziellen Belastungen“ im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen ausgesetzt. Diese könnten sie „nicht alleine stemmen“. Dafür bräuchten sie Unterstützung von Bund und Ländern, betont Lewe. Ebenso regt er gesetzliche Erleichterungen an, etwa bezüglich des Baurechts für Flüchtlingsunterkünfte in Gewerbegebieten. Zudem spricht sich der Städtetagpräsident dafür aus, dass der Bund den ukrainischen Grenzregionen Polens, in denen zahlreiche Ukrainer ankommen, hilft. „Dies gebietet die europäische Solidarität“.

Städtepartnerschaften für Friedenszeichen nutzen

Was die Städtepartnerschaften zu russischen Kommunen betrifft, eröffneten sich hierüber Kanäle, im Sinne der Städtediplomatie „Friedensbotschaften“ zu senden. „Der Städtetag empfiehlt daher nicht, Städtepartnerschaften zu beenden“, sagt Lewe. In verschiedenen deutschen Städten wie Düsseldorf, Karlsruhe oder Kassel, die mit russischen Partnerkommunen verbunden sind, steht aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine eine Fortsetzung dieser Kooperationen zur Debatte.

Lewe vertritt eine gegenteilige Position: Gerade über Städtepartnerschaften, die nicht im nationalstaatlichen Kontext stehen, ließen sich zivilgesellschaftliche Gruppen miteinander in Verbindung bringen. Diese Kontakte wolle auch die Stadt Münster in ihrer Partnerschaft mit der russischen Stadt Rjasan im Sinne der Völkerverständigung weiterhin aufrechthalten. Lewe: „Staat und Menschen sind voneinander zu trennen.“

Lewe: „Münster ist aufnahmebereit“

Die Pressekonferenz fand anlässlich des ersten Treffens eines Krisenstabs statt, den Lewe einberufen hat, um lokale Hilfsmaßnahmen im Kontext des Ukrainekonflikts zu koordinieren. Der Oberbürgermeister stellt eine „unglaublich ausgeprägte Hilfsbereitschaft der Münsteraner Bürgerschaft fest“. Die gehe so weit, dass manche sogar privaten Wohnraum für Flüchtlinge aus der Ukraine temporär zur Verfügung stellten. Im Augenblick hält die Stadt bis zu 500 Plätze für Menschen aus dem Kriegsgebiet bereit. Darüber hinaus stellt sie sich auf ergänzende Hilfe – etwa im Bereich der Traumaarbeit – ein. Lewe: „Münster ist aufnahmebereit.“ Dabei greife man auf Strukturen zurück, die in den vergangenen Jahren in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 aufgebaut wurden.

a.erb@stadtvonmorgen.de

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